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Debatte über Berufsverbote für RechteDer Staat und seine Radikalen

50 Jahre Radikalenerlass und Extremisten im Staatsdienst: Berufsverbote sind auch fragwürdig, wenn sie sich gegen rechts richten.

Fordern einen Schlussstrich: Opfer des Radikalenerlasses Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Hamburg taz | Sie hat für NPD-Feste Kuchen gebacken, eine kleine nationale Frauengruppe geführt und ihre Kinder bei der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ untergebracht. Und Birkhild T. hat nicht nur ihre eigenen fünf Kinder erzogen, sondern auch die in der Kita am Marienplatz in Lüneburg. Nach dem Bekanntwerden ihrer Aktivitäten und anhaltenden Elternprotesten stellte die Stadt die Kindergärtnerin zunächst frei, um das Arbeitsverhältnis schließlich ganz zu beenden.

Diese Geschichte ist einige Jahre her, wirft aber ein Licht auf die aktuelle Debatte um Rechtsextremisten im Staatsdienst. Wie umgehen mit Lehrern, Polizisten oder Richtern, die diesen Staat ablehnen – die seine Existenz leugnen oder einen Teil der Bevölkerung am liebsten an die Wand stellen würden?

Vor 50 Jahren haben die Regierungschefs der Länder zusammen mit dem damaligen SPD-Kanzler Willy Brandt mit dem Extremistenbeschluss reagiert, gemeinhin Radikalenerlass genannt: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, sollte gewährleisten, „dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Dafür habe er sich „aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes“ einzusetzen.

Um das sicherzustellen, richteten die Behörden eine sogenannte Regelanfrage an den Verfassungsschutz. Der prüfte dann, ob der Bewerber einer Organisation mit verfassungsfeindlichen Zielen angehört oder solche Ziele verfolgt. Bei Beamten, die als verfassungsfeindlich eingestuft wurden, hatte der Dienstherr „die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist“.

Wie aus einem Antrag von SPD und Grünen im Niedersächsischen Landtag hervorgeht, hat der Verfassungsschutz auf Basis des Erlasses bundesweit 3,5 Millionen Bewerber auf ihre Zuverlässigkeit hin durchleuchtet. Der Geheimdienst fertigte 35.000 Dossiers über Andersdenkende an. Die Behörden setzten 11.000 Berufsverbotsverfahren in Gang. 2.200 Beamte und Angestellte wurden mit Disziplinarverfahren überzogen, 265 entlassen. 1.250 Bewerber wurden abgelehnt.

Der Radikalenerlass führte faktisch zu einem Berufsverbot für Hunderte von Menschen, die Lehrer, Sozialarbeiter, Lokführer oder auch „bloß“ Briefträger werden wollten. Opfer wurden fast ausschließlich Linke, wie Jutta Rübke festgestellt hat, die die Folgen des Erlasses im Auftrag des Niedersächsischen Landtages aufgearbeitet hat. „Wir wissen von drei Berufsverboten aufgrund rechtsextremer Aktivitäten“, sagte sie der taz in einem Interview. Das Ungleichgewicht sei „der hysterischen Angst vor dem Kommunismus geschuldet“ gewesen.

Linke schärfer kontrolliert

Auch ein Forschungsprojekt der Universität Heidelberg zum Radikalenerlass in Baden-Württemberg stellte fest, dass Linke weitaus häufiger überprüft wurden als Rechte. Das Gleiche gilt für Hamburg, wie Alexander Jaeger in ihrer Dissertation „Auf der Suche nach ‚Verfassungsfeinden‘“ 2019 feststellte.

Viele Angestellte oder Beamte wurden einfach nur deshalb verfolgt, weil sie bei Wahlen für die DKP kandidierten, so wie etwa die Lehrerin Dorothea Vogt aus dem Emsland. 1995 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Fall gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen hat.

Zwar habe ein demokratischer Staat das Recht, von seinen Beamten die Treue zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen. Vogts Entlassung aus dem Gymnasialdienst habe jedoch „als Disziplinarstrafmaßnahme in keinem Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Ziel“ gestanden.

Trotz dieses Urteils musste der linke Lehrer Michael Csaszkoczy noch in den Nullerjahren um eine Einstellung in Baden-Württemberg und Hessen kämpfen. Csaszkoczy gehört der Antifaschistischen Initiative Heidelberg an. Die Gruppe steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das Darmstädter Verwaltungsgericht stellte fest, ein pauschaler Verdacht auf fehlende Verfassungstreue genüge nicht, um die Anstellung abzulehnen. Es wäre eine Einzelfallprüfung notwendig gewesen, die in dieser Form nicht stattgefunden habe.

