Debatte Kongo: Die ignorierte Tragödie
Im Kongo stirbt die einst mit deutscher Hilfe begründete Demokratie. Doch das Land ist aus dem Wahrnehmungshorizont verschwunden.
Z ehn Jahre ist es her, da stand die Demokratische Republik Kongo im Mittelpunkt der deutschen Außenpolitik. Die Bundesregierung schickte sich an, als Führungsnation einer 1.500 Mann starken EU-Militärmission mehrere hundert Bundeswehrsoldaten nach Kinshasa zu entsenden. Sie sollten die ersten freien Wahlen des riesigen Krisenlandes absichern und dadurch helfen, einen Schlussstrich unter zehn Jahre Bürgerkrieg zu ziehen.
Der Kongo-Einsatz, dessen Mandat am 17. Mai 2006 beschlossen wurde und der von Juli bis November 2006 dauerte, war in Berlin heftig umstritten. Manche Beobachter fürchteten Krankheitserreger und Kindersoldaten, andere vermissten ein politisches Konzept. Alle aber erkannten den Einsatz als eine Zäsur in der deutschen Afrikapolitik.
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erklärte, Deutschland habe ein „unmittelbares Interesse“ daran, „dass der Kongo sich friedlich und demokratisch entwickelt, denn das strahlt aus auf Afrika“.
Zehn Jahre später stehen in der Demokratischen Republik Kongo erneut historische Wahlen an. Die zweite der verfassungsmäßig erlaubten zwei fünfjährigen Amtszeiten des gewählten Präsidenten Joseph Kabila endet am 19. Dezember 2016, Ende November soll ein Nachfolger gewählt werden.
Seit 2011 Ko-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz. Seine „Geschichte der DR Kongo“ ist mittlerweile in 3. Auflage. Dieses Jahr erscheint von ihm, gemeinsam mit Simone Schlindwein und Bianca Schmolze, „Tatort Kongo – Prozess in Deutschland“.
Greifbare Anspannung im Land
Tatsächlich ist weder sicher, dass die Wahlen überhaupt stattfinden, noch dass Kabila bereit ist, sich zurück zu ziehen. Die Anspannung im Land ist mit Händen zu greifen. Viele Beobachter warnen vor dem Ende der 2006 begründeten demokratischen Ordnung und damit auch des Friedens.
Aber kein Minister in Berlin sagt heute, Deutschland habe ein „unmittelbares Interesse“ daran, „dass der Kongo sich friedlich und demokratisch entwickelt, denn das strahlt aus auf Afrika“. Kongo ist aus dem deutschen Wahrnehmungshorizont verschwunden. Interessant sind nur noch solche afrikanischen Länder, die Islamisten oder Flüchtlinge produzieren. Kongo gehört nicht dazu.
Was sich derzeit am Kongo-Fluss abspielt, ist eine vermeidbare Tragödie. Der erste Akt: die Wiederwahl des 2006 unter Schutz deutscher Soldaten gewählten Präsidenten Joseph Kabila. Sie war im November 2011 von so massiven Manipulationen begleitet, dass die internationale Gemeinschaft den Zeigefinger erhob: Wir lassen diese Wahlfälschung durchgehen, aber beim nächsten Mal, 2016, muss alles besser laufen. Kabila stimmte zu und tat – nichts.
Der Tragödie zweiter Akt: die Rebellion unzufriedener Militärs im Osten unter dem Namen „Bewegung des 23. März“ (M23). Sie eroberte im November 2012 sogar die Millionenstadt Goma. Die internationale Gemeinschaft eilte dem bedrängten Präsidenten zu Hilfe, allerdings unter der Bedingung: Reformen unter Aufsicht, im Gegenzug militärische Unterstützung.
Reformen gab es nicht
Diese Unterstützung gab es dann auch: Mit Martin Kobler wurde ein kampfentschlossener Deutscher in den Kongo als Chef der größten Blauhelm-Mission der Welt entsandt; UN-Truppen kämpften gemeinsam mit kongolesischen Spezialeinheiten die M23 im November 2013 nieder. Aber die Reformen gab es nicht. Kabila ließ sich einfach als Sieger feiern und ignorierte seine Versprechen.
Das wäre der Zeitpunkt für eine deutliche Reaktion gewesen. Aber die Welt hatte im Jahr 2014 andere Probleme: Syrien, die Ukraine, die Rückkehr zur Ost-West-Konfrontation. Im Kongo tickte derweil die Uhr. Der Wahltermin 2016 rückte näher. Statt Reformen und eine Machtübergabe vorzubereiten, brachten die Regierenden eine verfassungswidrige Kandidatur Kabilas zu einer dritten Amtszeit und eine Wahlverschiebung ins Spiel. Proteste dagegen wurden blutig niedergeschlagen. Das war Anfang 2015: Beginn des dritten Aktes, der noch andauert.
Im Laufe des Jahres 2015 begann die Machtelite in Kinshasa sich zu zerfleischen. Wichtige Stützen Kabilas gingen in die Opposition. Der wichtigste: Moise Katumbi, langjähriger Gouverneur der größten und reichsten kongolesischen Provinz Katanga, schwerreicher Unternehmer und Besitzer des erfolgreichsten Fußballteams des Landes. In den Augen der Kongolesen ist Katumbi alles, was Kabila nicht ist: effizient und sauber, volksnah und aufgeschlossen. Er tritt nicht als Rebell auf, der Kabila stürzen will, sondern als Politiker, der ihn beerben möchte.
Hätte Kabilas Partei ihn zum nächsten Präsidentschaftskandidaten erkoren, Katumbi hätte vermutlich zugestimmt. Dann könnte er mit dem Segen des Machtapparats Präsident werden und Kongo könnte die erste demokratische Machtübergabe seiner Geschichte erleben, womit Kabila als großer Staatsmann in die Geschichte eingehen würde.
Schikanen gegen den Rivalen
Diese historische Chance hat der Präsident vertan. Stattdessen hat er Katumbi den Krieg erklärt. Sogar die Provinz Katanga wurde abgeschafft, um Katumbi seine Machtbasis zu nehmen. Die kongolesische Staatsmacht, die dank Katumbi im ehemaligen Katanga besser funktioniert als woanders, überzieht sein Umfeld mit Verhaftungen und Schikanen.
Anfang Mai erklärte sich Katumbi offiziell zum Präsidentschaftskandidaten des wichtigsten Oppositionsbündnisses. Nun wird gegen ihn ermittelt, unter fadenscheinigen Vorwürfen, und es droht seine Verhaftung. Von Wahlen Ende 2016 spricht sowieso niemand mehr.
Kabilas Starrsinn ist kein Einzelfall. In Burundi, Uganda, Kongo-Brazzaville und anderen Ländern haben Staatschefs mit brachialen Methoden in jüngster Zeit ihre Wiederwahl gesichert und sorgen dafür, dass kein ernstzunehmender Gegner mehr ungehindert Politik macht. Kongo ist viel größer und komplexer; eine Destabilisierung der Gesellschaft durch den Staat wäre hier nicht steuerbar, auch jenseits der Landesgrenzen. Nicht nur ein friedlicher und demokratischer Kongo strahlt auf Afrika aus, auch ein kriegerischer und diktatorischer.
Als die Bundeswehr 2006 in Kinshasa landete, stand sie Pate bei der Geburt einer Fassade von Demokratie, von der man hoffte, sie würde Wurzeln schlagen. Heute, zehn Jahre später, reißt der kongolesische Staat die jungen Wurzeln wieder heraus. 2006 beteuerte die Bundesregierung ihr „unmittelbares Interesse“.
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