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Debatte zum VölkerrechtDas Recht des Stärkeren

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Völkerrechtswidrig oder nicht – die Debatte über die Angriffe der USA und Israels ist müßig. Nicht Gerichte entscheiden darüber, sondern Staaten.

Die Falken der USA sind vielfältig, ob Po­li­ti­ke­r*in­nen oder Flaggen, immer stehen sie für das Recht des Stärkeren Foto: Alex Brandon/AP

K aum eine Frage ist gleichzeitig so eminent wichtig und vollkommen müßig wie die, ob die Angriffe Israels und der USA auf Iran vom Völkerrecht gedeckt sind. Einerseits ist das von elementarer Bedeutung. Das Gewaltverbot der UN-Charta ist – zumindest in der Theorie – das einzige Rechtsprinzip, das verhindert, dass Staaten nach Lust und Laune Krieg führen, um politische, ökonomische oder territoriale Ziele zu erreichen.

Das Völkerrecht kennt nur zwei Ausnahmen für die Anwendung militärischer Gewalt: unmittelbare Selbstverteidigung oder vorherige Billigung des UN-Sicherheitsrats. Letztere gab es nicht, und dass nur ein militärischer Präventivschlag Iran von einem unmittelbar bevorstehenden, womöglich nuklearen, Angriff abhalten konnte, kann Israel nicht glaubhaft behaupten. Die USA versuchen es gar nicht erst. Der republikanische Senator und „Falke“ Lindsey Graham sagt nur, das iranische Regime habe „es verdient“. Das hat mit Völkerrecht nun gar nichts zu tun.

Genau das ist allerdings, andererseits, auch der Grund, weshalb es müßig erscheint, sich über die Frage der Völkerrechtswidrigkeit in längere Debatten zu begeben: Es wird andauernd verletzt. Denn es ist in der realen Welt nicht das Recht, das Staaten daran hindert, ihre Interessen militärisch durchzusetzen, sondern die Frage der Machbarkeit und der möglichen Konsequenzen. Das Recht des Stärkeren ist zu keinem Moment vom Völkerrecht abgelöst worden.

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Dazu kommt: Kein Rechtssystem bewegt sich im politischen Vakuum, aber das Völkerrecht vermutlich am allerwenigsten. Beispiel Nato-Einsatz im Kosovokrieg 1999: Hätten USA und die Nato damals die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates gesucht und bekommen, wäre genau der gleiche Einsatz vollkommen rechtmäßig gewesen. Weil sie – vermutlich zu Recht – ein russisches Veto erwarteten, haben sie den Sicherheitsrat nicht einmal darüber abstimmen lassen; damit war der Einsatz klar völkerrechtswidrig. Kein Gericht entscheidet, sondern ein politisches Gremium. Und es ist so zusammengesetzt, dass es Macht abbildet – das Recht des Stärkeren eben.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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10 Kommentare

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  • Staaten, die Völkerrecht brechen, berufen sich nicht auf Recht, sondern verstecken sich hinter Propaganda Völkerrechtsbruch als heroischer Tat – auf der Flucht vor Strafgerichtshöfen, Wahrheitskommissionen, dem Urteil der Geschichte. Nie war Bruch Völkerrechts so global adressiert wie heute – in Ukraine, Nahost, Jemen, Sudan, Westsahara. Männer, die mit fossilen Energien die Welt verbrennen (vgl. Prof. Christian Stökers Buch von 2024), blockieren durch militärisch-ökonomische Mittel die Klimatransformation, verschleppen sie. Ihre fossilen Geschäftsmodelle dauern seit 200 Jahren an, nun noch befeuert von rüstungsgetriebenem BIP-Wachstum. Der 1920 gegründete Völkerbund scheiterte mangels Exekutivmacht, weil der US-Kongress den Beitritt verweigerte – u. a. durch US Verweigerung Japans Antrag auf Rassengleichheit zuzustimmen, Festhaltens an Rassentrennung. 1956 leitete UN Generalsekretär Dag Hammarskjölds innovative Diplomatie überraschender Gründung und Einsatz der Blauhelmsoldaten im Suezkonflikt, Entzerren der Konfliktparteien, Schaffung Schutzzone, Rückkehr zum Völkerrecht ein. 1905 stiftete US Präsident Theodor Roosevelt noch vor Völkerbund im japanisch-russischem Krieg Frieden

  • Die mächtigen Staaten dieser Erde stören sich allein schon an der Existenz des Völkerrechts. Denn sie wollen ihre überlegene Bewaffnung und Wirtschaftskraft gegen widerborstige Staaten und Regionen so einsetzen, wie sie wollen.

    Um das Völkerrecht und jede Regelbasiertheit auszuhebeln, erfinden jene Staaten deshalb z.B. Bedrohungen, die es nicht gibt und schlagen dann militärisch und mit Wirtschaftskriegen los.

    Die Trumps, Ruttes, Merzens Starmers wachsen dabei in den führenden Staaten quasi an den Bäumen. So bleiben Kriegstreiberei und Sozialabbau auch in Zukunft garantiert und man kann es ganz bequem "den Bösen das draußen" in die Schuhe schieben, welche ja auch einfach nicht aussterben.

    Rutte ist übrigens kein "Untertan", ebenso wenig wie Merz. Beide tun nur so; sie spielen ihre Rolle der vermeintlichen Unterwerfung geradezu lustvoll, weil die Politik von Trump absolut kompatibel ist mit dem, was die führenden europäischen Staatslenker wollen.

    Es geht um Ausweitung der globalen Dominanz und um das Beseitigen jeglicher Störfaktoren dabei.

