piwik no script img

Debatte um Berliner FreibäderEinwurf vom Beckenrand

Gastkommentar von Pam Ella Anderson

Im linken Kleinreden der Sicherheitssituation in einigen Berliner Freibädern schlummert Respektlosigkeit. So blickt eine Rettungsschwimmerin darauf.

Gewalt nur Einzelfälle unter der knallenden Berliner Sonne? Freibad in Berlin-Kreuzberg Foto: Emmanuele Contini/imago

M an ist als Rettungsschwimmerin im Berliner Freibadebetrieb hart im Respektlosigkeitsnehmen. Doch musste man in den letzten Wochen lesen, wie insbesondere linkerseits die aktuellsten Krawalle an ausgewählten Beckenrändern zurechterklärt wurden, wankte man dann doch bedenklich in den Badeschlappen.

Besonders früh und heftig brandeten in dieser Sommersaison die Gewaltexzesse insbesondere im Neuköllner Columbiabad, dem Culle, auf. Man hätte als interessierter Journalist da schon hellhöriger werden können, doch schienen die Vorgänge jenseits des pflichtschuldigen Vermeldens der gefühlt zigsten Badräumung keines tieferschürfenden Blickes würdig.

Linkerseits war man sich sicher, dass es sich bei den Krawallen und der Gewalt um nichts Neues und lediglich um Einzelfälle unter der knallenden Berliner Sonne handelt, dass wir es wie ewig gleich und historisch konstant mit den üblichen Randalen von Halbstarken zu tun haben, die, wie es sich für männliche, klimawandelgeplagte Pubertierende offenbar gehört, ganz normal ein bisschen freidrehen, wenn es ihnen zu warm und voll wird in ihrem Stamm-Freibad.

Auch der bloße, aus bademeisterlicher Erfahrung gespeiste Hinweis, dass es sich bei den an den Vorfällen Beteiligten zu einem nicht unbedeutenden Teil um Jugendliche aus arabischstämmigen Familien handelt, wurde, wie es sich für mit allen divers-kritischen Wassern gewaschene Linke gehört, entweder als Ausdruck deren Unterprivilegiertheit sozialromantisch verklärt. Oder denen als Rassismuskeule über die ohnehin lädierten Schädel gezogen, die da alle Jahre wieder ihre mäßig bezahlte, rot-blau-uniformierte Haut zu Berliner Freibad-Markte tragen. (Lädierte Schädel diverser, und ja, auch arabischer Herkünfte übrigens.)

Allet jut an der Freibad-Front

Es sind die vermeintlichen Underdogs aus schwierigen Migrationsverhältnissen, die da rumtoben. Und die damit wohl lediglich legitime Zeichen des Protests an unsere strukturell rassistische Mehrheitsgesellschaft senden. Laut Statistik sowieso alles nur Eskalationsausreißer in einem Trend, der seit Jahren in Richtung Love, Peace und Harmony weist. So weit allet jut an der Berliner Freibad-Front.

Pam Ella Anderson

kommt vom Niederrhein, ist Historikerin und Kulturanthropologin und hat ihren Freischwimmer ca. 1976 gemacht. 13 Jahre später ging sie nach Berlin. Seit mehreren Jahren arbeitet sie dort als Rettungsschwimmerin.

Bedarf es eigentlich der erhöhten Empfindlichkeit des Mittendrinsteckens, um den Zynismus zu spüren, der sich mit dieser aus Ignoranz geborenen Arroganz gegenüber den konkret Betroffenen verbindet?

Die naheliegende Idee, sich als Badegast getarnt dem Geschehen am Neuköllner Wasserrand auszusetzen, um am eigenen Leib zu erfahren, was es heißt, wenn die fragile Un/Ordnung im Freibad kippt und die Macker das Ruder übernehmen – diese Idee kam nicht auf. Genauso wenig das Bedürfnis, das intensivere Gespräch mit den Berliner Baywatchern selbst zu suchen, mit denen also, die in der ersten Reihe stehen.

Solidarität der Linken wäre angebracht

Es waren die Bademeister selbst, die ihrer Absenz in der Berichterstattung ein Ende machten. Denn irgendwann ist es doch die eine Gewaltattacke, die eine Badräumaktion zu viel für das Becken-Bodenpersonal.

Und so kippen die Kollegen des Culle zur Abwechslung einfach mal um. Melden sich nach all den Jahren des Weitermachens endlich, endlich geschlossen krank. Erzwingen so eine einwöchige Bade-Schließzeit. Sie machen die Lage in einem Brandbrief öffentlich (siehe Tagesspiegel vom 12.  7. ). Eine Geste des „I prefer not to“, die die ungeteilte Solidarität von Linken verdient hätte.

In der taz jedoch fand man es angemessener, die Geste als kollektives „Blaumachen auf Krankenschein“ zu denunzieren und die Bademeister als das eigentliche Problem zu geißeln. Wäre es angesichts des Briefes nicht besser gewesen, kurz darüber nachzudenken, ob man es mal mit genauerem Hinhören und schärferem Hinsehen versuchen könnte? Stattdessen fixiert man lieber die Folgen des bademeisterlichen Briefes, brilliert im Problemhorizont-Verschieben und im Aufspüren der wahren Schuldigen an der eskalierten Situation.

