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Debatte um Werbung im JournalismusWenn Anzeigen zu Inhalten werden

Medien sind seit jeher immer auch werbefinanziert. Doch wie viel Werbung verträgt Journalismus? Eine neue Debatte um ein altes Paradox.

Die klassische Printwerbung wird rarer – Anzeigen machen jedoch auch inhaltliche Aussagen Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

E rinnert sich noch wer an die goldenen Zeiten der Zeitungen? So um das Jahr 2000 sorgte die Digitalisierung bei den gedruckten Zeitungen für enorme Gewinne. Denn die neuen Netzeroberer brauchten die gedruckte Presse, um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Natürlich war das auch Thema in den Artikeln, in erster Linie aber ging es um Anzeigen. Die Übernahmeschlacht von Mannesmann und Vodafone bescherte beispielsweise den überregionalen Blättern Millioneneinnahmen. Na gut, die taz gehörte nicht zu den Profiteuren.

Die anderen Zeitungen wurden dafür dicker und dicker. Die Süddeutsche soll sogar auf Werbeseiten verzichtet haben, weil sie ihren Umfang wegen mangelnder Druckkapazitäten nicht erweitern konnte. Und den redaktionellen Teil zugunsten der Reklame wollten sie dann doch nicht eindampfen. Anzeigen generell abzulehnen wäre damals wohl keinem Verlag in den Sinn gekommen.

Auch in der taz gab und gibt es immer wieder die Debatten, bestimmte Werbung aus inhaltlichen Gründen abzulehnen. Es geht um die Bundeswehr, RWE oder Autokonzerne. Und die verlegerische Haltung sagt: mitnehmen, was immer geht, erst recht Werbung für die Bild-Zeitung.

Heute ist die Werbung ins Netz abgewandert, und die Kasse klingelt in erster Linie bei Google und Facebook. Gerade weil die klassische Printwerbung rarer wird, geht einigen hier und da ein Licht auf. Anzeigen machen nämlich auch inhaltliche Aussagen.

Kein neues Paradox

Und die Frage ist, ob sich diese Aussagen mit der redaktionellen Linie vertragen – oder zu gegensätzlich sind, wie es meistens bei der taz der Fall ist. Sollte also auf bestimmte Anzeigen verzichtet werden, um in der Klimadebatte den grünen Fußabdruck zu behalten? Nein, sich kritischen Journalismus von denen mitfinanzieren zu lassen, über die dann frech geschrieben wird, geht sehr in Ordnung.

Dieses Paradox ist alles andere als neu. Vor gut 100 Jahren debattierten Verlage und Redaktionen schon heftig über Sinn und Gefahr der Werbung. „Das beste Mittel, der deutschen Presse ihre idealen Aufgaben zu erhalten, wird sein, sie unabhängig zu machen von dem überwuchernden Anzeigengeschäft, das der Korruption nur zu leicht Tür und Tor öffnen kann“, schrieb 1918 der Chefredakteur des Düsseldorfer Tageblatts. Es kam bekanntlich anders. Die Digitalisierung sorgt jetzt für den Umkehrschwung. Mies fürs Geschäft, aber gut für unabhängigen, kritischen Journalismus.

Die Mitbewohnerin kann das nicht überzeugen. Sie sagt, die Presse könne nie unabhängig sein. Sie hänge von den Entscheidungen der Chef­re­dak­teu­r*in­nen, von Zielgruppen und natürlichen den „Werbepartnern“ ab. Aber sie ist ja auch unabhängig und die kritischste Person, die ich kenne.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"