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Debütroman von Ilona HartmannVertraut wie ein Spiegelbild

Es geht auch ohne ihn. Ilona Hartmann erzählt in „Land in Sicht“ amüsant von einer Schifffahrt und untragisch von einer Vatersuche.

Roman „Land in Sicht“: Eine junge Frau ist unterwegs auf einer Flusskreuzfahrt und sucht ihren Vater Foto: imagebroker/Franz Walter/imago

Woran man merkt, dass man endgültig in einer Blase lebt? Wenn in scheinbar jeder Instagram-Story, die man sich dieser Tage anschaut, das gleiche Buch in die Kamera gehalten wird. Meist mit viel Sonnenschein und einem mehr oder weniger fließenden Gewässer im Hintergrund.

Zugegeben, der Titel von Ilona Hartmanns Debütroman bietet sich dafür an: „Land in Sicht“, das klingt erst mal nach Schifffahrt, nach Meeresbrise und sommerlicher Leichtigkeit. Es klingt aber auch nach einer Suche, die sich einem langersehnten Ende nähert. Zwei Ansätze, die erst mal nicht viel gemein haben, die Hartmann in ihrem Roman aber zu verweben weiß.

Da ist zunächst die Geschichte einer jungen Frau, die ihren Vater sucht. Jana Bühler ist 24 und hat ihren Erzeuger bisher noch nie gesehen. Nicht einmal seinen Namen weiß sie, findet ihn aber wie selbstverständlich im Adressbuch der Mutter, „ganz nüchtern eingetragen, zwischen einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt aus der Kreisstadt und dem Nachbarn gegenüber“.

Seinen Verbleib verrät das Internet: Kapitän auf einem Flusskreuzfahrtdampfer ist der bisher Verschollene. Wobei verschollen wohl ein vorheriges Vermissen impliziert, und das kann Jana nicht von sich behaupten. „Ich vermisste nichts und schon gar nicht diese unkonkrete Person.“ Genug Probleme habe es auch ohne ihn gegeben. Und heißt es nicht; man kann nicht vermissen, was man nicht kennt?

Das Buch

Ilona Hartmann: „Land in Sicht“. Blumenbar, Berlin 2020, 160 Seiten, 18 Euro

Doch wie wenig allgemeingültig das ist, besonders wenn es um menschliche Bedürfnisse geht, lernt Jana durch einen Freund. Nachdem dieser von der ersten Begegnung mit seinem Erzeuger und der damit verbundenen seelischen Wundheilung berichtet, erwacht in der jungen Frau eine nicht gekannte Sehnsucht. Bis dahin war die Nichtexistenz einer Vaterrolle, was ihre Normalität ausmachte. Plötzlich tauchen sie aber überall auf; Väter in ihren unterschiedlichsten Facetten.

Hartmann, 1990 bei Stuttgart geboren und heute in Berlin lebend, verarbeitet in ihrem Debüt zu Teilen ihre eigene Geschichte. Wie Jana lernte sie ihren Vater erst in späteren Jahren kennen – ist sogar mit ihm auf einem Flussdampfer gereist, wie sie bei Deutschlandfunk Kultur erzählt. Anders als ihre Protagonistin kannte sie ihn zu diesem Zeitpunkt allerdings schon.

Auf Instagram zeugt ein Foto von der Donaufahrt vor zwei Jahren mit Hartmann im Schaltraum. Durchs Fenster ist eines von zwei Ufern zu sehen, deren räumliche Begrenzung sie in ihrem Roman als maßgebliches Merkmal einer Flusskreuzfahrt beschreibt: „[dadurch] entsteht hier gar nicht erst der Eindruck unbegrenzter Freiheit.“

Das titelgebende Gefühl wird dadurch zwar etwas entzaubert – die Meeresbrise bleibt reine Wunschvorstellung –, doch über eine Schiffsreise von Passau nach Wien und zurück hat sonst sicher noch niemand so amüsant geschrieben.

Pragmatismus auf der MS Mozart

Statt den, wie von Jana vorab erdacht, Tausenden Gästen, Kristallkronleuchtern, Casinos, diversen Pools, fantastischen Exzessen und Cocktails mit Schirmchen erwartet sie und den*die Leser*in purer Pragmatismus auf der MS Mozart. „Es ist die ideale Art zu Reisen für Menschen, die noch ein bisschen von der Welt sehen wollen, aber bitte nicht zu viel“, schreibt Hartmann.

Und so befinden sich neben der 24-jährigen Jana vor allem Rentner*innen an Bord. Und natürlich der gesuchte und gefundene Vater Milan, dem sich Jana erst mal als normale, wenn auch unterdurchschnittlich junge Gästin zu erkennen gibt.

Autorin Ilona Hartmann: „Land in Sicht“ ist ihr erster Roman Foto: Hella Wittenberg/Aufbau Verlag

Etwas abgeschmackt in rotem Sakko und Schuhen aus Krokodillederimitat kommt er daher und doch, eine Ähnlichkeit fällt Jana sofort auf: „Etwas in der Art, wie er dasteht und die Umgebung sich um ihn herumlegt, ist vertraut wie ein Spiegelbild.“ Obwohl das Aufwachsen ohne Vater einschneidend sein mag, verliert sich Hartmann sprachlich nie in Schwermut.

Fast schon nüchtern stellt sie Janas anfängliche Erwartungshaltung an den Unbekannten der Realität gegenüber: „Das Gefühl für den Vater ist flüchtig. Wenn er etwas tut, das ich ablehne, ist er schnell nicht mehr mein Vater, sondern nur noch ein fremder Mann.“ Statt sich erwartbarerweise stark auf das Fehlen eines Elternteils in der Kindheit zu versteifen, hebt Jana er­freulicherweise ganz deutlich die großartige Leistung der alleinerziehenden Mutter hervor, die sich immer „breitbeinig“ in eine vermeintliche Lücke stellte.

Instagram trifft Roman

Mit den knapp 160 Seiten ist „Land in Sicht“ zwar recht kurzgehalten – für Hartmann, die sonst für ihre pointierten Tweets und Posts bekannt ist, aber doch ein Meilenstein. Ihrem Wortwitz, mit dem sie als @zirkuspony auf Twitter und STABILO BOSS auf Instagram aktiv ist, verdankt Hartmann überhaupt erst ihr Debüt. In einem Interview verriet sie, dass ihre Lektorin sie über Instagram angeschrieben und gefragt habe, ob sie sich nicht auch vorstellen könnte, einen Roman zu ­schreiben.

Abschreckend bleibt einzig eine verlagsinterne Entscheidung, den hinteren Buchdeckel statt mit einer Zusammen­fassung von Zitaten vermeintlich wichtiger Stimmen zu zieren. Diese Lobhudelei schreit so sehr „kauf mich!“, dass einem beinah die Lust daran vergeht. Das ist ein bisschen schade, denn Ilona Hartmanns Debüt lohnt auch ohne Werbung durch die Roches und Rönnes dieser Welt.

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