Debatte über Waldsterben: Ein Wald voller Fragen
Der Zustand des Waldes ist ernst. Forstleute und Umweltschützer sind verunsichert. Das bietet Chancen für eine neue Streitkultur.
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G erät da etwas in Bewegung, oder verhärten sich die Fronten? Das ist schwer einzuschätzen nach dem Waldgipfel von Forstministerin Julia Klöckner am Mittwoch in Berlin. Das Setting war klassisch: Ein prall gefüllter Konferenzsaal mit dickem Teppich, Herren in Anzug und Loden. Immerhin die Tischdeko zeigte in Richtung Mischwald: Jutesäcke mit Stecklingen aus Buchen, Tannen, Eichen. Erwartbare Reden von Politik, Forschung und Verbänden reihten sich aneinander, in denen die Katastrophe des Waldes – 180.000 Hektar Fläche, die von Dürre, Hitze, Stürmen und Borkenkäfer vernichtet worden sind – beschrieben und interpretiert wurde.
Die verschiedenen Interessengruppen meldeten ihre Ansprüche an – Waldbesitzer, Förster, Wissenschaftler, Jäger – oder bedankten sich schon mal artig für den Scheck von rund 800 Millionen Euro, den Bund und Länder zur Krisenbewältigung ausstellen wollen. Das tat auch die Vorstandsfrau des Dachverbands Netzwerk der Forstunternehmer und Forsttechnik: Angesichts von 105 Millionen Festmetern Schadholz, die es aus dem Wald zu räumen gilt, rief sie fröhlich in den Raum: „Sie haben ein Problem, wir sind die Lösung.“
Mit ihrem peinlichen Werbeauftritt traf die Verbandsvertreterin ungewollt den Punkt: dass die Forsttechniker, also die Firmen, die das schadhafte Holz aus dem Wald holen, nicht die Lösung sind. Sondern dass sie ganz im Gegenteil nicht einmal eine Ahnung haben davon, was die Lösung sein könnte. Genauso wenig wie die Waldbesitzer:innen, Förster:innen, Forstwissenschaftler:innen und Umweltschützer:innen – exakt niemand weiß derzeit, wie es weitergehen soll mit und im Wald. Wie unter einem Brennglas zeigen sich dort die Zielkonflikte unserer Industrienation, die an der Startlinie steht, um den Marathon anzutreten, den eine sozialökologische Transformation bedeutet – oder auch nicht. Denn dass die Bundesrepublik wirklich losläuft, ist ja noch keineswegs ausgemacht.
Im Wald also zeigen sich Zielkonflikte zwischen Artenschutz und Klimaschutz; zwischen dem Ersatz fossiler Rohstoffe durch erneuerbare; zwischen privatem Unternehmertum und den Interessen der Allgemeinheit. Im Einzelnen: Das Artensterben gebietet es, so viel Wald wie möglich einer natürlichen Entwicklung zu überlassen und nicht zu nutzen. Dem Klima hilft das nicht. Wälder speichern dann am meisten Kohlenstoff, wenn sie als Laubmischwälder naturnah bewirtschaftet und nicht stillgelegt werden. Wer weniger fossile Rohstoffe nutzen will – Öl, Kohle, mit viel Energie und auf Kosten der Landschaft gewonnene Erze –, muss auf nachwachsende Rohstoffe umsteigen.
Die Allgemeinheit hat ein Mitspracherecht
Holz gilt als wichtigstes ökologisches Baumaterial der Zukunft. Wenn wir unseren Holzbedarf nicht weiter aus den nordischen Nadel-Urwäldern decken wollen, müssen wir eigene Bäume nutzen. Nicht zuletzt haben Inhaber privater Forstbetriebe ihre wirtschaftliche Existenz an den Forst gekoppelt. Sie stecken ihr Geld, ihre Arbeitskraft und Lebenszeit in den Forst – und leiten daraus verständlicherweise Rechte ab. Sie wollen entscheiden, welche Bäume im Wald wachsen oder welche Maschinen darin eingesetzt werden sollen.
Andererseits hängt die Existenz und das Wohlbefinden aller an intakten Wäldern, die Wasser filtern und speichern, als Kohlenstoff-Senke dienen und artenreicher Lebensraum sind. Weil Wälder so existenziell wichtig sind, hat die Allgemeinheit einen Anspruch auf Mitsprache – vor allem, wenn sie den Waldbesitzern mit Steuergeld unter die Arme greift.
Ergo ist im deutschen Wald derzeit nur eines klar: Die alten Gewissheiten tragen nicht mehr. Es sterben nicht nur die von Umweltschützern kritisierten, auf schnelle Gewinne getrimmten Fichtenplantagen. Auch naturnahe Buchenbestände hat es erwischt. Andererseits gehen auch die angeblich auf rationaler Betriebswirtschaft beruhenden Rechnungen der konventionellen Forstbetriebe nicht auf.
Brutal haben die überwiegend konservativen Forstleute gelernt, dass der Klimawandel kein Thema hysterischer Stadtkinder ist. Er hat mit Macht vor ihrer eigenen Haustür eingeschlagen. Wenn die Mikrofone aus sind, ist das Entsetzen von Waldbesitzern und Förstern auch mit Unions-Parteibuch über das mutlose Klimapaket der Bundesregierung groß.
Forstleute gegen Umweltschützer
Wenn alte Antworten nicht mehr tragen, und nicht nur der Weg, sondern auch das Ziel unklar ist, dann schlägt die Stunde des hierarchiefreien Diskurses. Dann kann die plurale Gesellschaft zeigen, was sie kann. Nur der klug organisierte Austausch von Argumenten möglichst vieler Beteiligter und die Abwägung von Interessen führen zu guten Lösungen.
Allerdings: Der deutsche Forst ist alles andere als ein hierarchiefreier Raum, die Akteure sprechen nicht auf der berühmten Augenhöhe. Bisweilen gerieren sich Waldbesitzer und Forstleute als Opfer der den Diskurs beherrschenden Umweltschützer. Das ist natürlich Unsinn. Geld, Entscheidungshoheiten und der Zugang zur Macht liegen mehrheitlich bei denen, die besitzen. Dafür steht das Agrarministerium, das sich bislang betonfest auf Seiten der Industrie verortet hat und jegliches Ansinnen einer ökologischen Erneuerung konsequent abschmettert.
Die CDU-Ministerin Julia Klöckner hat am Mittwoch auf ihrem Waldgipfel dennoch einen starken Auftritt hingelegt und für den Augenblick glaubwürdig einen echten, offenen Dialog zwischen Forstwirtschaft und Umweltbewegung gefordert. Ob dieser so notwendige Dialog gelingt, wird wesentlich davon abhängen, ob es Klöckner schafft, ihr eigenes Haus zu öffnen. Es glaubhaft zu einem Makler verschiedener Interessen zu machen und es den Argumenten der Natur- und Umweltseite zu öffnen. Das Agrarministerium als Gegenspieler des Umweltministeriums – der Zustand des Waldes zeigt, dass diese Polarisierung in Zukunft nicht länger haltbar ist.
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