Debatte um Denkmal in Hamburg: Albtraum aus Granit
Lange stand das Hamburger Bismarck-Denkmal fast unbeachtet am Elbhang. Nun wird es teuer saniert. Und es wird debattiert, was da eigentlich steht.
Wo ist er bloß? Irgendwo da hinten auf dem Hügel muss er doch stehen, in dem Park, der sich rechts hinter der Reeperbahn erstreckt, dort, wo es zum Hafen runtergeht. Unter hohen Bäumen rennen Hunde, ein schmaler Streifen Asphalt führt zwischen Herbstlaub den Hügel hoch und endet an einem Bauzaun: „Bismarck-Denkmal“ steht auf einer Tafel, „Instandsetzung“. „Bismarck du Otto!!!“, hat jemand mit Edding auf die Tafel geschrieben.
Lange war es um Otto von Bismarck und sein Denkmal am Hamburger Elbhang sehr still gewesen. Kaum mal eine Burschenschaft, die hier noch aufmarschierte, die Bäume um das Denkmal herum wuchsen in die Höhe, so dass von Bismarck immer weniger zu sehen war, Junkies und Obdachlose trafen sich am Denkmalsfuß.
Das änderte sich mit einem Schlag, als im Sommer vergangenen Jahres die Black-Lives-Matter-Demos auch Hamburg erreichten. Dass Bismarck noch immer auf diesem Sockel stehe, nach allem, was er angerichtet habe, sei eine „widerliche Schande“, sagte ein Sprecher der Black Community auf einer Demonstration in Sichtweite der Statue. Und er erinnerte daran, das Bismarck Gastgeber der Kongokonferenz war, an deren Ende die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter die europäischen Mächte stand.
Ein Rundgang
Doch so schnell wird das Bismarck-Denkmal nicht weichen. Neun Millionen Euro kostet die Sanierung, die sich bis ins nächste Jahr hinziehen wird. Der Bauzaun ist mit Stacheldraht bewehrt wie eine Gefängnismauer, nur dass er nach außen übersteht, damit niemand rein kann. Von innen riecht es feucht nach Beton oder Mörtel, eine Schaufel kratzt leise.
Hinter dem Bauzaun ist ein Kran zu sehen und ein Baugerüst, und dahinter steht, frisch gekärchert, der granitene Bismarck, gestützt auf sein Schwert, neben sich zwei Greife, um „für das deutsche Volk die Wacht nach dem Weltmeer zu halten“, wie es in zeitgenössischen Quellen heißt. Bismarcks Augen sind seltsam leer, sie schauen gar nicht, so wie die ganze Figur weniger einen Menschen darstellt als – das deutsche Imperium vielleicht?
Über 34 Meter ist das Denkmal insgesamt hoch, aber nur 15 davon sind die Statue. Der Rest ist der gigantische Sockel, der derzeit verhüllt ist. In der Nazizeit war der ein Luftschutzbunker, in seiner Kuppel sind ein Reichsadler und ein Hakenkreuz angebracht. Nach der Sanierung soll der Sockel begehbar sein, er soll ein Museum werden, es wird interessant, was dann mit dem Hakenkreuz passiert.
Der Bauzaun ist mit Graffiti bedeckt, aber es ist kein Hindurchsehen, nirgends. Fest geschlossen umgibt er das Denkmal, ein kleiner Fußweg führt einmal herum. Wer ihn geht, sieht Bismarck von allen Seiten, aber kann dieser Ort so bleiben? Soll er so bleiben? In seiner monumentalen Trostlosigkeit?
Und jetzt?
Vom Hamburger Pastor Ulrich Henschel kommt der Vorschlag, Bismarck zu enthaupten und den Kopf auf den Boden daneben zu legen. Dass irgendetwas mit dem Denkmal passieren muss, meint inzwischen auch der Hamburger Kultursenator. Es reiche nicht, nach der Sanierung eine Erklärtafel aufzustellen, man müsse das Denkmal „neu kontextualisieren“.
Die Kulturbehörde hat darum Workshops mit Künstler:innen und Kritiker:innen des Denkmals anberaumt, die sich Gedanken über solche Eingriffe gemacht haben. Wenn das Denkmal schon nicht gesprengt oder in die Elbe gestürzt werden kann, wie wäre es dann, es zu verpacken? Oder es zuwuchern zu lassen, bis nichts mehr davon zu sehen ist? Nach den Workshops gibt es einen Wettbewerb. Vielleicht gelingt es ja, Hamburg von dem Stein gewordenen Bismarck-Albtraum zu befreien.
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