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Debatte Nahost-FriedensprozessDie Siedler haben gewonnen

Kommentar von Susanne Knaul

Die Regierung Netanjahu annektiert Stück für Stück das noch unbewohnte palästinensische Land. Doch in Jordanien bewegt sich etwas.

Festung Eigenheim: das Quartier Ulpana am Rande der Siedlung Beit El nördlich von Ramallah. Bild: reuters

D er israelisch-palästinensische Friedensprozess liegt im Wachkoma. Es kann noch ein paar Tage dauern, bis er seinen letzten Atemzug tut, oder noch Jahre. Sowenig sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas eine Friedenslösung herbeisehnen, so wenig liegt beiden an einem Ende der Verhandlungen.

Das Rennen um die Sympathie der internationalen Öffentlichkeit dürfte mit dem Scheitern des Vermittlers, US-Außenminister John Kerry, zwar an die Palästinenser gegangen sein. Der eigentliche Sieger ist jedoch die Siedlerbewegung. Ihr Traum von Großisrael, das sich vom Mittelmeer bis zum Jordan erstreckt, nimmt zunehmend Form an, indessen die Vision vom Staat Palästina verblasst.

Status quo heißt das Zauberwort für beide Seiten. Netanjahu klebt am Istzustand, den sich auch sein Volk mehrheitlich wünscht. Nie war es so friedlich wie heute. Nur nicht dran rütteln, lautet die Devise. Recht unerwartet kommt die Ruhe gerade infolge der anfangs mit Sorge beobachteten Arabellion. Während in Ägypten Hunderte Muslimbrüder zum Tode verurteilt wurden, die Hamas auf der Liste der Terrororganisationen landete und die ägyptischen Sicherheitskräfte die Tunnel zerstören, durch die einst Waffen nach Gaza geschmuggelt wurden, lehnen sich Israels Soldaten gemütlich zurück. Auch aus dem Norden, wo sich im Kampf um die Vorherrschaft in Damaskus Israels Feinde gegenseitig schwächen, droht auf absehbare Zeit keine Gefahr.

Akuten Handlungsbedarf gibt es für Israel ebenso wenig an palästinensischer Front. Niemand rechnet mit Massendemonstrationen oder neuer Gewalt, wohl wissend, dass die Palästinenser die Bomben leid sind, die sie dem eigenen Staat doch keinen Schritt näher brachten. Die Mehrheit der Israelis zieht zwar die Zweistaatenlösung einer Einstaatenlösung vor. So recht an einen Frieden glauben will man aber spätestens seit dem Gaza-Abzug 2005 nicht mehr. Der Abzug der israelischen Truppen und die Räumung der Siedlungen brachte die Islamisten an die Macht, und dann kam der Raketenbeschuss.

Im geteilten Palästina mangelt es der Hamas im Gazastreifen und Präsident Abbas im Westjordanland an demokratischer Legitimation. Ihre Amtszeiten sind lange überschritten, und Wahlen bleiben illusorisch, solange die verfeindeten Parteien nicht zueinanderfinden. Abbas allein verfügt nicht über die politische Stärke, die nötig wäre, um dem Konflikt mit Israel ein Ende zu machen, um einer Grenze zwischen beiden Staaten zuzustimmen und das Rückkehrrecht fast aller Flüchtlinge aufzugeben. Der Status quo garantiert ihm vorerst das Überleben als Präsident.

Stagnation seit 14 Jahren

Solange die Autonomiebehörde die palästinensische A-Zone (etwa 18 Prozent des Westjordanlandes) verwaltet und dort mit den eigenen Sicherheitstruppen für Ruhe sorgt, werden auch die internationalen Spendengelder weiter fließen, um den seltsamen Regierungsapparat in Ramallah vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Augenscheinlich bleibt also alles beim Alten.

De facto verschiebt sich die Grenze jedoch nach Osten. Mit jedem Neubau von Wohnungen für Israelis im besetzten Land schrumpft Palästina zusammen. Was bislang nur die national-religiöse Koalitionspartei „Das jüdische Haus“ offen forderte, ist insgeheim offenbar längst Regierungspolitik: eine Annexion des noch unbewohnten palästinensischen Landes. Immer schneller breiten sich die Siedlungen aus – besonders in den letzten acht Monaten der Verhandlungen, die die Zweistaatenlösung zum Ziel hatten.

14 Jahre ist es her, dass die USA zum letzten Mal einen ernsthaften Vermittlungsversuch unternahmen. Über Wochen zog sich Ex-US-Präsident Bill Clinton damals völlig umsonst von allen anderen Pflichten zurück.Nach dem Scheitern John Kerrys wird sich so rasch kein dritter Weltpolitiker die Hände verbrennen wollen. Noch einmal 14 Jahre ungehinderter Siedlungsbau im aktuellen Tempo, und die jüdische Bevölkerung im besetzten Land wird die Millionengrenze erreichen.

