piwik no script img

Demo von „Querdenker:innen“Weiße Rosen für Weimarer Richter

„Quer­den­ke­r:in­nen“ protestieren gegen die Strafverfolgung eines Familienrichters. Der hatte vorübergehend die Maskenpflicht an Schulen gekippt.

Blumen von Quer­den­ke­r:in­nen auf einem Weimarer Streifenwagen Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

Berlin taz | Rund tausend „Quer­den­ke­r:in­nen demonstrierten am Samstag vor dem Weimarer Amtsgericht. Sie protestierten damit gegen ein Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar, der die Maskenpflicht an zwei Weimarer Schulen wegen Kindeswohlgefährdung ausgesetzt hatte.

Die Versammlung der „Quer­den­ke­r:in­nen“ war von der Stadt Weimar wegen drohender Gewalt verboten worden. Die Thüringer Gerichte hatten das Verbot bestätigt. Die Polizei löste die Versammlung laut einem Bericht des MDR auf, dabei kam es zu Rangeleien. Vor dem Amtsgericht in Weimar und vor anderen Gerichten in Thüringen legten die „Quer­den­ke­r:in­nen“ weiße Rosen nieder. Auf Zetteln in Weimar stand „Lang lebe Sophie Scholl“.

Familienrichter Dettmar hatte am 8. April auf Anregung einer Mutter für zwei Jungen und alle Mit­schü­le­r:in­nen die Maskenpflicht an zwei Weimarer Schulen ausgesetzt. Durch die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Schule würden die Kinder „physisch, psychisch und pädagogisch geschädigt, ohne dass dem ein Nutzen für die Kinder oder Dritte gegenüberstehe“. Sein 192 Seiten langer Beschluss stützte sich vor allem auf drei Sachverständige, die laut Spiegel zur coronaskeptischen Initiative „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ gehören.

Die Weimarer Entscheidung wurde vor allem in Kreisen der „Quer­den­ke­r:in­nen“ gefeiert. Bundesweit wurden bei Familiengerichten formularmäßig Hunderte ähnliche Anträge auf Aussetzung der Maskenpflicht für Schü­le­r:in­nen eingereicht. Ein neues coronaskeptisches „Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte“ (Krista) sprach von einem „Paukenschlag“, der in seiner Methodik „Maßstab und Vorbild für Richterinnen und Richter in ganz Deutschland“ sein solle. Soweit ersichtlich, gab es bisher aber nur einen weiteren einschlägigen Beschluss seitens einer Familienrichterin im bayerischen Weilheim.

Familiengerichte lehnen Kindeswohlanträge ab

Das Verwaltungsgericht Weimar stellte kurz darauf in einer anderen Sache klar, dass es nicht zur Kompetenz von Familienrichtern gehört, staatliche Pandemiemaßnahmen zu kontrollieren. Der Beschluss von Richter Dettmar sei „offensichtlich rechtswidrig“. Zahlreiche Familiengerichte in ganz Deutschland lehnten inzwischen die Kindeswohlanträge von maskenkritischen Eltern wegen Unzuständigkeit ab.

Gegen Richter Dettmar gingen elf Strafanzeigen wegen Rechts­beugung ein

Die zuständigen Verwaltungsgerichte bestätigten dagegen die Maskenpflicht an Schulen überwiegend. So entschied das Verwaltungsgericht Weimar Ende April, dass die Maskenpflicht an Schulen eine „geeignete und erforderliche“ Maßnahme sei. Die Rich­te­r:in­nen be­rie­fen sich dabei unter anderem auf das Robert-Koch-Institut (RKI).

Das Thüringer Kultusministerium bezeichnete den Beschluss von Richter Dettmar, soweit er auch alle Mit­schü­le­r:in­nen der betroffenen Jungen erfasste, als „Scheinbeschluss“ und erhob Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Jena. Das OLG will aber erst im Laufe des Mai entscheiden.

Hürden zur Strafverfolgung sehr hoch

Gegen Richter Dettmar gingen elf Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung ein, die Staatsanwaltschaft Erfurt hat inzwischen ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den Richter eröffnet. In der vorigen Woche wurde das Dienstzimmer des Richters im Amtsgericht Weimar durchsucht, ebenso seine Privatwohnung. Auch sein Mobiltelefon wurde beschlagnahmt.

Die Staatsanwaltschaft begründete ihr Vorgehen mit Anhaltspunkten, dass der Richter „willkürlich seine Zuständigkeit angenommen hat, obwohl es sich um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit handelte, für die ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist“. Um die Unabhängigkeit der Gerichte zu schützen, liegen die Hürden für eine Strafverfolgung eigentlich sehr hoch. Ein Fehlurteil genügt dafür nicht, vielmehr muss der Richter das Recht vorsätzlich falsch angewandt haben. Richter Dettmar wird inzwischen von dem renommierten Strafverteidiger Gerhard Strate vertreten.

