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taz FUTURZWEI

Demokratie gegen Rechtspopulismus Verbieten und ausschließen!

Der Ausschluss von Marine Le Pen von der Präsidentschaftswahl ist kein Fehler, sondern ein rechtsstaatliches Ausrufezeichen gegen eine bequeme Selbstaufgabe der liberalen Demokratien.

Künftig nicht mehr inmitten des politischen Geschehens: Die verurteilte RN-Chefin Le Pen Foto: picture alliance/dpa/AP | Thomas Padilla

taz FUTURZWEI | Ein Gericht in Paris hat die Politikerin Marine Le Pen zu vier Jahren Haft verurteilt, zwei davon auf Bewährung, zwei mit Fußfessel. Dazu kommen 100.000 Euro Strafe und wegen ihrer Uneinsichtigkeit ein fünfjähriger Verlust ihres passiven Wahlrechts. Und nun wird es besonders interessant: Der Entzug des Wahlrechts ist sofort gültig, er wird auch durch die eingelegte Berufung nicht ausgesetzt. Marine Le Pen ist damit eine Präsidentschafts-Kandidatur 2027 verwehrt.

Grund für die Verurteilung: Le Pen hat 2012 ein illegales, von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen aufgebautes Finanzierungssystem ihrer rechtsnationalen Partei durch veruntreute EU-Parlamentsmittel von über 4 Millionen Euro übernommen und ausgebaut.

Le Pen ist schon dreimal angetreten, 2022 hat sie mit 41,5 Prozent relativ knapp gegen den liberalen Europäer Emmanuel Macron verloren, aktuell lag sie in allen Umfragen für die Präsidentschaftswahl 2027 mit Abstand an der Spitze. Marine Le Pen zum Urteil: „Das System hat eine Atombombe gezündet, ein dunkler Tag für die Demokratie, die Richter wollen mein politisches Leben vernichten, sie haben Praktiken eingeführt, von denen man dachte, sie seien autoritären Regimen vorbehalten. Wenn so starke Waffen eingesetzt werden, dann deshalb, weil wir kurz davor stehen die Wahlen zu gewinnen.“

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Das wahre Gesicht des RN

Le Pen hat in den letzten Jahren versucht, ihre Politik nationalkonservativ zu soften. Zum einen mit dem Ausschluss ihres Vaters aus der von ihm selbst gegründeten Partei „Front National“(FN) wegen seines offenen Antisemitismus und seiner Holocaust-Leugnung, zum anderen mit der Umbenennung in „Rassemblement National“ (RN).

In ihren Kommentaren zum Urteil zeigt sie nun ihr wahres politisches Gesicht. Ihre Unterstellung vom systemisch bedingten Versagen der Justiz, deren angeblich politisch motivierten Urteilen, sowie ihre Weigerung, die Rechtskraft der Justiz anzuerkennen, bestätigen nur, was immer ihre Ziele gewesen und geblieben sind: Eine politische Offensive gegen die Unabhängigkeit der Justiz und die Herrschaft des Rechtsstaates.

Wegen des politischen Versagens der Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentanten im Kampf gegen Le Pen hat das Urteil der Richter – obwohl es allein auf Recht und Gesetz aufbaut – das Gewicht einer letzten Barriere gegen die Dekonstruktion der demokratischen Institutionen und möglicherweise aller zukünftigen Wahlen in Frankreich.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Stärke der Rechtsstaatlichkeit

In Ungarn, in Italien, in Polen zu Zeiten der PIS-Regierung, haben die Gerichte als Handlanger der Herrschenden funktioniert. Umso bedeutender ist, dass die Justiz in Frankreich mit diesem Urteil ihre Selbstverortung als unabhängiges und nur der Verfassung verpflichtetes Machtorgan bekräftigt.

In Deutschland wird, neben der Bewunderung für die Rechtsklarheit des Urteils, in nahezu allen Medien sein politisches Gewicht als „Treibstoff für den Populismus“ kritisiert. Das Urteil befeuere das Narrativ der Polit-Märtyrerin Le Pen.

Sie könne sich jetzt in der Opferrolle präsentieren und die Justiz als Feindin der potentiellen Mehrheiten des „Volkes“ und dessen politischer Freiheit.

Für den politischen Diskurs wäre es besser gewesen, so der Tenor, Le Pen zwar zu verurteilen, aber auf ihren faktischen Ausschluss von den Präsidentschaftswahlen zu verzichten. Die Feinde der Demokratie müssten mit politischen Mitteln geschlagen werden.

Konkrete Folgen statt folgenlosem Diskurs

Dieser Anspruch ist illusorisch. Mit Argumenten im politischen Diskurs sind Rechtsradikale nicht auszubremsen. Hier wird davon ausgegangen, dass die Machtansprüche der AfD in der Bundesrepublik, des RN in Frankreich, Melonis Fratelli d' Italia in Italien, Wilders' Partei für die Freiheit in den Niederlanden und ähnliche Parteien in den westlichen Demokratien wegen ihres illiberalen Inhalts scheitern werden. Genau das sehen diese Parteien als Beleg der strukturellen Schwäche des demokratischen Systems.

Das Urteil gegen Marine Le Pen weist mit seiner konkreten Wirkung auf den Machtanspruch der geltenden politischen Ordnung hin. Gesetze und demokratische Verfassung sind kein Spielplatz für ihre Feinde, sie sind mit starken Instrumenten des Gewaltmonopols nach innen ausgestattet.

So kann auch die AfD mit einem gut begründeten Parteiverbot von ihrem Durchmarsch an die Macht aufgehalten werden. Wenn das unterbleibt, besteht die Gefahr, dass vor allem die Konservativen ihr eher zu Steigbügelhaltern der AfD werden.

Zusätzlich wäre zu überlegen, wie ein demokratischer Imperativ so in die „zwingenden Gründe“ eingefügt werden kann, die einen Ausschluss von Wahlen rechtfertigen (Art. 38, Abs.1, Grundgesetz), dass das Prinzip der Allgemeinheit der Wahl nicht beschädigt wird. Alle Demokratien des Westens könnten zudem vom kampfbereiten Überlebenswillen der demokratischen Gesellschaft in Südkorea lernen.

Jedes legitime Mittel ist recht

Mit Massenstreiks und Demonstrationen hat sie den Putsch rechtskonservativer Populisten und ihres Präsidenten verhindert und seinen Rücktritt erzwungen. Gerade hat das Verfassungsgericht seinen Sturz als rechtmäßig legitimiert. Das ist Demokratie at its best.

Die Abwehr der Machtansprüche rechtspopulistischer Parteien wird nur dann gelingen, wenn die demokratischen Gesellschaften und ihre Institutionen bereit sind, zu allen formalen und politischen Machtmitteln zu greifen, um sie aufzuhalten.

Eine Machtergreifung von Illiberalen über Mehrheiten bei Wahlen ist eine Perversion legitimer demokratischer Mehrheitsbildung. Wenn sie dennoch gelingt, ist davon auszugehen, dass Demokraten ein Leben unter autokratischer Herrschaft nicht fürchten und sich eher damit einrichten, als sich zu wehren.

Das Urteil von Paris ist ein starkes rechtsstaatliches Ausrufezeichen gegen eine bequeme Selbstaufgabe.

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