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Debatte VenezuelaDer Rückhalt schrumpft

Jürgen Vogt
Kommentar von Jürgen Vogt

Die linke Regierung hat bei der Wahl noch einmal gesiegt. Sie verliert aber in der Bevölkerung und bei ihren Bündnispartnern an Unterstützung.

Mutter, der Mann mit dem Öl ist da: Venezuelas Präsident Maduro Anfang Mai auf Staatsbesuch in Uruguay. Bild: reuters

I n Venezuela hat sich eine revolutionär gebende Regierung den Zugriff auf den Reichtum des Landes gesichert. Erdöl ist Dreh- und Angelpunkt. Das macht die chavistische Regierung ökonomisch stark und erleichtert anderen linken Regierungen in der Region das Leben.

Verlieren die Chavistas den Zugriff auf das Öl, kommen andernorts die linken Regimes zumindest ins Straucheln. Es geht also um mehr als nur um einen innenpolitischen Verteilungskampf, die Polarisierung hat längst andere Gesellschaften erfasst. Die Nerven liegen blank, wenn es um die Frage geht: Wie hältst du es mit Venezuela?

Bei Wahlen in Venezuela wird immer nur suggeriert, zwei komplett unterschiedliche ökonomische und gesellschaftliche Projekte lägen zur Abstimmung vor. Unangetastet bleibt das Fundament, das Regierungs- wie Oppositionspolitik zugrunde liegt: eine Rentenökonomie.

Jürgen Vogt

ist Lateinamerika-Korrespondent der taz.

Der Reichtum kommt aus dem Boden, nicht aus den Schulen, den Fabriken oder von den Äckern. Mit sozialistischen Errungenschaften hat das nicht viel zu tun.

Es geht bergab

Die Wahlen vom April brachten nur einen knappen Sieg für den Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro, viel knapper als erwartet. Auch wenn je nach politischem Standpunkt umstritten ist, ob es Wahlmanipulationen gegeben hat, lassen die Ergebnisse einen realistischen Blick auf die politischen Verhältnisse zu.

Im Oktober 2012 mobilisierte der zur Wiederwahl angetretene Hugo Chávez knapp über 80 Prozent der rund 19 Millionen Stimmberechtigten. 8,19 Millionen Menschen stimmten für ihn, für seinen Herausforderer Henrique Capriles nur 6,59 Millionen.

Auch bei den Gouverneurswahlen im Dezember – Chávez lag in einem kubanischen Krankenhaus – sieht es auf den ersten Blick nach einem Erdrutschsieg der chavistischen Kandidaten aus. In 20 der 23 Bundesstaaten errangen sie den Sieg, lediglich in drei Bundesstaaten setzte sich die Opposition durch. Die absoluten Zahlen zeichnen jedoch ein etwas anderes Bild. Die Wahlbeteiligung schrumpfte auf 54 Prozent. Gemeinsam erzielten die Chávez-Kandidaten 4,85 Millionen Stimmen, die der Opposition 3,71 Millionen. Der Abstand hatte sich bei beiderseitigen Verlusten auf 1,14 Millionen verringert.

Jetzt, im April, stieg die Wahlbeteiligung auch ohne Hugo Chávez erneut auf knapp 80 Prozent. Aber diesmal stimmten nur 7,59 Millionen für Maduro, dagegen 7,36 Millionen für Henrique Capriles, ein Zugewinn von rund 770.000 Stimmen. Chávez-Anhänger blieben nicht nur in Scharen zu Hause, sie stimmten auch für den Kandidaten der Opposition.

Wie Schnee in der Sonne

Die Legitimation der chavistischen Führungsriege durch einen mehrheitlichen Rückhalt in der Bevölkerung ist in den letzten sechs Monaten wie Schnee in der Sonne geschmolzen. Ein Fakt, der mit dem Tod von Chávez im März und rechter Wahlpropaganda allein nicht zu erklären ist. Die Hälfte der venezolanischen Stimmberechtigten will offensichtlich den Weg eines chavistischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts nicht mitgehen.

Für die Chavistas ist die Anschuldigung der Opposition, die Ergebnisse manipuliert zu haben, nicht das größte Problem. Von den rund 7,59 Millionen Stimmen für Maduro kamen 6,19 Millionen direkt von der PSUV, der Sozialistischen Einheitspartei. 1,39 Millionen Stimmen steuerten 13 kleinere Parteien bei, die der von Chávez gegründeten PSUV nicht beigetreten sind, aber ebenfalls Maduros Kandidatur unterstützten. Ohne diese Verbündeten hätte es auch Chávez vergangenen Oktober nicht geschafft. Die Abhängigkeit der Chavistas von den Kleinen ist aber jetzt enorm gestiegen.

