Debattenkultur in Deutschland: Zeit des Missvergnügens
Trump, Özil, Asyltouristen – dieses Land ist im Begriff, sich an selbstzerstörerische kommunikative Standards zu gewöhnen. Helfen könnte der alte Kant.
Du bist Abfall – so was sagt man nicht. Auch nicht als Erwiderung, sollte das Gegenüber auf die Idee verfallen, mich, dich, uns oder Sie als Person so zu bezeichnen. Menschen sind kein Abfall. Nie. Männer, Frauen, Transgender: nie. Niemand verdient es, so genannt zu werden. Dass es trotzdem passiert, beweist nicht, dass es ab jetzt eben geht. Sondern dass im Miteinander inzwischen ein weiterer Standard geschleift worden ist.
Warum muss etwas derart Banales hier klargestellt werden? Unter dem Schlagwort #MenAreTrash (Männer sind Abfall) ist in der Internetblase Twitter ein Streit hochgekocht zu der Frage, ob Männer nun Abfall sind. Oder ob nicht. Obwohl sich dabei vor allem Männer in der … nun, sagen wir: Debatte … also, obwohl sich da vor allem Männer von ihrer unterirdischsten und frauenverachtendsten Seite präsentieren, ist es eine Frage der Selbstachtung, sich nicht auf eben dieses Niveau zu begeben.
Um geschlechterpolitisch etwas zu bewegen, braucht es Gleichgesinnte. Doch jene, die mit der Aktionsform der Schmähung gewonnen werden, wollen ausschließlich skandalisieren. Und jene Männer und Frauen, die Geschlechtergerechtigkeit längst leben, werden brüskiert. Das führt zu genau: nichts.
Nur zu, nennen Sie diese Sicht auf die Dinge altmodisch. Oder konfliktscheu. Aber bei Auseinandersetzungen – erst recht bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – hilft im Zweifel der gute alte Kategorische Imperativ des Philosophen Immanuel Kant: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Griffiger formuliert: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Noch kürzer: Heute die, morgen du.
Unterste Standards
Es ist gar nicht nötig, sich zu fragen, ob das jeweilige Gegenüber Schmähungen zu ertragen bereit ist. Es reicht völlig, sich zu vergegenwärtigen, dass man selbst nicht gedemütigt werden möchte. Und dass man aus dieser Erkenntnis heraus ethisch handelt.
Mit Blick auf den zurückliegenden Sommer muss leider festgestellt werden, dass der Ton der gesellschaftlichen Debatte immer kränkender geworden ist. Und dass dieses Land beginnt, sich an unterste Standards zu gewöhnen.
In Washington koffert US-Präsident Donald Trump seine Kritiker an. In Deutschland schwadroniert Markus Söder über Geflüchtete als „Asyltouristen“. Ein Fußballer mit Zuwanderungsgeschichte wird durch den Meinungsfleischwolf gedreht. In der #MeTwo-Debatte um rassistische und klassistische Diskriminierungserfahrungen weicht das Zuhören alsbald fiesen Bezichtigungen.
Man kann das natürlich so machen: Gruppen markieren und so lange beleidigen, bis sie zurückschlagen. Rechthaberisch auftreten, Debattenräume weiträumig abriegeln, Zweifelnde der Kollaboration bezichtigen und sich selbst zum Opfer der eigenen Skandalisierung stilisieren. Aber was macht das mit uns als Gesellschaft?
Keine Macht dem Stilverlust
„When they go low we go high.“ Diesen klugen Satz sagte Michelle Obama im letzten Präsidentschaftswahlkampf. Den ethischen Grundsatz, dem Gegner nicht den Gefallen zu tun, sich auf dessen Niveau herabzulassen, leitete sie aus dem Umgang mit ihren Töchtern ab. „Sprache bewirkt etwas“, sagte Obama, „was wir tun und sagen, bedeutet etwas.“
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Und ja, das tut es. Den Ton auf schrill zu stellen und diesen Stilverlust als neuen Standard zu proklamieren schließt all jene aus, die in der Sache auch etwas beitragen könnten. Die es aber nicht wollen, solange das Prinzip gilt: „Wer schreit, hat recht.“
Die Wut anderer wahllos und in immer kürzeren Abständen zu triggern führt zur Gewöhnung an einen ohne jeden politischen Effekt verpuffenden Aufruhr. Es macht einen Unterschied, ob Meinungen jemandem vor den Latz geknallt werden oder gleich unter die Gürtellinie gehen. Und es macht so müde, das überhaupt noch aufschreiben zu müssen.
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