Gedenktag an Terroropfer: Für sie ist jeden Tag Gedenktag

Die Regierung veranstaltet zum dritten Mal einen Gedenktag für Terroropfer. Einige Opfer fühlen sich ausgegrenzt und beklagen fehlende Konsequenzen.

An einer Gedenkstätte sind Fotos der Opfer zu sehen, es stehen Kerzen davor.

#SayTheirNames Foto: Michael Schick/imago

BERLIN taz | Melek Bektaş atmet schwer, wenn sie über ihren Sohn Burak spricht, ihre Stimme bricht, Tränen rinnen über ihr Gesicht. Auch 12 Jahre nachdem Burak in Berlin-Neukölln erschossen wurde. Der Täter ist bis heute nicht gefunden, es halten sich Hinweise auf ein rassistisches Motiv. „Ich will von den Behörden den Mörder meines Sohnes“, sagt Melek Bektaş am Montag in Berlin-Mitte.

Aber die Mutter hat noch ein Anliegen. Denn gleich um die Ecke wird wenig später die Bundesregierung zum dritten Mal ihren neu geschaffenen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt begehen, im Berliner Humboldt Forum. Melek Bektaş jedoch ist dort nicht eingeladen – weil der Mord an ihrem Sohn bis heute nicht offiziell als politische Tat eingestuft ist. Bektaş beklagt nicht nur diesen Umstand, sondern auch den Umgang der Behörden mit ihrer Familie. Beim Berliner LKA blieben zuletzt 387 rechtsextreme Taten unbearbeitet, verantwortlich dafür soll auch ein führender Ermittler im Fall Burak Bektaş sein. „Mit welchem Gewissen konnte mir dieser Polizist ins Gesicht schauen und sagen, wir suchen unter jedem Stein?“, fragt Bektaş. „Wer gedenken will, soll aufklären.“

Melek Bektaş ist am Montag mit ihrer Kritik nicht allein. Mit ihr sitzen weitere Betroffene rechter Anschläge und von Polizeigewalt auf einer Pressekonferenz in Berlin-Mitte, von anderen werden Botschaften verlesen. Schon vor zwei Jahren taten sie sich in einem Netzwerk zusammen, nun treten sie an die Öffentlichkeit – ganz bewusst an diesem Tag. Sie beklagen, dass sie teils nicht zum offiziellen Gedenktag eingeladen wurden. Und dass die Politik bisher zu wenig für die Aufklärung der Taten und für Konsequenzen tue.

Die Anschläge seien keine isolierten Taten, sondern das Resultat eines weit verbreiteten Rechtsextremismus, sagt Yasemin Kılıç, deren Sohn Selçuk 2016 beim rassistischen Anschlag am OEZ München erschossen wurde. Die Politik müsse dies „klar kommunizieren“, dürfe am Gedenktag nicht alle Terrortaten pauschal zusammenfassen. Kılıç fordert auch ein Ende der Gutachten für Terrorbetroffene, wenn es um staatliche Hilfe gehe. Dies sei „demütigend und entwürdigend“.

„Nur Verachtung und Diskriminierung“

Auch Saliou Diallo, Bruder von Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle verbrannte, kritisiert, dass er seit Jahren keine Unterstützung des Staats erfahre, „nur Verachtung und Diskriminierung“. Die Behörden unterstützten vielmehr die Polizisten, die Diallo für die Mörder seines Bruders hält.

Und auch İsmet Tekin, der den Halle-Anschlag 2019 überlebte, beklagt, dass die Politik den Betroffenen „nicht zuhört“. Auch ein offener Brief im vergangenen Jahr habe nichts bewirkt. Deshalb habe man sich in dem Netzwerk zusammengefunden. „Wir werden nicht schweigen.“

Dabei hatte die Ampel einen anderen Anspruch formuliert. Empathischer wolle man mit Terrorbetroffenen umgehen, hatte sie im Koalitionsvertrag erklärt. Der Gedenktag sollte ein Teil davon sein. Zu der offiziellen Veranstaltung am Montag kamen Dutzende Terrorbetroffene ins Humboldt Forum, auf der Bühne sprachen drei von ihnen, allesamt Betroffene islamistischen Terrors: Amal Khalife, die als Schülerin den Anschlag von Nizza 2016 überlebte; Andreas Faber, dessen Eltern bei einem Attentat im gleichen Jahr in Istanbul getötet wurden; und Thomas Weißenborn, der 2021 bei einem Messerangriff in einem ICE schwer verletzt wurde.

Bundesregierung will Opfer nicht allein lassen

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte, dass man die Angehörigen nicht allein lassen und sich auch ihrer Kritik stellen wolle. Terrorismus zerstöre nicht nur „sinnlos Leben“, sondern bedrohe auch grundlegende Werte und Freiheiten. Gemeinsam müsse man daher „gegen jede Form von Extremismus und Gewalt kämpfen“.

Dies bekräftigte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die auch auf das geplante NSU-Dokumentationszentrum verwies und auf die Festnahme der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette. Beides zeige, dass man „nichts unversucht lässt, um alle Verbrechen vollständig aufzuklären“.

Talya Feldmann, die auch das Halle-Attentat überlebte, betont in einer Botschaft auf der Pressekonferenz der Betroffenen am Montag dagegen, dass ein Gedenken, das sich auf eine Stunde beschränke und keine Veränderung hervorrufe, kein Gedenken sei. „Wir brauchen Wandel, nicht nur an diesem Tag.“

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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