Aktualisierte Söder-Biografie: Märchenonkel, Märchenprinz
Eine Biografie erklärt den Aufstieg des CSU-Chefs Markus Söder vom belächelten PR-Heini zum „Schattenkanzler“. Sein Talent: geduldiges Abwarten.
Immerhin drei Menschen hatten in diesem Jahr Glück: Markus Söder, der vom belächelten Provinzheini zur beliebtesten Führungskraft der Union aufstieg, und seine Biografen, die SZ-Autoren Roman Deininger und Uwe Ritzer, die davon profitieren. Völlig zu Recht.
Da man dem fränkischen Ober-Bayern inzwischen alles zutraut, von der eigenhändigen Vertreibung der Corona bis zur Nachfolge der Kanzlerin, wurde die Biografie flugs aktualisiert und umbenannt. Statt „Politik und Provokation“ heißt die Neuauflage jetzt „Der Schattenkanzler“. Das klingt natürlich spannender. Wie kann es sein, dass ausgerechnet der Märchenonkel Söder, dem früher kein konservatives Klischee zu altmodisch und kein „Asyltourist“ zu populistisch war, plötzlich als Märchenprinz gilt, der mit Robert Habeck turtelt?
Roman Deininger/Uwe Ritzer: „Markus Söder. Der Schattenkanzler“. Droemer Verlag, München 2020, 382 Seiten, 18 Euro
Über Söders Staatsmannwerdung staunen auch seine Biografen, die so viele peinliche Auftritte des egomanischen Angebers miterlebten, und hinreißend komisch beschreiben. Ein Höhepunkt: Die Rettung bayerischer Zugvögel vor italienischen Jägern durch den damaligen Umweltminister Söder 2009.
Leider entpuppt sich der aus einem Käfig am Gardasee befreite Piepmatz bei näherem Hinsehen als Grünfink, der gar kein Zugvogel ist. Aber egal. Hauptsache, Söder bekam wieder ein Heldenfoto in der Bild – und einen Beleg, dass seine heutige Grünen-Liebe nicht aus heiterem Himmel kam.
Keine Chance für Rivalen
Sehr amüsant zu lesen ist auch die Beschreibung der dilettantischen Versuche seiner CSU-Rivalen, den Aufstieg Söders zu verhindern. Man lernt, warum sie keine Chance hatten.
Da ist einmal das Unterhaltungstalent, das Söder von all den Biedermännern und -frauen in der Politik abhebt. Aber auch extremer Fleiß, den sich die Biografen mit Söders Herkunft als Maurersohn erklären. Ihm sei nie etwas in den Schoß gefallen wie dem Freiherrn zu Guttenberg. Söder habe sich hochgekämpft, diszipliniert und alkoholfrei.
„Das Prinzip Söder, und mithin all die PR-Gags und Peinlichkeiten, funktioniert nur, weil er sich in der täglichen Arbeit kaum eine Blöße gibt“, konstatieren Deininger und Ritzer, die auch seine brutale Härte schildern, von der einige aus dem Weg geräumte Ex-Gefährten eindrucksvoll berichten.
Als größtes Erfolgsgeheimnis aber stellen die Autoren Söders Lernfähigkeit heraus, die Bereitschaft, sich auch mal reuevoll zu korrigieren, was ihn vom sozialpolitisch eher linken, aber migrationspolitisch rechten Sturkopf Seehofer unterscheidet. Söder war immer schnell da, wo sich die Mehrheit gerade hindreht. Auch deshalb gilt Seehofer immer noch als Schurke und Söder als Versöhner.
Will er Kanzler werden?
Als harter Coronabekämpfer hat Söder erstmals ein großes Thema, bei dem er konsequent scheint. Auch sein Anti-AfD-Kurs wirkt glaubwürdig. Ob er so mittig bleibt? Gut möglich, meinen die Biografen. Als Ministerpräsident habe er sein großes Ziel erreicht, und er sei gern „endlich einmal der good guy“.
Aber will er Kanzler werden? Da sind auch die Söder-Experten überfragt. Sie bescheinigen ihm nur ein weiteres Talent: geduldig abwarten zu können. Söder würde dazu wohl sagen, was er schon oft gesagt hat: „Herzlichen Dank für die lobenden Worte. Sie waren angemessen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett