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Demo in Berlin ohne AnstandsregelnZiemlich falsch gelaufen

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Eine als Bootstour angemeldete Demo zur Unterstützung der Clubkultur in der Corona-Krise läuft aus dem Ruder. Überraschend kommt das nicht.

Am Urbanhafen auf dem Landwehrkanal: hunderte Boote machten auf Ravekultur Foto: picture alliance/Carsten Koall/dpa

t az Es war klar, dass es nach der Lockerung der Corona-Auflagen irgendwann Bilder geben würde von Parties im öffentlichen Raum, die aus dem Ruder laufen. Am Pfingstsonntag ist es dann im wahrsten Sinne des Worte passiert: Eine als Demonstration angemeldete Bootstour von der Spree über den Landwehrkanal hin zum Urbanhafen zog mehr als tausend TeilnehmerInnen an, die zumeist in Schlauchbooten und zu lauter Musik für den Erhalt der Clubkultur protestierten.

Allerdings war nicht nur die Musik zu laut – das wäre wohl Kreuzberg am hellichten Tag bei bestem Wetter noch eine Weile zuzumuten gewesen an diesem Tag, der zu normalen Zeiten der wichtigste Tag des Karnevals der Kulturen ist. Doch die TeilnehmerInnen des Protestes ignorierten die Anstandsregeln sehr offensichtlich, trugen auch keinen Mund-Nase-Schutz, wie es solche Protesten angemessen ist und dann beendeten sie die zur Sause gewordene Demo auch noch direkt vor einem Krankenhaus.

So entstanden Fotos mit doppelter Symbolik: die Partypeople, die nur ihre durchtanzten Nächte zurück haben wollen und dafür auf alle nur solidarisch funktionierden Maßnahmen pfeifen, im Gegensatz zu jenen medizinischen Angestellten, die um das Leben von Corona-Erkrankten kämpfen und gegebenenfalls die mangelnde Solidarität ausbaden müssen.

Auch die Reaktionen waren erwartbar: 24 Stunden nach dem Wasserrave distanzierte sich die Clubcommission von der Versammlung. Deren Veranstalter hätten zwar „zweifellos gute Absichten gehabt“ – nämlich dieselben wie die Clubcommission. Allerdings sei dieser Plan nicht aufgegangen: auch deshalb, weil die Commission nicht eingebunden war. Im Ergebnis stehe die Demo im „völligen Kontrast“ zu den eigenen Bemühungen.

Lockerungen in Frage gestellt?

Auch die Grünen reagierten auf die Ausschweifungen im Heimkiez: Einen „Bärendienst“ hätten die TeilnehmerInnen der Clubkultur erwiesen, twitterte etwa Daniel Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion im Abgeordnetenhaus. Lockerungen bei Open Air-Veranstaltungen, die ab 2. Juni gelten, würden dadurch in Frage gestellt.

„Mindestens schlechter Stil“, bescheinigte Fraktionschefin Silke Gebel; „unverantwortlich und auf allen Ebenen falsch“, schrieb Stadträtin Clara Herrmann. Und natürlich hieb auch die Opposition im Abgeordnetenhaus ordentlich drauf.

Kritik gab es noch aus einem weiteren Grund: Parallel fanden auch in Berlin Proteste gegen Polizeigewalt statt, Hintergrund ist die Ermordung George Floyds in Minneapolis. Und da fanden nicht wenige KommentatorInnen etwa bei Twitter einen Aufzug von überwiegend weißen Menschen unangemessen.

Es lief also so ziemlich alles falsch, was falsch laufen konnte; von daher sind die harschen Kommentare verständlich. Und vielleicht war dieses falsche Symbol ein rechtzeitiges Warnsignal in Corona-Zeiten.

Die Politik muss jetzt Ideen entwickeln, wie die Partykultur nicht völlig durch Corona platt gemacht wird.

Die Party kam nicht aus dem Nichts

Allerdings sollte nun auch keiner so tun, als wäre eine solche Demoparty aus dem Nichts gekommen in einer Stadt, die die obersten Tourismuswerber mehr als ein Jahrzehnt lang vor allem als 24/365-Partymetropole weltweit angepriesen haben. Dass davon was hängen bleibt, auch bei den BewohnerInnen, ist wenig verwunderlich. Und auch die (Mit-)Regierenden sind nicht frei von Fehlern in der Corona-Pandemie. So hat es der Senat nicht mal geschafft, einen Bußgeldkatalog zu formulieren, der vor dem Verfassungsgericht Bestand gehabt hätte.

Und SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci scheitert regelmäßig dabei, den eigenen SenatskollegInnen die aktuelle Corona-Situation und ihre eigene Taktik gegen die Pandemie verständlich zu machen. Kein Wunder, dass die Bevölkerung sich noch schwerer damit tut, die Lage zu verstehen, etwa wenn der offiziell bekannt gegebene R-Wert innerhalb von wenigen Tagen dramatisch schwankt von „alles easy“ bis zu „jetzt müssen wir aber wirklich aufpassen“.

