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Debatte um NeuverschuldungHüther gegen Schuldenbremse

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft will neue Regeln für öffentliche Investitionen. Für die Schuldenbremse spreche nicht mehr viel.

Wenn das Geld nicht reicht, muss die Schuldenbremse weg Foto: dpa

Berlin taz | Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hat erneut die Schuldenbremse infrage gestellt. Nach ersten Äußerungen Ende Februar legte Hüther nun mit einem 32-seitigen Papier seines Instituts nach.

Unter dem Titel „10 Jahre Schuldenbremse – ein Konzept mit Zukunft?“ fordert der IW-Direktor eine „innovations- und wachstumspolitische Öffnung der Schuldenbremse“. Eine Möglichkeit dafür bestünde darin, „gesamtstaatliche Investitionen in einen bundesstaatlichen Vermögenshaushalt auszulagern“, so Hüther. Für die übrigen Budgets soll ein Neuverschuldungsverbot gelten, das nur bei einer „besonderen Schwere der Rezession relativiert“ wird. Mit der Schuldenbremse darf die Neuverschuldung 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten.

Laut Hüther spricht heute für die Schuldenbremse, anders als bei ihrer Einführung 2009, nicht mehr viel. Mit dem „günstigen Zinsumfeld“ hätten sich die Bedingungen für die öffentliche Verschuldung seit der Wirtschafts- und Finanzkrise grundlegend geändert. „Eine intergenerative Umverteilung zulasten künftiger Generationen ist deshalb derzeit und absehbar nicht mehr gegeben.“

Gleichzeitig konstatiert Hüther wachsende staatliche Ausgaben trotz Schuldenbremse. Der Staat werde derzeit aus mehreren Ursachen „in eine steigende finanzielle Anspannung getrieben“. Hüther nennt hier die geplante Grundrente, aber auch steigende Verteidigungsausgaben. Zudem fordert er „dauerhafte Entlastungen“ für die Unternehmen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Aus all diesen Gründen sei zu wenig Geld für staatliche Investitionen vorhanden, solange die Schuldenbremse unverändert in Kraft bleibe, fürchtet der IW-Direktor.

Hüthers Stellungnahmen sorgen für Aufsehen, weil bislang vor allem arbeitnehmernahe Ökonomen gegen die Schuldenbremse plädierten. Im Bund ist sie seit 2016 vollständig in Kraft, in den Bundesländern wird sie 2020 verbindlich. Die große Koalition in Niedersachsen beschloss erst in der vergangenen Woche, die Schuldenbremse in der Landesverfassung festzuschreiben.

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4 Kommentare

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  • Eine Öffnung der Schuldenbremse ist noch nicht deren Abschaffung. Wie soll das gehen, was Hüther meint, ohne die parlamentarische Königsdiziplin, die Wahrnehmung des Haushaltsrecht weiter zu beeinträchtigen, wenn nicht gar auszusetzen „gesamtstaatliche Investitionen in einen bundesstaatlichen Vermögenshaushalt auszulagern“?



    Wem ist der Vermögenshaushalt dann unterstellt?, mutmaßlich wie alles andere staatliche Vermögen dem Finanzministerium statt Parlament. Das klingt mit Blick auf paralelle Bestrebungen in der EU, in Brüssel nach übergeordnetem Wirtschaftstechnokratengremium, dass dann das Vermögen regiert.

    Hüthers Idee vernachlässigt völlig investitionshemmende "Schuldenbremse" in Millionen überschuldeten Privathaushalten, mangels monetärer Masse durch Arbeitslosigkeit, Verweilen in Hartz4 Leistungsbezug nach Verbrauch des Restvermögens vor Schonvermögen für Altersvorsorge zu Gunsten Lohnsubvention staatlicher, privater Arbeitgeber seit Einführung Agenda2010 Arbeitsmarktreform 2003 , bei fehlender Kreditwürdigkeit, angesichts wirtschaftlicher Gesamtverhältnisse, Leiharbeit, befristet statt unbefristeter Arbeitsverträge, Working Poor, Lohnabsenkung, niedrigen Rentenniveau, bei gleichzeitigem Preisanstieg Mieten, Dingen, Diensten täglichen Bedarfs, Gesundheit, Pflege, Bildung, Ausbildung, Studium, Mobilität.

    Was ist mit Idee, Privathaushalte mit Partnerkonten bei der Bundesbank, EZB, zu gleichen Konditionen wie Banken, Versicherungen zu versehen, über einen Augleichsmechanismus, vergleichbar Europäischer Stabilisierungs Mechanismus (ESM) systemrelevanter Banken, Versicherungen, dass Privathaushalte unbürokratisch profil- , bedarfsorientiert Brückengelder abrufen können, bis Gesellschaft, Wirtschaft sich imstande erweisen, existenzsichernd bedarfsdeckende Löhne, Renten mit Aussicht auf Vermögensbildung für Studium, Familienplanung, Finanzierung von Wohnungsbaugenossenschaftsanteilen, Eigentumserwerb von Wohnraum, Notfälle, Alter, Krankheit, Pflege zu zahlen.

  • Hat er es endlich auch gemerkt?

    Die "Schuldenbremse" war schon immer verkehrt. Es geht nicht um eine imaginäre Zahl, sondern um sinvolle Investitionen. Die macht man natürlich am besten, wenn die Zinsen tief sind, aber darauf verzichten sollte man auch in Hochzinszeiten nicht.

    Wenn er aber hier von "Entlastungen der Industrie" redet liegt er voll daneben. Die Industrie ist preislich so wettbewerbsfähig (durch Lohndumping), dass sie die letze Zeit auf Forschung und Modernisierung verzichtet, da sie nicht ausgelastet ist, und ihre Wahren auch so loswird.

    Am besten werden Unternehmen gefördert, wenn es für ihre Produkte eine gute Nachfrage gibt. Da man nicht erwarten kann, dass sich das Ausland zum Wohle der D Industrie verschuldet kommt hauptsächlich eine Inlandsnachfrage in Frage. Die steigt, wenn die unteren Lohngruppen mehr Gehalt bekommen (z.B. Mindestlohn rauf). Sie kann auch durch Investitionen des Staates gesteigert werden (Infrastrukturprojekte, Instandhaltung der Bausubstanz) oder durch Verbesserung des Personalstamms (Mitarbeiter im ÖD)

  • Die "intergenerative Umverteilung zulasten künftiger Generationen ist" gerade trotz niedriger Zinsen ein Argument gegen Schulden und daher fuer Verschuldungshindernisse.



    Aus diesem Grund will er die Schuldenbremse ja auch nicht einfach aufgeben, sondern abwandeln.

  • "Druckt bitte Geld und gebt es uns" sagen die Unternehmer, denn "wie zum Teufel sollen wir noch reicher werden, wenn die Zinsen so niedrig sind?"

    Ja, klar.