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Debatte Syrien und ISVolltreffer für die Terroristen

Kommentar von Kristin Helberg

Der eindimensionale Kampf gegen den IS entfernt uns von unseren eigentlichen Partnern: den moderaten syrischen Oppositionellen.

US-Kampfjet im Irak beim Einsatz gegen IS. Bild: ap

D ie USA und ihre Verbündeten verlieren dieser Tage in Syrien eine entscheidende Schlacht. Nicht die um Kobani, nein. Sie verlieren die Unterstützung der Syrer. Denn statt ihnen beizustehen und an ihrer Seite zu kämpfen, werfen die USA Bomben ab, wo es ihnen passt, und verschließen vor dem Leid die Augen. Statt sich mit Kämpfern und Aktivisten vor Ort zu koordinieren, um militärische Ziele und Stellungen des IS zu identifizieren, zerstören die USA die Infrastruktur. Und statt gemäßigte Rebellen (Freie Syrische Armee und Kurden) mit modernen Waffen auszustatten, um gleichzeitig aus der Luft und am Boden gegen den IS vorzugehen, informiert man diese nicht einmal über Angriffsziele.

Dieser eindimensionale Kampf gegen den IS in Syrien ist nicht nur wirkungslos, sondern kontraproduktiv. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, die Luftangriffe seien in Wirklichkeit ein Krieg gegen den sunnitischen Islam, der Assad verschont und womöglich heimlich mit ihm abgesprochen ist. Volltreffer für die Terroristen.

Warum viele Syrer das so sehen? Ganz einfach. Europäer und Amerikaner tragen mit Blick auf Syrien eine Augenklappe – auf manches reagieren wir mit Abscheu und Gepolter, auf anderes mit Gleichgültigkeit und Schweigen – und das in dreifacher Hinsicht.

Erstens unterscheiden wir zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt. Die staatliche, also die des Regimes, beachten wir kaum noch, obwohl ihr die meisten Zivilisten zum Opfer fallen – 1.707 im September, ein Drittel davon Frauen und Kinder. Im Durchschnitt sterben jeden Tag zehn Kinder durch die Bomben Assads. „Abstoßend“ und „menschenverachtend“ finden wir jedoch nur das, was der IS macht. Dabei sind die staatlichen Verbrechen durch Menschenrechtsgruppen im Land, internationale NGOs und die UN glaubwürdig dokumentiert: Chlorgas in Jobar, Aushungern und Bombardierung von Al-Waer in Homs, Fassbomben auf Aleppo, Raketen auf Ost-Ghouta bei Damaskus sowie Saraqeb in Idlib, um nur eine aktuelle Auswahl zu nennen. Wer will, kann fast täglich zuschauen, wie staubbedeckte Kleinkinder aus Schuttbergen gezogen werden, mal tot, mal lebendig. Aber wir wollen nicht hinsehen.

Kurden und Araber

Zweitens engagieren wir uns vorrangig für IS-Opfer, die religiösen Minderheiten angehören. Als die Dschihadisten (damals noch Isis) im Sommer 2013 die syrische Provinzhauptstadt Raqqa einnahmen und ihr Terrorregime etablierten, interessierte das niemanden – schließlich leben dort überwiegend Sunniten. Öffentliche Hinrichtungen und die Steinigung zweier Frauen waren kaum eine Nachricht wert. Erst als im Nordirak die Christen aus Mossul vertrieben wurden und die Jesiden in den Bergen saßen, entdeckte der Westen den IS. Den religiösen Minderheiten im Irak eilten die USA schnell zur Hilfe, der sunnitischen Mehrheit in Syrien nicht. Während die Welt auf das Sinjar-Gebirge starrte, massakrierte der IS in der syrischen Provinz Deir al-Sor 700 Mitglieder des Sheitat-Stammes, darunter viele Frauen und Kinder. Wieder nahm bei uns keiner Notiz davon.