Netanjahu geht behutsam vor

Im Westen des Jordans werden die Palästinenser prozentual weniger, im Osten eher mehr. Eine jordanische Arabellion ist nur noch eine Frage der Zeit. Vorerst gelingt es König Abdallah zwar noch, mit seinen Reformangeboten und mit dem Schreckgespenst des syrischen Bürgerkriegs vor Augen den Demokratiewunsch der Jordanier einzudämmen. Die Monarchie der haschemitischen Minderheit, die schon jetzt über eine deutliche Bevölkerungsmehrheit von Palästinensern regiert, wird sich trotzdem nicht ewig halten.

Ein demokratisches Jordanien wird ein palästinensisches sein. Die Restbestände von „Westjordanien“ – die Enklaven Ramallah, Nablus, Hebron, Bethlehem und die Palästinenser in Ostjerusalem – könnten von den neuen Herren in Amman dann gleich mitregiert werden. Übrig vom Traum des legendären PLO-Chefs Jassir Arafat bliebe dann eine palästinensische Republik Gazastreifen.

Daher wäre ein politisches Erdbeben nötig, um den Neuen Nahen Osten zu retten. Die offizielle Annexion von palästinensischem Land zum Beispiel oder die Ankündigung, nicht nur 500, sondern gleich 50.000 neue Siedlerwohnungen zu bauen, würde den Westen vielleicht wachrütteln. Doch Netanjahu geht behutsam auf Abstand zu drastischen Schritten, die für ihn nur kontraproduktiv wären.

Seit gut 30 Jahren hält der Frieden mit Ägypten, weil Israel den Sinai zurückgab, und seit fast 20 Jahren hält der Frieden mit Jordanien, weil der König keine Gebietsansprüche hegt. Ein Frieden mit Libanon und eines Tages vielleicht sogar mit Syrien wäre zumindest geopolitisch möglich, denn Israel hat bisher signalisiert, die Golanhöhen womöglich zurückzugeben.

Doch im Westjordanland zieht es einen Feind heran, der den Kampf niemals aufgeben wird. Ohne Lösung für das Palästinenserproblem wird der Nahe Osten nicht zur Ruhe kommen. Und ohne einen Staat Palästina wird Israel weiter als Zündstoff der islamistischen Hetzparolen in Teheran oder Beirut herhalten müssen und der Antisemiten im Westen.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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12 Kommentare

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  • dafür, dass frau Knaul vor ort ist, bekommt sie herzlich wenig mit. es wird nicht nur 'unbewohntes' land über siedlungsbau und -ausbau annektiert, es wird auch landwirtschaftlich genutzte fläche annektiert. und mehr noch: man macht, wie vergangene woche in Hebron zu erleben, auch vor bewohntem land nicht halt; kurzum: man annektiert auch schon mal ganze häuser!

    in Jerusalem dürfte eigentlich zum täglich brot einer korrespondentin gehören, solcherart annektionen zu beobachten.

    • @christine rölke-sommer:

      Was soll dieser Vorwurf ?- Der Bericht kreidet doch eindeutig deutlich, die unablässige Landnahme durch die israelische Siedlungspolitik an. Am sonstigen Berichterstatterstil der taz gefällt mir haareraufend oft, so vieles nicht, aber den hier von Ihnen gemachten Vorwurf kann ich ALS LESER nicht nachvollziehen^^

      • @H.-G- S.:

        vielleicht mehr lesen?

        beispielsweise http://972mag.com/a-new-settlement-is-born-in-hebron/89669/

        oder auch mal bei http://www.icahd.org/?

        auch bei http://www.yesh-din.org/ erfährt man einiges mehr.

        da ich dies tue, fällt mir die kleine verharmlosung "unbewohntes Land" eben auf.

        wie mir auch anderes auffällt. aber das lasse ich jetzt mal beiseite. und schließe mit der frage: haben die siedlerinnen wirklich gewonnen?

        • @christine rölke-sommer:

          Auch die taz-Autorin menetekelt doch am Schluss ihres Artikels, einen solchen „Sieg“ ja als Pyrrhussieg.

          Meine Antwort ist: Alle, ohne wenn und aber unrechtmäßig erbauten Siedlungen, schnellstens und unversehrt den allerbedürftigsten Palästinensern zu übergeben.

          Wo der israelische Staat sich mitschuldig gemacht hatte, muss er alle Kosten tragen, wo nicht, sollen diese aggressiv menschenverachtenden Siedler gefälligst alleine auf ihren Kosten sitzen bleiben.

          ABER ! Dem Staat und dem Land Israel darf kein aus schierer Böswilligkeit hervorgehender Schaden zugefügt werden. -Frommer Wunsch, mit gefährlichen Inhalten--ist mir schon klar.

          Also kurzum: Die Siedler sollen nicht gewonnen haben.