Vor allem bei den kleinen Allianzparteien steigen die Unzufriedenheit und die Ungeduld mit der Regierung. Das mag weniger für die kommunistische Partei PCV zutreffen, die mit knapp 284.000 die meisten Stimmen beitrug. Aber Basisparteien wie die Redes de Respuesta de Cambios Comunitarios (Redes) oder die sozialistische MEP, die beide jeweils knapp 100.000 Stimmen einheimsten, werden bei knappen Wahlausgängen zum Zünglein an der Waage.

Allmählich setzt sich bei ihnen die Erkenntnis durch, dass der Chavismus zwar eine Umverteilungspolitik hervorgebracht hat, die die bisher Ausgeschlossenen am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt, aber nur dank der florierenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft aus dem Vollen schöpft und funktioniert.

Dass die chavistische Regierung es nicht geschafft hat, die seit vielen Jahrzehnten existierende korrupte Sumpflandschaft im Staatsapparat trockenzulegen und diesen zudem endlich effizienter zu machen, wird von den kleineren Parteien noch hingenommen. Dass sich bereichernde und sich chavistisch gebende Eliten hinzugekommen sind, schon weniger. Und nur zähneknirschend akzeptieren sie noch immer, dass der Aufbau von Arbeiterräten und kommunalen Volksräten, die dem staatlich-bürokratischen Sektor etwas entgegensetzen können, nicht vorankommt.

Der Dominoeffekt

Sollten kleine Parteien den Chavistas die Unterstützung entziehen, dürften auch die Verbündeten nervös werden, allen voran Kuba. Die Behauptung, Venezuela verschenke sein Erdöl an Havanna, stimmt nicht, denn die kubanischen Ärzte in den venezolanischen Armenvierteln leisten im Gegenzug einen großen Dienst.

Aber eine Einstellung der Öllieferungen zu Vorzugspreisen würde die Inselökonomie zumindest ebenso erschüttern wie der Zusammenbruch der UdSSR. Ähnliches gilt für die übrigen 15 Mitgliedstaaten von Petrocaribe (das Abkommen Venezuelas mit Karibikstaaten über verbilligte Öllieferungen), aber auch für Uruguay und Argentinien.

Doch auch für die von Venezuela ökonomisch weniger abhängigen südamerikanischen Regierungen würden sich die politischen Koordinaten deutlich verschieben. Zwar treten die meisten südamerikanischen Länder heute gegenüber den USA weitaus unabhängiger als früher auf. Venezuela ist aber noch immer der verbale Vorreiter. Brasilien, die Hegemonialmacht auf dem Subkontinent, segelt so weitaus weniger beachtet im Windschatten des venezolanischen Polterns gegen den Norden.

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Jürgen Vogt
Korrespondent Südamerika
Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.
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9 Kommentare

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  • H
    Hannes

    Zitat: "Laufen sie mal durch die Straßen der marktwirtschaftlich geprägten Hauptstadt Berlin (gerne auch in Problembezirken wie Wedding oder Hellersdorf) und anschließend im Vergleich dazu durch die staatskapitalistisch (Hinweis: Mit Sozialismus hat das System Chavez sehr wenig zu tun) geprägte Hauptstadt Caracas (zu ihrer eigenen Sicherheit besser nicht in Problemvierteln). Sie werden den Unterschied sehr sehr schnell erkennnen. "

     

    Lassen Sie mich raten: In Berlin wird mehr gebettelt? In Berlin sind die Schlangen vor den Suppenküchen länger?

  • M
    manu

    Diesen Artikel habe ich schon vor ca einem Monat Wort fuer Wort irgendwo gelesen. Es ist schon erbärmlich, alte Artikel wieder aufzuwärmen nur um mal wieder gegen Venezuela stänkern zu können!