Verbeamtete Reichsbürger

Angesichts der sich häufenden Anschläge von Rechtsextremisten und der Etablierung der AfD in den Parlamenten ist der Debatten-Fokus nach rechts gerutscht. Ins Auge springende Fälle betreffen etwa die Inkompatibilität der Amtsausübung als Polizist mit dem Denken selbst erklärter Reichsbürger. So hat etwa das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im April entschieden, dass die Entlassung einer Polizistin aus dem Beamtenverhältnis rechtens war.

Wie die taz berichtete, hatte die Frau einen sogenannten Staatsangehörigenausweis beantragt und sich dabei als Bürgerin des „Königreichs Preußen“ bezeichnet. Reichs­bür­ge­r verwenden den „Staatsangehörigenausweis“, weil sie Personalausweis und Reisepass als Symbole der Bundesrepublik ablehnen. Die bloße Mitgliedschaft in einer extremen Partei sei dagegen nicht mit dem Beamtenstatus unvereinbar, ergab eine Prüfung, die der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2019 in Auftrag gab. Entscheidend sei vielmehr das „konkrete Verhalten“.

Der Auslöser für die Prüfung war die AfD, die der Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft hatte. Ihren inzwischen offiziell aufgelösten „Flügel“ um den Lehrer Björn Höcke und die Parteijugend Junge Alternative führt der Geheimdienst sogar als Verdachtsfälle, weil es „gewichtige Hinweise“ auf extremistische Bestrebungen gebe, was sich später verdichtete. Die Beamten unter den Flügel-Mitgliedern standen seitdem unter Druck. So erklärte der thüringische Innenminister Georg Maier, dass „im Einzelfall disziplinarische Maßnahmen“ geprüft würden.

Der Berliner Senat ist mit seinem im vergangenen Jahr verkündeten 11-Punkte-Plan gegen Extremismus in der Polizei noch weiter gegangen. Bei Bewerbern für den Polizeidienst sollte der Verfassungsschutz gefragt werden, ob etwas gegen sie vorliege. Das sollte nach zehn oder 15 Jahren oder bei Beförderungen wiederholt werden. Das sieht ganz nach einer Regelanfrage aus. Eine Parallele zum Radikalenerlass von 1972 wollte der damalige Innensenator An­dreas Geisel (SPD) auf Nachfrage der taz trotzdem nicht sehen.

Angesichts der Praxis der Vergangenheit ist Antifaschist Csaszkóczy skeptisch. In der taz warnte er davor, „einen neuen Radikalenerlass zu etablieren, der sich – selbstverständlich – gegen rechts wie links“ richten soll. Auf eine Regelanfrage wäre der Verfassungsschutz seiner Einschätzung nach nicht angewiesen: Er sei personell und logistisch so aufgestellt, dass er sie kaum noch benötigen dürfte.

Überdies würden die bestehenden Regeln mit Blick auf immer wieder öffentlich bekannt gewordene Neonazis in Polizei, Bundeswehr und Justiz so gut wie nie angewandt. „Von einem Berufsverbotsverfahren gegen den Gymnasiallehrer Björn Höcke ist bislang nichts bekannt“, schreibt Csaszkóczy.

Im Fall der Lüneburger Kindergärtnerin Birkhild T. machten die Eltern Druck, nachdem die taz ihre Verankerung in der rechten Szene bekannt gemacht hatte. Zwar war der Kita-Leiterin nach eigener Aussage nichts am Verhalten ihrer Mitarbeiterin aufgefallen und die Frau hatte vor dem Arbeitsgericht erfolgreich gegen eine Versetzung in die Tagespflege geklagt.

Doch die Eltern streikten und drohten, einen eigenen Kindergarten zu gründen. Schließlich zeigte sich Birghild T. bereit, einen Auflösungsvertrag zu unterzeichnen. „Ich glaube, wir haben auch ein Signal gesetzt“, sagte der Sprecher der Elterninitiative.

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8 Kommentare

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  • Also Rechtsextreme sind halt nicht einfach "Andersdenkende", schon vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.

    Meinetwegen soll jeder das Recht haben, sich als "Bürgerin des Königreichts Preußen" zu bezeichnen oder auch als Bürger von Entenhausen. Aber in der Schule zu lehren, daß Preußen ganz lebendig ist und lustig Personalausweise ausstellt, ist dann eben doch Geschichtsverfälschung. Es gibt keinen Staat namens Preußen. Wer unterrichtet, soll sich wenigstens an die Fakten halten.

    Berufsverbot nur wegen Parteimitgliedschaft ist schwierig, sollte nur nach Parteiverbot erfolgen. Ein paar Stringer einzuziehen, die dafür sorgen, daß in den Schulen keine Stories über Reptiloiden erzählt werden, halte ich aber schon für richtig. Und daß Deutschland ein paar Spezialregeln hat in Bezug auf Nazis, ist auch richtig.