    Das ist mit Drecksarbeit gemeint im Sinne von "Wo gehobelt wird, da fallen Späne."

  • Das Völkerrecht schützt niemanden. Weder die Ukraine vor Russland noch Israel vor der Hamas. Der Historiker Michael Wolffsohn sagte treffend: „In der Bekämpfung des Terrorismus gibt es überhaupt keine völkerrechtlichen Maßstäbe.“ Auch Assad in Syrien hat trotz schwerer Völkerrechtsbrüche: Chemiewaffeneinsatz, Folter, Angriffe auf Zivilisten, keine echte Konsequenz erfahren. Der Iran unterstützt Terrororganisationen wie die Hisbollah und Hamas, untergräbt UN-Sanktionen und mischt sich militärisch in Konflikte ein, etwa in Syrien und Jemen ebenfalls völkerrechtswidrig. Dennoch bleibt internationale Reaktion oft zahnlos. Das Völkerrecht formuliert Normen, aber ohne Machtmittel. Es gibt kein Weltgericht mit Polizei. Wer sich auf Regeln verlässt, steht im Ernstfall allein da. Die Ukraine wird nicht durch Paragraphen verteidigt, sondern durch Waffen und Unterstützung. Israel schützt sich nicht mit Recht, sondern mit Stärke. Das Völkerrecht bleibt moralischer Anspruch ist aber kein Schutzschild. Bitter, aber real.

  • So sieht es aus. Staaten sind die Souveräne nicht die "internationale Gemeinschaft".

    Übrigens sollten wir froh sein dass es so ist. Die Mehrheit der Staaten/Menschen gehört nicht westlich-demokratischen Ländern an. Wäre die Weltpolitik demokratisch, würden die ethischen Spielregeln von Diktatoren und Religiösen festgelegt.

  • Solange die Vereinten Nationen keine Macht haben die Staaten die Grenzen aufzuzeigen wird sich nichts ändern.

  • Dass sich Verbrecher über Gesetze und Vorschriften hinweg setzen ist nichts Neues.



    Dennoch wird, in diesem Zusammenhang, nicht vom "Versagen des Rechtssystems" gesprochen.



    Gesellschaften arbeiten mit gemeinsamen Normen und Regeln.



    Auch Staatenlenker setzten sich darüber hinweg.



    Das ist bitter, allerdings nicht ( direkt) zu verhindern.



    Falsch ist jedoch, die Übertretung der gemeinsamen Übereinkunft, wie hier dem Völkerrecht, gut zu heißen.



    Das haben Merz und Wadephul getan.



    Ein großer Fehler.



    Die Union mag versucht sein, trump mit Kniefällen zu besänftigen, doch das ist nicht nur peinlich, sondern auch verfehlt.



    Trump versteht, putinähnlich, nur Stärke.



    Merz demonstriert hingegen Unterwürfigkeit.



    Das macht aus den USA nicht wieder den Partner, auf den wir bauen können.



    Zur Verteidigung der Demokratie gehört zuerst, sie auch verbal zu verteidigen.



    Wenn Merz es noch nicht einmal für nötig hält, das Völkerrecht zu verteidigen, wird sein Mißverhältnis zur Demokratie offenbar.



    Mein Kanzler ist er nicht!

  • Leider wurden wir angelogen beim Kosovokrieg von Herrn Scharping. Es gab keine Konzentrationslager. Ich empfehle die Dokumentation vom WDR, "Es begann mit einer Lüge".

  • Genau das ist das Problem am Völkerrecht: es fehlt die unabhängige Gewalt, die es zur Not global durchsetzen kann, auch und vor allem gegen die USA.

    Damit ist es ein Papiertiger.

  • "Das Recht des Stärkeren ist zu keinem Moment vom Völkerrecht abgelöst worden"

    Nur bitte nicht verwechseln mit dem Recht zur Kriegsführung wie es das klassische Völkerrecht noch kannte. Das wurde im modernen Völkerrecht durch das Gewaltverbot ersetzt und daran gibt es auch nichts zu rütteln.

    Was der Autor beklagt ist im Grunde so alt wie die UNO. Die Großmächte konnten schalten und walten wie sie wollten und zwar aufgrund der mangelnden Geschlossenheit der kleineren Staaten. Die betrieben meist auch nur Interessenspolitik in eigener Sache und ließen sich bereitwillig von den Großmächten für deren Zwecke einspannen, wenn es zum eigenen Vorteil war.

    Hätten diese Staaten nach Ende des Kalten Krieges mehr auf Bündnisse und Kooperationen untereinander gesetzt, wären sie nicht so leicht in den Einflussbereich der USA, Russlands oder China geraten.

    Aber gerade China arbeitet daran dieses Verhältnis noch zu intensiveren. Besonders in Afrika und Asien. Und Europa hat in den USA nicht nur den größten Handelspartner sondern auch die einzige Schutzmacht. Von einer derartigen Abhängigkeit kann es sich nicht von heute auf morgen frei machen.



    Stark nur wegen der Unterstützung der Schwachen.

    • @Sam Spade:

      Die 1990er waren ein Höhepunkt internationaler Kooperation und dem Ausbau globaler Institutionen. Die gegenwärtige Krise des Völkerrecht ist, jenseits aller grundsätzlichen Grenzen und Unzulänglichkeiten einheitlkcher Internationaler Regeln in einer pluralen Welt von 190 Staaten , einfach damit zu erklären dass die Regierungschefs von zwei der drei mächtigsten Staaten der Welt vollkommen ungeniert ihre zynische Verachtung für das Gewaltverbot und jede regelbasierte rationale Ordnung 24/7/365 betreiben.