  • V
    Venezolanerin

    Leider ist bei den vorigen Kommentaren ziemlich deutlich festzustellen, dass keiner wirklich eine Ahnung von Venezuela geschweige denn von der jetztigen Situation dieses Landes hat. Was keinesfalls als Vorwurf aufgefasst werden soll, denn in Europa wird sehr wenig darüber berichtet. Gott sei dank ist aber der Artikel von Herrn Vogt ziemlich gut und schafft es in wenigen Wörtern ein Gesamtbild davon zu geben. Dennoch handelt es sich dabei um eine viel komplexere und leider auch viel schlimmere Situation. Dies weißt sicherlich auch der Autor des Artikels, aber man kann nicht von ihm erwarten, dass er hier die ganze Geschichte Venezuelas aufschreibt. Als Venezolanerin, die zwar seit Jahren in Europa lebt, jedoch sehr enge Beziehungen zu meinem Heimatland pflege, kann ich zusichern, dass die derzeitigen politischen und finaziellen Situation Venezuelas sehr sehr schlimm ist. Diese Situation hat sich in den letzten 14 Jahren gravierend zugespitzt. Hunger und Armut gibt es nach wie vor, die Zahlen steigen sogar; Lebensmittelknappheit steht auf der Tagesordnung; Menschenrechte werden laufend mit Füßen getreten; die Kriminalität ist horrend hoch, Tendenz steigend usw usw usw. Das Schlimmste ist aber, dass trotzalledem die Venezolaner mit keiner Institution rechnen können. Weder die Exekutive, noch die Legislative, noch die Judikative sind auf der Seite der Venezolaner, sondern komplett in den Händen der Regierungspartei, die somit absolut allmächtigt ist. Wir können nur hoffen, dass die Demokratie in Venezuela wieder "einkehrt".

  • F
    @FreeFU

    Das venezolanische Staatswesen scheinen Sie tatsächlich nicht zu kennen, genausowenig wie den Rest Venezuelas. Kleiner Tipp: Laufen sie mal durch die Straßen der marktwirtschaftlich geprägten Hauptstadt Berlin (gerne auch in Problembezirken wie Wedding oder Hellersdorf) und anschließend im Vergleich dazu durch die staatskapitalistisch (Hinweis: Mit Sozialismus hat das System Chavez sehr wenig zu tun) geprägte Hauptstadt Caracas (zu ihrer eigenen Sicherheit besser nicht in Problemvierteln). Sie werden den Unterschied sehr sehr schnell erkennnen.

  • TL
    Tim Leuther

    In einer Doku hab ich gesehen wie "Arbeiter" voller Stolz verkündet haben Teil der Revolution zu sein. Stehend in einer ehemals von einem ausländischen Konzern betriebenen verstaatlichten "Schokoladenfabrik". Kurz nach der Verstaatlichung ging irgend ein Elektronikteil kaputt, die Fabrik steht still. Die Schokolade wird nun importiert.

     

    Aber die Propaganda scheint so stark zu sein das der "Arbeiter" in seiner "Schokoladenfabrik" stehen kann und das alles ernst meint. Er ist nun Sozialhilfeempfänger und sein Land verschwendet Devisen für Importe die man im Land produziert hat.

  • A
    alem

    @GreenHU: Ist doch logisch: was vermeintlich gut läuft, ist irgendwie links, was vermeintlich schlecht läuft, ist dann irgendwie links. So einfach ist die Welt der linken Volldeppen. Die Nähe dieses Wahns zu religiösem Fanatismus ist frappierend.

  • F
    FreeFU

    Sehr geehrte® Frau/Herr GreenHU,

     

    glauben sie wirklich, dass die Zustände in Venezuele ebenso verheerend sind, wie in den kapitalistischen Gesellschaften, in denen Millionen von Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen sind?

     

    Dies wäre ein trauriges Bild! Noch trauriger wäre es, wenn durch das mitwirken dieser Gesellschaft weitere Milliarden von Menschen vom Hungertot bedroht würden!

     

    Leider kenne ich mich mit dem venezuelischem Staatswesen aber nicht so gut aus, traurig wäre es aber alle mal!

  • G
    GreenHU

    ..und ich dachte, die Venezuelaner hätten zunehmend Angst vor staatlicher Represssion, Prügelsozis und Vetternwirtschaft. Politiker mit Piepmätzen, Schüsse auf Demonstrationen, Verhaftungen wegen Fotos auf Facebook. Keine Eier, keine Milch, kein Toilettenpapier, kein Mehl, keine Weihnachtsbäume.

    Wie dumm von mir, das zu denken. Selbstverständlich ist das eigentliche Problem, dass die Revolution nicht gut vorran kommt. Die Linke muss aufpassen, sich hier nicht vollständig zu diskreditieren.

  • T
    Tobias

    Venezuela hat es verpasst auf erneuerbare Energie zusetzen und setzt lieber weiterhin auf Öl. Man kann sich das kaum vorstellen, in Venezuela ist Wasser fast teurer als Benzin wegen den Subventionen. Die Umwelt wird ziemlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Und die Linken dort haben damit kein Problem, sehen das sogar noch als Fortschritt. Die Kinder werden dafür noch büßen müssen.