Kristin Helberg

berichtete von 2001 bis 2008 aus Damaskus für deutschsprachige Medien und arbeitet heute von Berlin aus als freie Journalistin und Nahostexpertin für TV, Radio und Print. 2014 erschien die aktualisierte und erweiterte Ausgabe ihres Buchs „Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land“ bei Herder. Mehr in ihrem Blog: www.kristinhelberg.de.

Drittens befördern wir jetzt auch noch die Spaltung zwischen Arabern und Kurden. Seit der Belagerung von Kobani reden alle über die Kurden. Das ist gut so, denn diese fühlen sich zu Recht missachtet und verraten von der Welt. Ob 1920, als die Europäer ihnen einen eigenen Staat versprachen und nichts daraus wurde, 1962, als Damaskus Zehntausenden syrischen Kurden die Staatsangehörigkeit entzog, oder 2004, als die Kurden gegen das Assad-Regime aufstanden und sich niemand mit ihnen solidarisierte.

Das Misstrauen zwischen Arabern und Kurden wächst seit Jahren, jetzt schlägt es um in offenen Hass – eine Tragödie für Syrien. Im Internet fragen syrische Araber, warum alle auf den Kampf der PYD (Partei der Demokratischen Union) in Kobani schauen und nicht auf den Widerstand anderer Rebellengruppen gegen den IS bei Aleppo, in Deir al-Sor und Raqqa. Seinen Kämpfern sei bislang niemand zur Hilfe gekommen, sagt ein Oberst der Freien Syrischen Armee (FSA), dabei bekämpfe die FSA den IS doch „stellvertretend für die ganze Welt“.

Aus syrischer Sicht ist das Vorgehen der USA nicht nachvollziehbar. Offiziell bezeichnet Washington FSA-Einheiten als Verbündete im Kampf gegen den IS, doch sie werden nicht als solche behandelt. Assad wird über Luftschläge informiert, die FSA nicht. Immer mehr Oppositionelle sehen sich gezwungen, die US-Angriffe zu kritisieren, um nicht den Rückhalt ihrer Landsleute zu verlieren.

US-Schläge lassen Preise steigen

Bislang treffen die Kampfjets vor allem Ölraffinerien und Getreidesilos, die für die Syrer lebensnotwendig sind, auch wenn sie vorübergehend vom IS kontrolliert werden. In Raqqa sind die Preise für Nahrungsmittel und Heizöl seit den US-Angriffen deutlich gestiegen, berichten Aktivisten, die Menschen solidarisierten sich zunehmend mit dem IS.

Immerhin werfen die USA nun Waffen für die eingeschlossenen Volksverteidigungseinheiten der PYD in Kobani ab. Zwar besteht die Schwesterpartei der PKK nicht aus lupenreinen Demokraten und verfolgt Andersdenkende, aber wer sich im Kampf gegen den IS mit Ländern wie Saudi-Arabien verbündet, darf auch bei der PYD nicht so zimperlich sein. Schließlich geht sie seit einem Jahr effektiv gegen die Dschihadisten vor.

Kurden unterstützen, Araber nicht vernachlässigen, Sunniten zu Verbündeten machen und Assad als Ursprung des Terrors nicht aus den Augen verlieren – aus diesen Erkenntnissen lassen sich fünf Schritte ableiten, die aus planlosen Luftschlägen eine nachhaltige Strategie machen könnten.

Erstens müssen Luftangriffe gegen den IS mit Aktivisten und Rebellen vor Ort abgesprochen und Informationen über geeignete Ziele eingeholt werden. Zweitens sollten bereits identifizierte syrische Rebellengruppen in den Krieg gegen den IS miteinbezogen werden, indem sie moderne Waffen bekommen, um am Boden gegen den IS vorzurücken. Drittens wäre es ratsam, wenn US-Kampfjets nicht nur Bomben, sondern auch Lebensmittel für die notleidende syrische Bevölkerung abwerfen, deren Sympathie der Westen dringend braucht.