Ich bin nur die Rettungsschwimmerin

Die nichtlinken Medien sind schuld, weil sie die Krawalle zum Popanz aufbauschen. Die ekligen Populisten von AfD bis CDU sind schuld, weil ihnen die migrantisch „gelesenen“ Krawalle das nötige Futter geben, ihrem Rassismus freien Lauf zu lassen.

Leider bleiben längst die leiseren Badegäste (mit diversen und auch prekären Hintergründen) aus Angst weg

Die Berliner Politik ist schuld, weil sie sich als harte Hand inszeniert und autoritärere Maßnahmen erzwingt – Ausweiskontrolle, mehr Security, mehr Polizeistreifen, schnellere Schließungsmöglichkeiten, konsequentere Hausverbotspolitik. Was davon sinnvoll, was sinnlos ist, kann man zwar noch nicht recht wissen. Aber viele Linke werfen sich lieber in sozialkritische Pose. Damit ist man auf jeden Fall immer auf der korrekten, der friedlich-guten Seite.

Zunehmende Respektlosigkeit ist nicht nur ein Problem, das an vollen, überhitzen Beckenrändern lauert. Wenn man es weiter vorzieht, Probleme zu zerreden, Gewalt herunterzuspielen, Mackertum zu ignorieren, wird nicht nur das Baywatch-Personal wegbleiben. Nein, leider bleiben längst die höflicheren, leiseren, wehrloseren Badegäste (mit diversen und durchaus auch prekären Hintergründen) an heißeren Tagen aus Angst weg.

Wenn man also weiterhin all das edel beschweigt, was das eigene Weltbild erschüttern könnte, dann haben wir vielleicht bald schon ein ganz anderes Problem. Dann führt uns diese im Ignorieren schlummernde Respektlosigkeit, die Verweigerung einer offenen, (selbst)kritisch-aufgeklärten Diskussion darüber, wie wir uns gemeinsam um eine bessere Un/Ordnung im Freibad bemühen könnten, eventuell ganz schnell und mit jeder Wahl voranschreitend dahin, dass wir wirklich dort aufwachen, wo sich die Rechten, Populisten und Rassisten guten Morgen sagen.

Aber was wüte ich. Ich bin nur die Rettungsschwimmerin. Und schau jetzt wieder, ob zur Abwechslung einfach mal nur jemand absäuft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Der Komentar ist sehr gut und er war notwendig. Mit der Neigung von linker Seite die Taten in den Schwimmbädern zu relativieren und die Täter in Schutz zu nehmen wird auch deren Verantwortlichkeit bestritten. Sicher unbeabsichtigt, bescheinigt man ihnen eine bedingte Unzurechnungsfähigkeit. Damit tut man den Randalierern bestimmt keinen Gefallen. Das ist irgendwie ebenfalls rassistisch.

  • Danke - nicht reflexhaft auf Reizworte anzuspringen, wird immer seltener. Lösungen werden wie von Ihnen beschrieben angegangen und sind mit einem einfachen von außen Position beziehen, nicht zu haben.

    (Ich finde aber auch gut, dass die TAZ mehrere Blickwinkel zulässt und nicht nur mit den zuerst veröffentlichten Artikeln die Stellung hält.)

  • Danke, dass hier mal die Linke (bzw zum Glück nur Teile davon) daran erinnert wird, dass es mal Standard war, den schwachen beizustehen und nicht für die Stärkeren Entschuldigungen zu suchen (die zudem weit hergeholt sind , wenn deren Opfer selbst die gleiche Herkunft haben).

  • Es steckt viel Wahrheit in diesem Kommentar. Die reflexartigen, nicht genau hinschauenden sowie nachfragenden Reaktionen auf diese geschilderten Vorfälle in den Freibädern, sind dann auch kontraproduktiv. Natürlich gibts Hass und Hetze, gepaart mit Gewalt gegen Migranten und Flüchtlinge. Aufgestachelt durch AFD, Teile der CDSU nehmen sich viele das Recht raus, jetzt handeln zu müssen. Dieser Entwicklung muss vehement entgegengetreten werden, wo und wann auch immer.



    Aber ebenso muss ein Testosteron gesteuertes Verhalten von migrantischen Jungs, gepaart mit sexistischer und körperlicher Gewalt, verhindert werden. Es geht nämlich dabei auch darum, wie Frau Andersson richtig schreibt, Frauen und Kinder mit prekärem Hintergrund zu schützen und einem erholsamen Aufenthalt im Freibad oder anderswo zu ermöglichen.

  • Danke für diesen Artikel! Inhaltlich sehr interessant und ein wichtiger Beitrag zum Diskurs. Vor allem die Bemerkungen zur Arbeit der Journalisten finde ich angebracht. Dass dieser Gastkommentar dann auch noch so amüsant und Unterhaltsame geschrieben wurde ist für mich wie die Kirsche auf dem Eisbecher! Vielen Dank!

  • Gut gebrüllt, Rettungsschwimmerin.

    Wird wohl nicht lange dauern, bis zum ersten Rassismusvorwurf. Man darf es eben nicht sagen. Genauso wie man nicht sagen darf, dass der Gang der Teenager-Töchter von Freunden die Sonnenallee entlang ein Spießrutenlauf durchs Catcalling ist, deutlich ausgeprägter als andernorts.

    Und wer behauptet, es gäbe Clans oder die ’Ndrangheta wäre ein italienisches Phänomen, der ist sowieso Rassist oder befeuert zumindest entsprechende Diskurse.

  • Danke für den Klartext. Das Beste was ich zu diesem Thema gelesen habe.