          • @H.-G- S.:

            "Aggressiv menschenverachtend" finde ich HIV- oder Hepatitis-infizierte Selbstmordattentäter, die sich und andere mit Splitterbomben töten - wobei ich hier nicht sagen darf, wie ich es finde, wenn hinterher noch Kindergärten nach diesen Typen benannt werden.

            Über die Rechtmäßigkeit israelischer Siedlungen lesen Sie bitte hier weiter:

            http://articles.latimes.com/2009/dec/11/opinion/la-oe-rozenman11-2009dec11

            • @Senckbley:

              Naja,--das "diplomatische Desaster" wird auch in diesem Link klarsichtig anerkannt. ---

              Sollte vielleicht, um für wenigstens ein kleines bisschen, gutwillig frische Luft in dieser kriegerischen Aufgeladenheit mit beitragen zu wollen, das z. Zt. mal wieder sehr prosperierende Deutschland, aufgrund der Tatsache seiner apokalyptischen Verstrickung in das Leid so vieler hier Beteiligter, nicht mehr leisten?-- Z.B. neben seiner ständigen Bereitschaft Israel zur Seite stehen zu wollen und sollen, nun mal sozusagen auch mal einen Zahn zuzulegen, wenigstens den am armseligsten, irgendwo herumirrenden Palästinensern, einen bevorzugten Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen oder ähnliche Hilfen (auch in irgendeinem Ausland). Natürlich nicht einfach nur so drauf los, sondern verantwortungsbewusst prüfend und notfalls eben auch administrativ aufwändig. (Wie viel Millionen Tote gehen noch gleich aufs Deutsche Schuldkonto) Für einen solchen Vorschlag müsste man sich ja nicht gleich einen deutschen Deutschlandhasser nennen lassen, sondern nur ganz schlicht, als ein sich in der Verantwortungskette stehend sehender Nachfahre eines schlimmen Tätervolkes, Schuld aufarbeitend bewusst sein. Das alles mag naiv und herzeweich klingen, ist aber durchaus auch Zähne bleckend gemeint, falls irgendwelche Großmäuler des Nichtstuns meinen, mit blöden Sprüchen- (a la „wir tun schon genug…“,und was weiß ich noch so alles)- kommen wollen. Also: Die Sache ist ein einziges total verfahrenes Desaster, darum muss nun auch mal wieder quer gedacht werden können, ob ich persönlich sowas hier wirklich gekonnt gemacht habe, kann ja bestritten werden, wahrscheinlich sogar mit Fug und Recht (denn es wird das Problem nicht aus der Welt schaffen), soll aber ein Anstoß sein, den Palästinensern zu zeigen: Nicht nur Israel allein, sollte für Euer Schicksal in Haftung stehen.

            • @Senckbley:

              ach? Sie haben ein tab-huhu entdeckt? wie heißt das kleine denn?

              "aggressiv menschenverachtend" finde ich ja auch http://972mag.com/israeli-army-installs-new-remote-controlled-weapon-atop-separation-wall/89879/

              und die idee, dass die 4.genfer konvention eigentlich und im grunde nazi-untaten verurteilen sollte und sonst garnichts, die hat auch leicht schlagseite.

              • @christine rölke-sommer:

                Die IV. GK ist nicht auf die Gebiete anwendbar, da diese ohnehin zu Israel gehören. Und was gefällt Ihnen nicht an der Crowd-dispersal-Methode? Die Leute in den Überwachungsräumen wollten sich mittels Kameraschwenk sowieso nur den Marathonlauf anschauen. Nicht immer gleich das Schlimmste denken!

                • @Senckbley:

                  dann wünsch ich mal ein bad in israelischem skunk water!

                  vielleicht verhilft das auch zu der erkenntnis, dass san remo geschichte ist.

                  • @christine rölke-sommer:

                    Die Verfassung der Vereinigten Staaten ist auch "Geschichte" und dennoch in Kraft, ebenso das Grundgesetz für die BRD. Oder eben der konstituierende Mandatsvertrag für Palästina, aus dem

                    a) Israel bis zum Jordan und

                    b) Jordanien (=Palästina)

                    hervorgegangen sind.

                    • @Senckbley:

                      Sie können sich ja mal über http://972mag.com/watch-ilan-pappe-on-the-ongoing-nakba/89896/ den ganzen vortrag Ilan Pappes anhören -> https://www.youtube.com/watch?v=na5TW9UqGs4 leider ohne untertitel - und dann werden auch Sie verstehen, dass San Remo hin und djihad her, die noch verbliebenen palästinenserinnen bleiben und der mizva 'seid fruchtbar und mehret euch' folgen werden. die haben schließlich das ding mit dem ethnic cleansing auch verstanden. und dann: viel spaß! wie lange werden die noch geknechtet werden können? denn: denen ist im grunde schnurz, wie das staatliche gebilde heißt, so lange sie nicht ewer le-jarden gezwungen werden.

                    • @Senckbley:

                      sind Sie da ganz sicher?