Solche Parties wie die am Pfingstsonntag wird es wieder geben, da muss man sich in Berlin nichts vormachen. Wer ab und an morgens durch Parks joggt, sieht die Spuren der Nacht: Flaschen, Pizzaschachteln, etc. Umso wichtiger ist es jetzt, politische Ideen zu entwickeln, wie die Partykultur nicht völlig durch Corona platt gemacht wird, denn Clubs und auch Konzerthallen dürften die letzten sein, die wieder aufmachen können – auch da darf man sich keinen Illussionen hingeben.

Der Senat braucht zudem eine klarere Kommunikation der Corona-Lage – zusätzlich zur Corona-Ampel. Denn Grün heißt eben nicht, dass auch alle Boote fahren dürfen.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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7 Kommentare

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  • Man sollte in dem Kontext aber auch erwähnen, dass das Risiko sich oder andere an der frischen Luft zu infizieren äußerst gering ist.



    Das ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens.

  • Da muss ich als Boomer anerkennend sagen, in einer einzigen Aktion soviel falsch zu machen, das hätten wir wohl nicht hinbekommen.

  • Fraglich ist, ob es sich bei dem Rave noch um eine Demonstration gehandelt hat. Angesichts der Einladungen auf Twitter und der klaren Rechtssprechung des Verwaltungsgerichts bestehen diesbezüglich erhebliche Zweifel. Dann ist jedoch fraglich, weshalb so etwas in diesen Zeiten überhaupt genehmigt werden konnte.

    Angesichts der Einlassungen der Veranstalter handelt die Branche unverantwortlich und ist offensichtlich nicht in der Lage, bei einer größeren Anzahl des Publikums die Kontrolle zu behalten. Daher sollten Clubs erst öffnen, wenn eine wirksame Behandlung und ein Impfstoff gefunden sind.

  • Vor dem Hintergrund des fahrlässigen Lockerungsüberbietungswettbewerbs der Lokalfürsten Deutschlands sind die Corona-Regeln selbst mehr und mehr ‘relativiert’ worden. Das ‘Pandemieparadox’ (erfolgreiche Maßnahmen verleiten zum Glauben, daß diese Maßnahmen gar nicht nötig waren) sowie das in der Tat sehr schwierige Verstehen ‘exponentiellen Wachstums’ (das Wachstum von Pandemien) haben zudem dazu beigetragen, ‘Corona’ nicht mehr so ernst zu nehmen. Als ob Corona nur noch eine Maginalie wäre. Der R-Wert steigt.

    Der Berliner Senat gibt sich ja Mühe - aber viele Entscheidungen scheinen eher einer Physik des Kompromisses zu entspringen, als einem sachgerechten Herangehen an die Problematik, wie Corona einzudämmen ist. So wurden wir mit kafkaesken Regelungen konfrontiert, die sich gar nicht oder kaum durchsetzen lassen, und die Polizei vor den Kopf gestoßen haben (es wurde in der Taz darüber berichtet). Großdemonstrationen freizugeben, ist zumindest blauäugig: Wer glaubt daran, daß hier ‘Abstandsregeln’ eingehalten werden. So setzt man die teuer erkämpfte, relativ gute Lage in Berlin und Deutschland aufs Spiel!

    Wir waren erfreut, als der Senat sich nach öffentlichem Druck durchgerungen hatte, Maskenpflicht im ÖPNV und in Geschäften einzuführen – bis heute vermissen wir eine breit angelegte und öffentlich sichtbare Informationskampagne, die den Menschen erklärt, wie diese Masken zu benutzen sind. Auch hier ist der Senat in der Pflicht. Denn jeder, der mit offenen Augen durch die Stadt geht, sieht genau das, wovor Maskenkritiker gewarnt haben: Die meisten Menschen wissen nicht, wie mit Masken umzugehen ist. So wie sie jetzt gehandhabt werden, drohen sie, mehr zu schaden als zu nutzen. Wir vermissen eine Plakatierung mit deutlichen Bildern an den U-Bahnen, den Litfaßssäulen, den Geschäftseingängen in Kooperation mit den Medien. Verantwortungsvolle Politik hätte hier zu liefern.

    Exponentielles Wachstum klar gemacht:



    www.youtube.com/watch?v=jWXLNPrVhfw

  • Und so richtig widerlich war das Bild von den im Schlauchbooten feiernden vor einem hastig und mit fehlerhaftem Englisch ans Boot montierten Plakat "I can't breath" (sic).

    "Ey, lass ma noch ne message auf der Party, äh, Demo, bringen...was trendet denn gerade so auf Twitter?"

    • @Suryo:

      Man möchte Schiffe versenken spielen.