Demo 50 Jahre nach dem Vietnamkrieg: „Krieg ist immer noch falsch“
Die Veteranen der alten Friedensbewegung kehren nach Washington zurück. An ihren Überzeugungen hat sich wenig geändert, nur die Jugend fehlt.
Sie schwenkten Fahnen des Vietcong und ließen den wenige Tage zuvor in Bolivien ermordeten Che Guevara hochleben. Einige schafften es, die Stufen bis zu dem Eingang zu dem riesigen fünfeckigen Bürogebäude, der Kriegszentrale, hochzustürmen. Oben wurden sie von Soldaten, Militärpolizisten und Bundespolizisten empfangen, auf deren Gewehren die Bajonette aufgesetzt waren. Ein junger Demonstrant steckte Nelken in die Gewehrläufe der Gleichaltrigen in Uniform.
Die Demonstration war ein Wendepunkt. Zwar schickte die US-Regierung in den folgenden Jahren noch mehr Soldaten, Bomben und Gase in den Krieg, doch zugleich wurde die Antikriegsbewegung immer stärker. Tausende junge Männer verweigerten den Kriegsdienst, flohen nach Kanada und Europa oder gingen eher ins Gefängnis als nach Vietnam.
Ein halbes Jahrhundert nach dem „March on the Pentagon“ sind ein paar Dutzend Veteranen der Antikriegsbewegung erneut an der Nordwestecke des Pentagon zusammengekommen. Dieses Mal stehen sie auf einem Stückchen Wiese, das von mobilen Absperrgittern umgeben ist. Sie sind längst Rentner, und sie wissen, dass sie allenfalls eine Schlacht gewonnen haben. Auf ihren handgemalten Schildern steht: „Krieg ist immer noch die falsche Antwort“ und „Agent Orange tötet weiterhin“. Ein weißhaariger Mann hält eine lange Klageliste hoch, auf der unter anderem zu lesen ist: „Geschäfte mit Kriegen, Invasionen, Besatzungen, Unterstützung von Diktatoren, Unterwanderung von Friedensgruppen und Lügen an das amerikanische Volk“. Titel: „Nicht gelernte Lektionen aus Vietnam“.
Die Jugend fehlt
Mit von der Partie sind der erste Chef der US-amerikanischen Studentenorganisation SDS, Gründungsmitglieder der Yippies, die einst ein Schwein namens „Pigasos“ als Kandidaten für das Weiße Haus nominierten, die ehemalige Navy-Krankenschwester Susan Schnall, die in San Francisco Flugblätter gegen den Krieg über Kasernen abgeworfen hatte, und der Folkmusiker Peter Yarrow. 1967 ist Yarrow wie oft bei Antivietnamkriegsdemonstrationen mit seiner Band Peter, Paul and Mary aufgetreten. Jetzt ist er allein mit seiner Gitarre und singt: „Where have all the flowers gone?“ Er ist 79, er ist kleiner geworden, und das Plektron in seiner rechten Hand zittert. Aber sein Publikum singt ergriffen mit, und seine zwischen die Lieder gesprochene Botschaft ist klar. „Wir werden weiter betrogen“, sagt Yarrow: „Guantánamo, Irak und jener, den wir nicht namentlich nennen [der gegenwärtige US-Präsident, d. Red.], der die Amerikaner gegeneinander aufhetzt“. Unterdessen knirscht es laut in den Walkie-Talkies der Militärpolizisten, die hinter den Absperrgittern wachen.
Ihr Jubiläumstreffen halten die Veteranen ganz ohne junge Leute ab. Die große Bewegung gegen den Krieg, die Ende der 60er Jahre die Sympathie der Mehrheit der US-Amerikaner gewann, ist verschwunden. „Es gibt eine kognitive Dissonanz“, befindet Ex-SDS-Chef Alan Haber, 81: „die Kriegspartei, bestehend aus Republikanern und Demokraten, ist an der Macht, und die jungen Leute befassen sich mit einfacheren Themen, wie dem Klima.“
Ex-SDS-Chef Alan Haber, 81
Andere Gründe kommen hinzu. Die US-Spitze hat Lehren aus Vietnam gezogen. Sie hat den Militärdienst abgeschafft, sie hat die Arbeit von Journalisten auf Kriegsschauplätzen unter Kontrolle gestellt, sie hat die Bilder von heimkehrenden Särgen verdrängt, und sie hat die Kriege auf Fernsteuerung – unter anderem mit Drohnen – umgestellt. Die USA bombardieren zwar in Asien, auf der Arabischen Halbinsel und zunehmend in Afrika, und der US-Präsident droht gerade drei weiteren Ländern – Iran, Nordkorea und Venezuela – mit Krieg, aber nicht einmal 1 Prozent der US-Bevölkerung sind persönlich daran beteiligt. Das ändert die heimische Diskussion.
Der Krieg der Afroamerikaner
In Vietnam starben besonders viele schwarze GIs. Aber die Antikriegsbewegung kam überwiegend aus der weißen Mittelschicht. Die wenigen schwarzen Demonstranten beim March on the Pentagon trugen Transparente mit der Aufschrift: „Kein Vietnamese hat mich je Nigger genannt.“ Im Sommer 1967 hatte es Dutzende von Unruhen quer durch Städte der USA gegeben. Fast immer war der Auslöser Polizei- und andere rassistische Gewalt. An dieser Front waren die meisten afroamerikanischen Aktivisten tätig.
Clay Claiborne nennt es „den Krieg gegen Black America“. Mit 18 war er allein von St. Louis in Missouri nach Washington gereist, um vor dem Pentagon zu demonstrieren. Nach seiner Rückkehr wurde er Studentenpolitiker und landete wegen zivilen Ungehorsams gegen den Krieg im Gefängnis. 2017 ist er erneut einer der jüngsten Teilnehmer des Treffens und der einzige Afroamerikaner. Im Interview sagt er: „Die Linken in diesem Land unterschätzen bis heute die weiße Macht.“
Bis zum Tag des March on the Pentagon waren 28.000 US-Soldaten in dem Krieg in Südostasien gestorben. Weitere 30.000 sollten es bis zum Kriegsende im Jahr 1975 werden. Zum Abschluss ihres Treffens besuchen die Antikriegsveteranen die schwarze Mauer in dem Park im Zentrum, die die Namen der getöteten trägt. Es ist eine lange und grausame Liste. Doch weder jene US-Soldaten, die nach ihrer Rückkehr an den Kriegsfolgen starben, noch die Namen der Menschen, die in dem US-Krieg in Vietnam, Laos und Kambodscha ums Leben kamen, sind aufgelistet. Ihre Zahl wird auf weit über drei Millionen geschätzt.
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