Auch gegen die Weilheimer Familienrichterin liegen Strafanzeigen von Bür­ge­r:in­nen vor. Hier ist die Staatsanwaltschaft noch im Bereich der üblichen Vorermittlungen, die nach jeder Strafanzeige erfolgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Vorausschicken möchte ich, dass ich die Coronamaßnahmen der Regierung so genau wie möglich einhalte. Ich sehe die Restriktionen als notwendig für die Eindämmung der Pandemie. Aber es ist ein Armutszeugnis für die Gesellschaft, abweichende Meinungen nicht zu tolerieren. Mit einer narzißtischen Selbstverherrlichung der eigenen Sichtweise wird gegen Meinungen vorgegangen, die dem „wahren“ Weltbild nicht entsprechen. Diese dogmatische Grundhaltung ist der erste Schritt der Kriminalisierung abweichenden Denkens. Andersdenkende werden bereits diskriminiert, verlieren Aufträge, werden gesellschaftlich isoliert. Geschichtsbewussten Menschen kommt diese Entwicklung leider sehr bekannt vor. Wahrscheinlich besteht bei manchen die Sorge, vom Mainstream abweichende Meinungen könnten sich in antidemokratische Bewegungen entwickeln. Dabei wird der tiefer liegende Grund manch allgemeiner Unzufriedenheit jedoch nicht beachtet. Es gibt in Deutschland nach wie vor nicht nur Armut, sondern auch Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerechtigkeit, sowohl in gesellschaftlicher als auch in finanzieller Hinsicht. Die Politik des letzten Jahrzehnts war aus meiner Sicht vor allem geprägt von europapolitischen Perspektiven, was durchaus richtig, aber für Deutschland zu wenig ist. Wenn Menschen den Eindruck haben, irgendwie auf der Strecke zu bleiben oder zu kurz zu kommen oder sich mit solchen Personen solidarisieren, ist der Nährboden der Radikalisierung gegeben. Eine neue Politik müsste die Menschen wieder mehr erreichen wollen und dort abholen, wo sie gerade stehen. Ausgrenzen radikalisiert beide Seiten. Die Regierung müsste immer überlegen, wie viel Belastungen zugemutet werden können, nicht nur bezüglich Corona, sondern betreffend alle Schwerpunktthemen der letzten Jahre.

  • Die weißen Rosen sind genauso ein Teil der bewußtsen Selbstinszenierung als Widerstandsbewegung gegen "die Diktatur" - die "Weiße Rose" - wie die Leerdenker-Aktion in Oldenburg am 8.Mai 2021 oder Anselm Lenz' Bezeichung Merkels als neofaschistisch.



    Meine Tante wurde mit Mitte 80 Jahren und ihrem Problem Wasser in Beinen und Lunge nur für zwei Tage aufgenommen mit der Notaufnahme.



    Das Krankenhaus der Großstadt ist voll mit Corona-PatientInnen.

  • Dabei geht es um die gezielte Auswahl des Richters für die Verhandlung dieses Falles durch die Auswahl einer Antragstellerin, deren Familiennamen mit dem Buchstaben anfängt, für den dieser Richter zuständig ist. Ob der Richter das wusste oder wollte und ob das überhaupt sträflich ist bleibt dahingestellt. Denn tatsächlich soll ja nicht das Verfahren sondern das Urteil diskreditiert werden. Insofern stellt sich die Frage, ob der vermeintlichen ersten Rechtsbeugung nicht eine zweite aufgesetzt wird.

  • Flower Power!

  • Um sich des eigenen Verstandes zu bedienen (ich zitiere den Zettel auf dem Photo) bedarf es, sehr richtig, des Mutes.

    Aber auch Aufrichtigkeit, Offenheit und -- ja, auch etwas Übung gehören dazu.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Das Problem ist nicht der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen - das Problem ist das latente Pech beim Denken.

    • @tomás zerolo:

      Wenn man sich schon seines "Verstandes" bedient, dann sollte man aber auch das ganze Bild betrachten und keine Rosinenpickerei betreiben.

      Es steht immer noch der Vorwurf im Raum, dass gezielt dieser Richter die beiden Verfahren bekommen sollte. So wurden von den Anwälten wohl nur Eltern engeschrieben, deren Nachname mit einem Buchstaben begann, für den der Richter zuständig ist. Und dann präsentiert dieser Richter nach nur ein paar Verhandlungstagen eine 192(!!) Seiten starke Urteilsbegründung? Ein Schelm wer dabei denkt, dass diese schon fertig in der Schublade lag.

      • @Jan Berger:

        Für einen Außenstehenden ist es unmöglich, ohne genau Aktenkenntnis zu wissen, was den Inhalt und die Probleme eines Strafverfahrens ausmacht. Insoweit ist also auch in Bezug auf den gegenüber Herrn Dettmar gemachten Vorwurf äußerste Zurückhaltung geboten. Es ist für mich allerdings nicht nachvollziehbar, weshalb ein Familienrichter eine solche Entscheidung traf, denn zum einen ist das Familiengericht nur in ganz besonderen Fällen sachlich zuständig und zum anderen hat das Familiengericht keinerlei Kompetenz, Verwaltungsbehörden - also etwa Schulen - zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zu bestimmen. Aus der Sicht eines fernerstehenden Zeitungslesers scheint mir die Entscheidung des AG Weimar eine ganz deutliche Überschreitung der gerichtlichen Kompetenz zu sein; eine bewußte Überschreitung der richterlichen Kompetenz stellt aber einen klaren Fall der Rechtsbeugung mit allen ihren einschneidenden Konsequenzen dar.

  • Ah deswegen am Samstag dieses Massenaufgebot an Hipstermüttern und Polizei. Naja wenigstens weiß ich jetzt das Thüringen über 2 Wasserwerfer verfügt.



    Ohne Corona ist der 1. Mai in Weimar ein toller Tag für Alle. Ein Seifenkistenrennen mit tausenden Besuchern. Einer der größten Non-Profit-Flohmärkte Deutschlands in der Innenstadt. Und das Gedenken an die Hintergründe des 1. Mai nicht zu vergessen.



    Ich finde den 1. Mai in meiner Stadt als den schöneren Zwiebelmarkt (ca 500 Jahre alt 2. Oktoberwochenende) . Und jetzt wurde der auch noch von den Covidi****en vereinnahmt.