Debatte über Wolfabschuss: „Nicht im Beutespektrum“
Die Behörden wollen einen Wolf in Bayern abschießen lassen. Wolfexperte Uwe Friedel vom Bund Naturschutz erklärt, warum das Unsinn ist.
taz: In der Traunsteiner Gegend hat in letzter Zeit ein Wolf mit dem schönen Namen GW2425m von sich reden gemacht. Was wissen Sie über das Tier?
Uwe Friedel: Der Wolf, ein mindestens ein Jahr alter Rüde, stammt aus Österreich oder Italien. Im Dezember ist er sieben- oder achtmal im Chiemgau aufgefallen und dabei meistens auch in die Nähe von Siedlungen gekommen. In fünf Fällen hat er Nutztiere gerissen, obwohl es in der Nähe auch reichlich Rotwild gegeben hätte. In einem Fall kam es sogar zu einer Begegnung mit einem Menschen. Da hat er sich eine Ziege aus einem Unterstand geschnappt, der direkt am Hofgebäude war. Als der Landwirt aus dem Haus kam, ist der Wolf sofort geflüchtet.
Die Regierung von Oberbayern hat den Wolf zum Abschuss freigegeben – eine Entscheidung, die jetzt – unter anderem auf Ihre Klage hin – bis zum endgültigen Urteil vom Verwaltungsgericht kassiert wurde. Warum haben Sie gegen den Abschuss geklagt?
Der angeführte Grund für die Entnahme des Wolfes, wie es in der Amtssprache heißt, war ja, dass er angeblich für Menschen gefährlich sei – oder werden könnte. Deshalb haben wir die Sache sehr genau geprüft, um zu sehen, ob es dafür tatsächlich Anzeichen gibt. Wir haben allerdings nichts gefunden.
45, ist Wolfsexperte des Bund Naturschutz.
Woran hätten Sie es festmachen können?
Die entscheidende Frage ist: Zeigt dieser Wolf ein ungewöhnliches Verhalten? Hat er sich irgendwie an Menschen gewöhnt? Und das ist ganz klar nicht der Fall – auch wenn er sich Siedlungen genähert hat. Menschen, die im Haus oder im Auto sind, erkennt er nicht als solche. Und in dem einen Fall, wo es zu einer wirklichen Begegnung kam, ist er sofort geflüchtet. Der Wolf sucht sich was zu fressen, der interessiert sich nicht für Menschen; wir kommen in seinem Beutespektrum nicht vor. Gerade durch die Schnelligkeit, mit der das Gericht jetzt entschieden hat, fühlen wir uns in unserer Haltung bestätigt.
Wir wissen, was mit Rotkäppchen und der Großmutter passiert ist: Ist es tatsächlich nur ein Märchen, dass Wölfe dem Menschen gefährlich werden können?
Der Wolf ist natürlich ein Tier, vor dem man Respekt haben muss – wie auch vor verwilderten Hunden oder Wildschweinen. Global gesehen gibt es immer wieder Fälle, in denen Menschen von Wölfen angegriffen und auch getötet werden. Aber da muss man genau unterscheiden. Die meisten Fälle sind auf Tollwut zurückzuführen, die es bei uns praktisch nicht mehr gibt. Dann gibt es in bestimmten Regionen, beispielsweise in Indien, tatsächlich Wölfe, die Menschen, vor allem Kinder, als Beute jagen. Das hängt mit speziellen Faktoren wie einem extremen Mangel an Wild und einer sehr hohen Dichte der Landbevölkerung ab. Das ist bei uns alles nicht relevant. In Spanien gab es in den Sechzigerjahren ein paar Fälle, wo Wölfe, die durch Schlachtabfälle einer Hühnerfabrik angelockt und an den Menschen gewohnt wurden, Kinder getötet haben. Heutzutage kommt es noch zu Unfällen, wenn Touristen Wölfe für ein schickes Foto anfüttern. Aber in den vergangenen 20 Jahren ist in Europa kein Mensch von einem Wolf getötet worden. Zum Vergleich: Allein in Deutschland wird im Schnitt jährlich ein Mensch von einem Wildschwein getötet.
Wie kann ein Jäger überhaupt sicher sein, dass es der richtige Wolf ist, den er da vor der Flinte hat?
So gut wie gar nicht. In Niedersachsen ist in einem solchen Fall auch schon mal mindestens ein falscher Wolf erschossen worden. Anders als Luchse zum Beispiel, die man anhand der Fellzeichnung ganz gut identifizieren kann, sehen sich die Tiere viel zu ähnlich. Für den Jäger kann das dann natürlich eine juristisch heikle Sache werden. Das ist allerdings ein Problem, für das ich keine Lösung wüsste – auch in Fällen, in denen ich einen Abschuss unterstützen würde.
Wann wäre dies denn der Fall?
Nehmen wir an, der Wolf hätte sich einem Spaziergänger genähert und Interesse an dem Menschen gezeigt. Dann müsste man wohl sagen: Okay, wir wollen wirklich jedes Risiko ausschließen – auch wenn auch dieser Wolf mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht gefährlich werden würde. In einem solchen Fall hätten wir nicht geklagt.
Den Wolf lebend zu fangen ist keine Option?
Das ist prinzipiell möglich, aber nicht ganz einfach. Und selbst wenn es gelingt: wohin mit dem Tier? Einen in der Wildnis aufgewachsenen Wolf in ein Gehege zu stecken wäre eine Qual für das Tier. Und es woanders auszusetzen, würde nichts bringen, weil es dort aller Voraussicht nach dasselbe Verhalten an den Tag legen würde.
Glauben Sie, dass der Wolf überhaupt noch in der Gegend ist? Seit den Vorkommnissen Mitte Dezember gibt es ja kein Lebenszeichen mehr von ihm.
Schwer zu sagen. Vielleicht ist er schon ganz woanders. Theoretisch könnte er jetzt auch irgendwo in Brandenburg herumlaufen. Oder er ist noch in der Gegend, hält sich inzwischen aber bei der Verpflegung ans Wild. Oder er ist schon tot.
Sie meinen, illegal geschossen?
Das kommt vor.
Wie sieht es denn aktuell mit dem Bestand in Bayern aus?
Wir haben 13 territoriale Wölfe, zwei Rudel, sprich Paare mit Nachwuchs, zwei welpenlose Paare und ein Einzeltier. In Bayern sind wir noch ganz am Anfang der Besiedlung, hier lebt etwa jeder dreißigste Wolf in Deutschland, in Ostdeutschland und Niedersachsen haben wir wesentlich mehr Tiere.
Wie sicher ist der Bestand in Deutschland?
Genetisch gesehen ist die deutsche Wolfspopulation noch nicht über den Berg. Man sagt, dass es 1000 erwachsene Tiere braucht, damit ein Bestand mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit sicher ist. Da sich Wölfe allerdings gut vermehren und wir in den Wäldern so viel Wild haben, mache ich mir um den Bestand keine allzu großen Sorgen.
Ging es denn bei der Abschussentscheidung wirklich um den Schutz der Menschen oder mehr darum, die in Sachen Wolf in der Region teilweise recht erhitzten Gemüter wieder etwas zu kühlen?
Aus unserer Sicht ist es eine politische Entscheidung gewesen, der Druck war sehr hoch. Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat sich ja vermehrt geäußert, dass dieser Wolf abgeschossen gehört, und dementsprechend hat man dann nach einer Begründung gesucht. Das ist zumindest unser Eindruck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken