Debatte Militärputsch in Thailand: Land des gefrorenen Lächelns
Der Putsch hat ein Ende der Krise in noch weitere Ferne gerückt. Die Generäle bieten keine Lösungen, sondern verfolgen nur eigene Interessen.
F ür mich ist jede Minute im Gefängnis eine gut investierte Zeit im Kampf gegen die Militärdiktatur,“ schreibt Rangsiman Rome. „Ich möchte das Bewusstsein meiner Landsleute ändern und zeigen, dass wir von der Diktatur nur Unrecht erfahren. Versteht das die Thai-Gesellschaft, haben wir die erste von vielen Schlachten gewonnen.“ Der thailändische Jurastudent hatte am 22. Mai, dem ersten Jahrestag des Militärputsches, friedlich demonstriert. Mit 13 anderen war er verhaftet worden.
Der Protest der „Bangkok 14“ am Jahrestag des Putsches war der erste sichtbare Protest in der Hauptstadt seit einiger Zeit. Er zeigt, dass die Friedhofsruhe trügt. Zwar blieb der öffentliche Aufschrei aus. Aber die 14 bekamen so viel Zuspruch, dass die Militärjustiz ihnen später Haftverschonung gewährte.
Wie viele vorangegangene Putsche in Thailand war auch der Coup 2014 unblutig. Viele Thais waren die Dauerproteste leid, weshalb sie sich dem 19. versuchten und 12. geglückten Putsch seit Einführung der konstitutionellen Monarchie 1932 passiv fügten. Viele gaben sich auch der Illusion hin, die Generäle würden die Macht bald wieder abgeben. Das ist nicht absehbar.
Schon der Putsch 2006 hatte gezeigt, dass die Generäle keine Lösungen bieten, sondern nur eigene Interessen verfolgen. Bei den nächsten Wahlen war dann das weggeputschte Lager des Milliardärs Thaksin Shinawatra, „Rothemden“ genannt, unter dessen Schwester Yingluck an die Macht zurückgekehrt.
Entmündigung der Wähler
Thaksins Lager gewann seit 2001 alle Wahlen, weil es mit populistischen Mitteln marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu größerer Teilhabe am politischen System sowie an den Früchten der Modernisierung verhalf. Der Putsch 2014 richtete sich wieder gegen Thaksins Partei.
Der Coup soll die Macht der Elite aus Royalisten, Militärs und urbaner Ober- und Mittelschicht, „Gelbhemden“ genannt, dauerhaft sichern. Deshalb will das Militär die Partizipation einschränken. Geplant ist eine Verfassung, die ernannte Volksvertreter und Regierungsmitglieder vorsieht und damit Wähler entmündigt.
Der Putschführer und heutige Ministerpräsident Prayuth Chan-ocha und sein „Nationaler Rat für Frieden und Ordnung“ haben mehr als eintausend Kritiker vorladen und mit Drohungen zur – wie es heißt – „Verhaltensanpassung“ auffordern lassen. Hunderte Thais flohen ins Ausland. Medien und soziale Netzwerke werden zensiert, Uneinsichtige werden wegen „Majestätsbeleidigung“ zu drakonischen Haftstrafen verurteilt.
Militär ist Teil des Problems
Das Militär ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Die tiefe Spaltung der Gesellschaft kann das Militär nicht aufbrechen. Als Moderator überfälliger Kompromisse ist es völlig ungeeignet, da es selbst Partei und am Erhalt eigener Privilegien interessiert ist. Zur Legitimation seines Handelns nutzt das Militär das Königshaus. Das steckt selbst in einer Krise. Darüber darf aber nicht diskutiert werden, weil dies als Majestätsbeleidigung gilt. Der 87-jährige König Bhumibol Adulyadej gilt als Integrationsfigur, ist aber gesundheitlich angeschlagen.
Sein Thronfolger, der 62-jährige Kronprinz Maha Vajiralongkorn, ist unbeliebt und kaum geeignet, das Land aus der Krise zu führen. Im Namen des Königs agiert der Kronrat unter Leitung des 94-jährigen Prem Tinsulonanda. Der Exgeneral und frühere Ministerpräsident steht einem Netzwerk einer konservativen Elite vor, dem der Neureiche Thaksin und sein Populismus ein Dorn im Auge sind. So wirkt auch das Königshaus parteiisch und nicht vermittelnd.
Für elitäre Royalisten ist die gegenwärtige Situation mit einem angesehenen, aber kaum handlungsfähigen Monarchen, als dessen Sachwalter sie sich ausgeben, bequem. Diese Instrumentalisierung dürfte erst nach einem Thronwechsel oder der überfälligen Modernisierung des Königshauses enden. Der Tod des Königs könnte die Krise weiter zuspitzen oder die Erstarrung an der Staatsspitze beenden. Beides dürfte mit Machtkämpfern verbunden sein.
Ein Problem ist auch die Rolle der Mittelschicht. Getreu der westlichen Modernisierungstheorie wird sie zum Motor der Demokratie. Diese Rolle hatte Bangkoks Mittelschicht auch schon bei früheren antidiktatorischen Protesten. Doch gegenüber den herrschenden Militärs ist sie jetzt erschreckend passiv. Das dürfte daran liegen, dass in den letzten Jahren ein großer Teil der urbanen Mittelschicht mit der traditionellen Elite paktierte und sich damit gegen die von Thaksin gestärkten ländlichen Schichten aus dem armen Norden und Nordosten stellte.Thaksin war zweifellos korrupt und kein wirklicher Demokrat. Doch mit Duldung oder gar Unterstützung der Putschisten beraubte sich Bangkoks Mittelschicht selbst der politischen Freiräume, die sie in den letzten 25 Jahren gewonnen hatte.
Lösung nicht in Sicht
Eine Lösung für Thailands politische Krise ist nicht in Sicht. Der Putsch hat eine oberflächliche Stabilisierung gebracht, die Ursachen der Krise hat er so wenig beseitigt wie die Grundlagen für notwendige Reformen geschaffen. Vielmehr zeigen auch die Militärs schon Zeichen von Vetternwirtschaft und Amtsmissbrauch.
Die Entmündigung breiter Bevölkerungsschichten dürfte den Widerstand anheizen. Dann könnte es auch zu Gewalt kommen. Dies war schon nach den letzten friedlichen Staatsstreichen der Fall, als die Generäle auf die Protestierenden schießen ließen.
Eine Lösung kann es nur durch Dialog und Kompromisse geben, nicht durch Entmündigung und Repression. Ohne ein System aus „checks and balances“ mit unabhängigen Institutionen wird sich Thailand weiter in Richtung Pariastaat entwickeln. Dies würde auch negative Signale in die Region senden und Demokratisierungsprozesse zum Beispiel im benachbarten Birma (Myanmar) erschweren.
Die Millionen Touristen, die jährlich im „Land des Lächelns“ Urlaub machen, sind aufgefordert, nicht vor dessen hässlicher Realität die Augen zu verschließen, sondern zu zeigen, dass sie die Militärherrschaft nicht billigen. Die Thais müssen ihre politische Krise letztlich selbst überwinden. Aber Touristen sollten reaktionäre Kräfte nicht im Glauben bestärken, dass sie die Entmündigung der Bevölkerung billigen.
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