Defizite im Gesundheitssystem: Keinen Cent zu viel
Patient:innen sollen heute wenig Kosten. Statt Heilung steht Profit im Vordergrund. Darüber sprechen will kaum jemand – aus Angst.
rzt:in ist ein wunderbarer Beruf. Man kann Menschen helfen, heilen, trösten. Menschen sehen, Vertrauensperson sein. Das Glück mitempfinden, wenn ein Mensch gesund geworden ist, den man begleitet hat. Aber oft lässt das System nicht zu, dass Ärzt:innen ihren Beruf leben, wie er eigentlich gedacht war. Einer der wichtigsten Gründe: Gesundheit ist zur Ware geworden. Eine Ware wie ein Auto oder Toilettenpapier. Eine Ware, die Gewinn bringen soll. Kaputt gehen dabei die Patient:innen. Kaputt gehen dabei aber auch Ärzt:innen und Pflegekräfte.
Patient:innen sollen so wenig wie möglich kosten und so viel wie möglich Geld bringen. In einer SWR-Doku aus dem vergangenen Jahr erklärt der Chefarzt einer Berliner Klinik, wie das in der Praxis aussieht: Wenn er auf Visite geht, hat er einen Computer dabei, auf dem die Diagnosen der Patient:innen stehen. Dort stehen auch die Kosten, die die:der Kranke bisher verursacht hat. Wenn die:der Patient:in zu teuer ist, steht das auch dort. Während der Arzt Patient:innen gegenübersteht, muss er wissen, wie viel Erlös sie dem Klinikum bringen. Ablesen lässt sich das an den sogenannten DRGs.
DRG bedeutet Diagnosis Related Group. Das bedeutet verkürzt, dass jeder Diagnose eine Fallpauschale zugeordnet wird, ein bestimmter Betrag für diese oder jene Krankheit. In einem Radio-Feature, auch des SWR, erklärt eine andere Ärztin, dass es in Kliniken extra Codier-Expert:innen gibt, die nur dazu da sind, um zu schauen, mit welchen Erkrankungen das Krankenhaus Geld verdienen kann. Die Ärztin erklärt, wie das läuft: „Dann steht ein Codier-Experte hinter mir und sagt: ‚Mensch, der ist jetzt aber schon ganz schön lange hier‘ oder ‚Da kriegen wir aber jetzt nicht viel Geld für. Können wir nicht gucken, ob der noch eine andere Diagnose hat, die vielleicht noch ein bisschen mehr Geld bringt?‘“
Schweigen aus Angst
Offen sprechen darüber die wenigsten Ärzt:innen, aus Angst, dass es ihrer Karriere schaden oder ihren Job gefährden könnte. Es gibt aber eine Vereinigung von Ärzt:innen, die sich wehren: Die Bunten Kittel. Sie demonstrieren und klären auf, wie vergiftet das System ist. Auf ihrer Webseite gibt es anonym verfasste Berichte von Ärzt:innen über ihren Arbeitsalltag. Ein:e Ärzt:in schreibt: „Dass bei Entscheidungen über die Gesundheit eines Menschen finanzielle Interessen Außenstehender eine signifikante Rolle spielen und sich Profite mit kranken Menschen machen lassen, möchte ich nicht als Normalität akzeptieren.“
Das Problem: Es ist schon Normalität für die vielen Ärzt:innen und Pflegekräfte, die in diesem System verheizt werden, weil an Personal gespart wird und weil sie Menschen nicht wie Menschen, sondern wie Maschinen am laufenden Band behandeln müssen. Die perverse kapitalistische Logik lässt keine Zeit für Gespräche, für Fürsorge, für das, was den ärztlichen Beruf eigentlich zum schönsten Beruf der Welt macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht