Debatte um Polizeigewalt in Braunschweig: Demo vor dem Gruselkeller der Polizei
In Braunschweig formiert sich Protest gegen Übergriffe der Polizei. Die dokumentiert ihr sonderbares Verhältnis zur Gewalt mit eigenwilligem Humor, streitet die aktuellen Vorwürfe jedoch ab.
BRAUNSCHWEIG taz | Die Fronten sind klar bei der Kundgebung gegen Polizeigewalt am Mittwochnachmittag vor der Polizeidirektion Braunschweig. Auf dem Bürgersteig vor der Schill-Kaserne stehen rund 40 DemonstrantInnen, hinter einer Schranke etwa zehn PolizistInnen, die Arme vor der Brust verschränkt. Argwöhnisch beäugen sie die Frauen und Männer, die mit Kreide "Folterinstitut" und "Prügeltruppe" auf die Pflastersteine schreiben.
Gekommen sind sie, um eine Frau und vier Männer zu unterstützen, die hier in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni in Polizeigewahrsam waren. Sie berichten von Schlägen und Tritten, Beleidigungen, gewaltsamem Entkleiden, erzwungenen Blutabnahmen und einer Wohnungsdurchsuchung ohne richterlichen Beschluss (taz berichtete).
Karl Schmidt* war als Erster in Gewahrsam genommen worden. Verletzungen am Daumen, Wunden an den Knien, Beulen an Stirn und Jochbein habe er sich nach seiner Nacht in der Polizeidirektion ärztlich attestieren lassen, sagt er. Er zeigt dicke Blutkrusten an seinen Knien und einen Einstich am Arm. "Abschaum" hätten die Polizisten ihn genannt und gedroht: "Wenn du nicht kooperierst, brechen wir dir den Arm oder machen dir die Hoden ab."
Die jüngsten Berichte über Missstände im Braunschweiger Polizeigewahrsam sind kein Einzelfall.
Beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist eine Beschwerde der Umweltaktivistin Cecile Lecomte, genannt Eichhörnchen, über die Haftbedingungen.
In vorbeugendem Langzeitgewahrsam war Lecomte dort während der Castortransporte 2008 für dreieinhalb Tage.
Sie berichtet von ausländerfeindlichen Sprüchen und männlichen Polizeibeamten, die sie zum Toilettengang begleiteten.
Tag und Nacht brannte das Neonlicht in Lecomtes Gewahrsams-Zelle, täglich hatte sie eine halbe Stunde Ausgang an der frischen Luft - mit Handfesseln.
Schmidt war vergangene Woche Zeuge einer Personalienüberprüfung in der Braunschweiger Weststadt geworden. "Was bei der Kontrolle passiert" habe er wissen wollen. Daraufhin sei er festgenommen worden. Schmidts FreundInnen erkundigten sich bei der Polizeidirektion nach ihm. Man habe sie warten lassen, sagen sie. "Polizeistaat" malten sie mit Kreide auf den Boden - und wurden prompt auch einkassiert.
Polizeisprecher Joachim Grande hatte die Vorwürfe gegenüber der taz zunächst als "Blödsinn" bezeichnet. Davon ist er mittlerweile abgerückt. "Wir werden nichts vertuschen", sagt er. Bereitwillig zeigt er den Flur des Gewahrsams im Keller der Polizeidirektion. Bilder hängen an der Wand: Ein Gefangener, gefesselt auf einer Zellenpritsche. Daneben, säuberlich gerahmt, eine Delle in der Wand, unter der steht: "Kopfstoß gleich kopflos". Da habe vermutlich ein Gefangener seinen Schädel vor die Wand gehauen, erklärt Grande. Warum die Delle immer noch da ist? Um die zu entfernen, brauche es Geld von der öffentlichen Hand, meint er. "Für Spachtelmasse."
Weil er einem Platzverweis nicht folgte und seine Personalien nicht angeben wollte, habe die Polizei Schmidt vor einer Woche in Gewahrsam genommen. Unter "Gefahrenabwehr-Gesichtspunkten". Leibesvisitationen, Blutentnahmen und Fixierungen gebe es durchaus im Polizeigewahrsam, sagt er. Eine Wohnung sei in jener Nacht allerdings nicht durchsucht worden. An der Türschwelle der Wohnung, in der Schmidt zu Gast war, hätten sich die Polizisten Schmidts Ausweis und Schuhe geben lassen, sagt Grande.
Wegen der Misshandlungs- und Beleidigungs-Vorwürfe verweist Grande an die Staatsanwaltschaft. Die ermittelt inzwischen gegen Karl Schmidt - wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Beleidigung. "Renitent" sei er gewesen, so ein Sprecher. Gegen drei seiner FreundInnen wird auch ermittelt - wegen Hausfriedensbruchs und Widerstands.
"Das habe ich so noch nie erlebt", sagt Rechtsanwältin Britta Eder, die einen von Karl Schmidts Freunden vertritt, über das Vorgehen der Polizei in jener Nacht. Erst nach Stunden habe sie Auskunft über ihren Mandanten erhalten. "Die Polizei hat sich in keiner Weise um Deeskalation bemüht", sagt Eder.
Die Linksfraktion fordert in einer Anfrage an die Landesregierung Aufklärung über den Vorfall. Wenn sich die Vorwürfe nur ansatzweise bestätigen, sagt ihre Braunschweiger Abgeordnete Ursula Weisser-Roelle, "ist das ein Skandal, der personelle Folgen haben muss". Der Ratsherr der Bürgerinitiative Braunschweig (BIBS) Peter Rosenbaum hat bei der Kundgebung am Mittwoch eine Stellungnahme von Polizeipräsident Harry Döring gefordert. Nicht zuletzt die Bildergalerie im Flur des Gewahrsams sei "ein Indiz, dass dort was gehörig aus der Hand läuft". (* Name geändert)
Leser*innenkommentare
bate75
Gast
Das geniale sind die obrigkeitshörigen Reaktionen hier.
Bei einem großen Teil der Deutschen ist es offensichtlich gelungen, das aktive Denken abzustellen und an seiner statt, einen untertänigen Selbstzerfleischungsreflex einzufügen.
Polizeigewalt ist das allerletzte. Und die BRD (GmbH Art.133 GG) mag zwar die Gewalt haben, aber nicht die Macht, die hat immer noch der Souverän. Desweiteren sind dieses Polizisten Privatpersonen, oder habt's ihr schon mal einen AMTS-Ausweis von denen gesehen!
Peter Rosenbaum
Gast
Die Bürgerinitiativen Braunschweig haben nun einen Brief an den Polizeipräsidenten geschrieben;
hier einige Auszüge:
"...komme heute zurück auf unseren Schriftverkehr aus der Jahreswende 2008/2009 in Sachen Braunschweiger Polizeigewahrsam und dort seinerzeit vorgefundenen fragwürdigen Bilddarstellungen an den Flurwänden...Die entwürdigenden Bilddarstellungen wurden aber offensichtlich nicht oder nur teilweise entfernt, denn am 29. Juni 2011 hingen die nun auch in der TAZ abgelichteten Bilder immer noch (siehe TAZ-Artikel ...
...bitten wir um ein Gespräch mit Vorschlägen, wie das Polizeigewahrsam zukünftig unter eine öffentliche Kontrolle gestellt werden kann und erbitten gleichzeitig einen Besichtigungstermin für eine Augenscheinnahme der Gewahrsamstelle durch eine Besucherdelegation."
Hier der ganze Brief:
http://www.braunschweig-online.com/bibs-forum/48-artikel-der-startseite/4736-schwere-vorwuerfe-gegen-braunschweiger-polizei-gewahrsam-erhaerten-sich.html#4803
Richard
Gast
Ganz egal, was die lustigen vier da gemacht haben. Polizeibrutalität kann nicht toleriert werden. Diese Typen müssen rausfliegen, sonst färbt das auf uns alle ab!!
broxx-innen
Gast
Natürlich waren die 4 total unschuldig! Böse Polizisten!-innen
Tindrum
Gast
Was habt ihr auch im Polizeigewahrsam zu suchen. Benehmt Euch doch anständig!
Undso Weiter
Gast
Da werden dann in Zukunft wohl andere Strategien zur Erhaltung eines normalen Miteinander zum Zuge kommen müssen. Um etwas Vernunft in unserer Rechte- und keine Pflichten-habenden Gesellschaft durchzusetzen, werden dann wahrscheinlich Schweinehälften in die Meute geschmissen werden, die haben dann auch keinen Respekt verdient!
Denn, so wie es gerade ausschaut, wird sich keiner mehr finden die Arbeit eines Polizisten zu machen. Denn bei dieser Arbeit gibt es ja auch absolut nichts, was in irgendeiner Form akzeptabel wäre!
BenZol
Gast
Ehrlich gesagt finde ich es bestürzend, dass der Beißreflex hier in den Kommentaren wieder einmal zu einer Fundamentalkritik inkl. "national-kapitalistischen" Verschwörungstheorien tendiert. Geht es doch hier eigentlich um einen ganz konkreten Fall. Aber um ein bißchen Öl ins Feuer zu gießen:
Braunschschweig hat damals Hitler eingebürgert! ;-)
Das ist wie mit dem Putzen. Egal wie man's macht, egal wie man sich anstrengt - in irgendeiner Ritze blüht der Schimmel weiter.
frosch
Gast
Was wollt ihr denn?? Braunschweig hat doch Adolf eingebürgert, das ist alles "Rechts"-staatliche Tradition!!
David
Gast
Als ich dort vor knapp zwei Wochen eine Nacht verbringen "durfte" und am nächsten Morgen meine Geschichte erzählt habe, da haben mich alle für einen Spinner gehalten und das nur belächelt, aber jetzt kommen endlich auch mal andere Menschen mit ihrer Geschichte ans Licht!
Olli
Gast
Er wollte einem Platzverweis nicht nachkommen und seine Personlaien nicht angeben?
Was darf ich mir drunter vorstellen hat er die Polizisten beleidigt oder einfach nur mehrmals nach dem Grund gefragt und keine Antwort bzw nur eine Drohung zu hören bekommen?
dekay
Gast
@dot tilde dot
Vielleicht hilft dir das?
http://www.taz.de/6/kontakt/lokal/
Die leiten das bestimmt weiter oder können dir die Adresse der Redakteurin geben. Der Artikel ist im Nord-Teil erschienen.
DocHolliday
Gast
Das System ist im Grunde genial. Genial, weil einfach: Politiker sind die Erfüllungsgehilfen des Grosskapitals und die Forstbehörde ist Erfüllungsgehilfe der Politiker.
Die Polizeipräsidenten und hohen Beamten sind mit der Politik so verbandelt, dass in diese Richtung keine Fragen gestellt werden.
Dazu gibt man ein paar nicht wirklich hellen Jugendlichen einen Knüppel in die Hand und erzählt ihnen, sie würden die demokratische Gesellschaft gegen die Anarchisten verteidigen.
Und ihr wisst alle selber was passiert, wenn man minder intelligenten Menschen Macht verleiht. Sie wird ausgenutzt.
Bumms, sind wir in Braunschweig! Und nach dem Untersuchungsausschuss, so es denn einen gibt, geht ein Beamter als Bauernopfer ein halbes Jahr früher in Rente als geplant und die Akten werden geschlossen.
Irgendwann gibt's den grossen Knall! Ich hoffe, ich erlebe es noch mit!
foo
Gast
Ist ja gruselig. Und damit meine ich nicht den Keller.
tyrfing
Gast
@Florian G:
Wenn sie sich außerstande fühlen einen Artikel aufgrund eines zweimaligen Einsatzes des Binnen-I zu verstehen, würde ich dies eher auf ihre kognitiven Fähigkeiten denn auf die Sprache der sich die AutorInnen bedienen zurückführen.
mfg. Tyrfing
Florian G.
Gast
OhInnen, könntInnen SieInnen bittInnen aufhörInnen soInnen zuInnen schreibInnen?! DankInnen!
Man kann die Artikel gar nicht mehr anständig lesen. Das ist doch lächerlich.
Tanis
Gast
Fazit: Man muss nicht in den Iran fahren um den Terror hautnah zu erleben, er ist auch in unserer Kultur fest integriert.
Ilmtalkelly
Gast
Diktaturen wachsen manchmal langsam und im Verborgenen. Das ist kein Einzelfall. Der Film " Das Experiment " wird auch in Deutschland hin und wieder Realität. Der sollte als Lehrvideo in der Polizeiausbildung eingeführt werden. Desweiteren sollte man eine Aktion der Gewissensüberprüfung von Polizeibeamten durchführen, vor allem, was rechtsextremes Gedankengut betrifft.
dot tilde dot
Gast
wie kann ich mit der redakteurin des beitrages kontakt aufnehmen?
.~.
Honigbal
Gast
Wenn sich zwei Streiten freut sich der dritte .
90% Prozent der Deutschen müssen mit nur einem viertel des gesamten Volksvermögens zurechtkommen .
egal
Gast
Es ist nur die Spitze des Eisberges, die an der Oberfläche zu sehen ist.