Viertens verdient jede Initiative, die ethnische und religiöse Grenzen überwindet – wie die Allianz zwischen FSA und PYD bei Aleppo – sofortige Unterstützung mit Geld und Waffen. Verständigung muss sich lohnen, denn es geht darum, die Syrer zu einen und nicht weiter zu spalten. Und fünftens sollten die vom IS befreiten Gebiete langfristig mit einer Flugverbotszone vor den Angriffen des Regimes geschützt werden, damit die Opposition (Araber und Kurden) dort alternative staatliche Strukturen aufbauen kann.

Gerade in Syrien muss jedes militärische Engagement die Menschen im Blick haben, einseitige unkoordinierte Terroreindämmung treibt sie nur in die Arme des IS.

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12 Kommentare

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  • "Gerade in Syrien muss jedes militärische Engagement die Menschen im Blick haben, einseitige unkoordinierte Terroreindämmung treibt sie nur in die Arme des IS."

     

    Diese Sicht und die aufgeführten Punkte finden meine volle Zustimmung.

    Mehr Engagement, nicht weniger!

  • Die Twitter-Seite der FSA ist schon mal nicht schlecht um sich ein Bild der FSA zu machen die von Frau Hellberg favorisiert wird und vom Westen mit viel Geld gepusht wird um Syrien zu terrorisieren https://twitter.com/FreeSyrianArmy/media "Allahu Akbar, Allahu Akbar" eigentlich in jedem Video. Der FSA-Stoßtrupp ist ja auch bekannt für seine Massaker, auch zusammen mit ISIS (Bezug auf HRW-link am Artikelende) "Massaker in Latakia" http://www.hintergrund.de/201310152845/kurzmeldungen/aktuell/human-rights-watch-syrische-rebellen-veruebten-massaker.html

    Die FSA sind ja auch nicht gerade Freunde der Kurden. Und so massakrieren sie auch mal Kurden http://www.youtube.com/watch?v=OdRuv0Zqedg Vielleicht ist das auch der Grund warum der Westen die FSA unterstützt, dass es da keine Lösung gibt? Jeder gegen jeden kämpft? Möglich. Die FSA ist auch bekannt für Folter wie auch der Spiegel weiß http://www.spiegel.de/politik/ausland/human-rights-watch-macht-syrischer-opposition-schwere-vorwuerfe-a-822653.html Auch "Hintergrund" berichtet über Massaker der FSA an den Kurden in Kooperation mit Al Nusra http://www.hintergrund.de/201308062741/politik/welt/syrien-press-tv-meldet-massaker-an-kurden.html Die FSA mag auch keine Christen und richtet da auch hin und wieder Massaker an, wie man der Presse entnehmen kann http://www.voltairenet.org/article178704.html http://www.veteransnewsnow.com/2013/06/08/224250-u-s-backed-fsa-rebels-massacre-an-entire-christian-village-in-syria/ http://www.orthodoxytoday.org/blog/2013/08/christians-massacred-by-free-syrian-army-terrorists-rebels/

     

    Kopten ohne Grenzen unterhalten einen sehr guten Blog wo man sich auch zur FSA informieren kann http://koptisch.wordpress.com/2012/06/27/das-grauen-von-hula-und-seine-zeugen/ http://koptisch.wordpress.com/2013/12/15/adra-massaker-medien-nennen-die-islamischen-terroristen-syriens-kampfer/

  • Kristin Helbergs Versuch, dem kaum durchschaubaren Durcheinander der kämpfenden Parteien in Syrien/Irak Struktur zu verleihen und daraus (militärstrategische ) Schlussfolgerungen zu ziehen, leidet an eindeutigem Wunschdenken: Die "moderaten Rebellen" gegen Assad existieren in Syrien nicht mehr. Die "Freie Syrische Armee" besteht inzwischen nur noch aus einer Handvoll vollkommen zerstrittener syrischer Exilpolitiker, die die Hotels in Ankara bevölkern - die US-Strategen sehen sich zu ihrem Bedauern gezwungen, ihre 500 Mio Dollar, die sie für die Unterstützung der syrischen "moderaten Opposition" ausgeben wollen, für die Rekrutierung und Ausbildung einer völlig neuen Truppe in der Türkei, in S-Arabien und Jordanien auszugeben - es wird immer toller: Noch eine fremdgesteuerte Bürgerkriegstruppe auf syrischem Boden....ein toller Friedensplan...

  • Was Frau Helberg einfach nicht wahrhaben will, ist:

    Wenn die Luftangriffe mit dem, was man so FSA nennt, abgesprochen werden, dann werden sie nicht erfolgreich sein.

    Es handelt sich hier nicht um irgendwelche solide von einander zu trennenden Gruppen, die Grenzen sind fließend.

  • "Den religiösen Minderheiten im Irak eilten die USA schnell zur Hilfe, der sunnitischen Mehrheit in Syrien nicht."

     

    Vielleicht hält man es langfristig für lohnenswerter diejenigen zu retten, die nicht ständig selbst durch eine radikalisierte Pseudo-Religiosität mit sich und anderen im bewaffneten Clinch liegen ? Ich kann es schon nachvollziehen wenn man sagt:"Warum sollten wir Geld, Material oder gar Soldaten aufs Spiel setzen um Leute zu retten, von denen wir annehmen, daß diese den Tod Anderer aus religiösen Gründen genau so gut heißen wie die, aus deren Bedrohung Erstere nun gerettet werden sollen ?

     

    Quasi wie zwei Hooligan-Gruppen, die man nicht mehr aus ihrem Bolzplatz-Käfig herauslässt !

     

    Was die FSA angeht, so erinnere ich mich gut an glaubwürdige Berichte von Massakern an Regierungstruppen aber auch Zivilisten die in ihrer Grausamkeit und Brutalität denen der IS in nichts nachstehen. Ob man diese und andere Gruppen mit dem Attribut 'gemäßigt' benennen sollte, scheint mir sehr fraglich.

     

    Zuletzt würde auch ich mich gern der Frage von Herrn Wolkenhauer anschließen; diese Behauptungen sind mir völlig neu !

  • mir scheint es so zu sein, dass der Westen erst mal abwartet, welche Partei sich durchsetzt, dass die Bomben nix bringen, darüber braucht man nicht diskuttieren, Bomben haben zu keiner Zeit den Durchalte/Kampfwillen gebrochen, meist leiden eh nur die Zivilsten, ich wette, wenn der IS sich durchsetzt, sitzen am nächsten Tag die Westlichen Unterhändler mit ihnen an einem Tisch ! Wetten!

  • Hallo Taz Autor/in,

     

    könnten Sie Belege dafür angeben, dass die in dem Artikel erwähnte PYD geben, dass diese "nicht aus lupenreinen Demokraten" besteht, und "Andersdenkende verfolgt"? Ich interessiere mich sehr für die PYD, und versuche mir ein vollständiges Bild zu machen.

     

    Mit freundlichem Gruß

    Hannes Wolkenhauer

     

    HannesWolkenhauer@gmx.net

    • @Hannes Wolkenhauer:

      Herr Wolkenhauer, die PYD ist der syrische Arm der PKK, weisungsgebunden an Öcalan. Ich kann ihnen ein Buch von Günter Wallraff und Selcuk Cürükkaya empfehlen, einem Mitgründer der PKK und jetzt auf der Todesliste der PKK. Buchtitel: "PKK: Die Diktatur des Abdullah Öcalan" In diesem Buch werden Sie dutzende Belege dafür finden, dass die PKK/PYD alles andere als demokratisch oder freiheitlich ist.