    • @kditd:

      Der Konstruktionsfehler liegt im Einfordern eines AKTIVEN Bekenntnis zur FDGO.

      Würde man die Grenze bei aktiver ABLEHNUNG ziehen, würden sich so ziemlich alle Probleme in einem Logikwölkchen auflösen, und man bräuchte womöglich gar keine weitergehende rechtliche Regelung - man müsste nur Artikel 18 GG aus seinem Dornröschenschlaf erwecken:

      "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die [...] Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3) [...] zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte."

      Ist damit nicht alles gesagt? Es gibt also bereits eine rechtliche Handhabe, ganz ohne "Radikalenerlass". Man muss sie anzuwenden.

      Aber es ist halt die typisch deutsche Vorgehensweise, insbesondere (aber nicht nur) der Konservativen, geltendes Recht schleifen zu lassen, um neue Regulierungen zu erfinden, mit denen man "Probleme löst", die eigentlich gar nicht bestehen würden, würde man einfach nur konsequent die bereits bestehenden rechtsstaatliche Normen anwenden.

  • Ich glaube, wir haben ein Problem mit zuviel Tolleranz gegenüber Demokratiefeinden. Dass es in der Vergangenheit schlecht lief und meistens ggn. Linke ist natürlich doof, aber hat jemand eine bessere Lösung? Die neue Rechte infiltriert nicht nur bürgerliche Gruppen, sondern auch die Infrastruktur, wenn die Berichte in dieser Zeitung stimmen. Fing damals bei der AfD genau so an. Jetzt kann dort von Infiltration allerdings nicht mehr die Rede sein ...

  • Schnackeldidackel - Sorry - & wie meinen?

  • Waren es in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jh. linke Aktivisten, die durch antikapitalistisches Gedankengut vom Verfassungsschutz observiert wurden, so sind es heute die Rechtsradikalen, die mangels nennenswerter linker Aktivisten vom VS observiert werden. Sicherlich werden die Rechtsradikalen wohlwollender vom VS und auch von bestimmten Politikern beurteilt. Das geht so weit, dass mögliche Akten, die Verbindungen des VS mit Nazis belegen, auch mit Hilfe grüner PolitikerInnen für Jahrzehnte unter Verschluss gehalten werden.

    Wenn z.B. ein Höcke als beamteter Lehrer noch nicht einmal beamten- bzw. dienstrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, lässt das den Rückschluss zu, dass Berufsverbote in erster Linie ein Mittel gegen Linke sind. Auch wenn Linke heute kaum eine Rolle spielen. Bei der zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Rückorientierung an alte Zeiten ist nicht damit zu rechnen, dass es in Zukunft nennenswerte Berufsverbote für Rechtsradikale geben wird.



    Glaubt man den AfD Leuten, dann wird unser Land von Linken regiert und eine linke Presse belügt die Menschen. Aus rechtsextremer Sicht ist alles links, was nicht völkisch geprägt ist. Die Realität sieht aber anders aus, denn die politische Verortung hängt vom eigenen Standpunkt und den eigenen Erfahrungen ab. So wäre es durchaus legitim, auch die sogenannten linksliberalen mit den Konservativen der 60er Jahre des letzten Jh. zu vergleichen mit dieser Engstirnigkeit, der Diskursfeindlichkeit, der alten Feindbilder, der Doppelmoral und der sozialen Verantwortungslosigkeit. Auch das spricht für eine neue Radikalität des Spießbürgertums, das durchaus nichts Gutes erwarten lässt.

    • 8G
      82289 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      ^Das geht so weit, dass mögliche Akten, die Verbindungen des VS mit Nazis belegen, auch mit Hilfe grüner PolitikerInnen für Jahrzehnte unter Verschluss gehalten werden.*

      Sowohl, die PdL, als auch die AfD stimmten für die Veröffentlchung der NSU-Akten.

    • @Rolf B.:

      Höcke ist ein schlechtes Beispiel. Solange er im thüringischen Landtag als Abgeordneter sitzt, ruhen gem. § 5 I AbgG (analog) seine Dienstpflichten. Deshalb kann und darf gar kein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet werden. Selbst eine Aufhebung seiner Abgeordnetenimmunität durch Beschluss des Landtags dürfte sich nur auf einen Strafantrag beziehen, Disziplinarverfahren sind ausgenommen. Das kommt erst, wenn er (hoffentlich) mal aus dem Landtag herausgewählt wird.

    • @Rolf B.:

      Sie bringen es auf den Punkt!