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Debatte Kinderkriegen trotz ArmutUnbezahlbare Leichtigkeit

Kommentar von Franziska Hauser

Darf man Kinder wollen, wenn man sie sich nicht leisten kann? Unbedingt! Hartz IV ist besser als viel Arbeit und wenig Zeit für die Familie.

Verkehrte Welt: Die Geburtenrate ist dort am niedrigsten, wo es am meisten gibt Foto: currantbun/photocase

Wie lange wollen Sie dem Steuerzahler noch auf der Tasche liegen? Mit einem Kind wird Ihr Leben auch nicht einfacher. Sie können Ihrem Kind doch nichts bieten!“

Was ich damals der Mitarbeiterin im Jobcenter hätte antworten wollen, ist mir erst draußen eingefallen: „Mein Leben soll nicht einfacher werden. Ich brauche eine Aufgabe! Wenn meine Arbeitskraft nicht gebraucht wird, will ich wenigstens Kinder kriegen. Die brauchen mich. Und was ich ihnen bieten kann? Ein Leben!“ Das sagte ich nicht, sondern steckte meinen Mutterpass ein und schluckte den Kloß im Hals runter. Hätte die Frau dar­auf vielleicht die Schultern gezuckt und geantwortet: „Es kann eben nicht jeder alles haben?“

Vielleicht hab ich meine Kinder aus Trotz bekommen, weil ich meine Fortpflanzung nicht vom Geld abhängig machen wollte, sondern der Meinung war, dass es mit Zeit und geringen Ansprüchen auch ohne viel Geld gehen muss. Mein Schlussfolgerung aus der Behauptung, dass nicht jeder alles haben kann, ist: Dann muss eben geteilt werden.

Denn wenn der Kampf, den die Menschheit führt, nur hieße: Jeder scheffelt so viel wie möglich und sorgt dafür, dass es ihm keiner wegnimmt, dann wären wir längst ausgestorben. Der Kampf, den wir führen, heißt: teilen oder nicht teilen. Die Geburtenrate ist dort am niedrigsten, wo es am meisten gibt. Eine Frau im deutschen Wohlstand bekommt durchschnittlich 1,3 Kinder und eine in Kenia 6,3.

Gebraucht, geborgt, geschenkt, getauscht

Als ich mit 24 Jahren mein erstes Kind bekam, war ich mir sicher, dass ich alles erreichen kann. Dann kamen Kompromisse und immer mehr Kompromisse dazu. Was ich erreichen wollte, musste geändert werden, und ich fragte mich, wie viele Bewerbungsablehnungen ein Mensch eigentlich ertragen kann.

Meine Hauptaufgabe bestand darin, für die Kinder alles, was Geld kostete, gebraucht, geborgt, geschenkt, getauscht und manchmal geklaut zu besorgen. Wenn meine Tochter tanzen ging, wischte ich danach die Halle. Wenn die Kinder im Oktober noch mit Sandalen rumliefen, fragte ich Freunde und Bekannte nach alten Winterschuhen. War die Waschmaschine kaputt, schleppen wir die Wäsche zu Freunden, bis jemand eine neue kaufte und wir die alte bekamen.

Franziska Hauser

Jahrgang 1975, ist freie Autorin, Fotografin, unterrichtet in Workshops und Seminaren. Sie studierte Bühnenbild und Fotografie an der Berliner Kunsthochschule Weißensee und am Schiffbauerdamm. Außerdem ist sie Mutter eines Sohns und einer Tochter.

Ein Fahrradhelm für 2 Euro wurde beklebt und besprüht von einem Nachbarn für meinen Sohn. Wenn ich an mir heruntersah, fand ich kein gekauftes Kleidungsstück. Der Strom der weitergegebenen Kleidung hat uns im Überfluss beliefert. Wenn wir am ­Wochenende einen Ausflug machten mit den Rädern und der S-Bahn raus aus der Stadt, half nur ein geschulter Blick für Kontrolleure. 42 Euro für die Fahrkarten ins Umland waren nicht drin.

Unser Leben funktionierte durch die Beanspruchung von Hilfe. Wir profitierten davon, in einer Gesellschaft zu leben, in der die meisten genug oder zu viel besitzen und gar nicht so ungern etwas abgeben, wenn es jemand wirklich braucht. Wir brauchten es wirklich. Wir waren zufrieden. Solange es um die Kinder ging, störte mich die Rolle der immer nur Nehmenden nicht.

Notwendiges teurer als Luxus

Wenn ein Millionär der Meinung ist, das viele Geld stünde ihm zu, wieso sollte ich nicht der Meinung sein, dass mir das wenige Hartz IV zusteht? Immerhin erziehe ich Kinder für diese Gesellschaft. Lieber wäre mir allerdings, wenn sie in einer Gesellschaft groß würden, in der das existenziell Notwendige billiger ist als Luxus. Aber Mieten sind teurer als Flugreisen, eine Monatskarte so teuer wie zwei neue Hosen. Ich wollte es nicht bereuen, Kinder bekommen zu haben, sondern hatte es für möglich gehalten, die teilweise unwürdigen Umstände in würdige zu verwandeln. Für die Kinder wenigstens.

Dann sah ich mich im Spiegel, stand da mit einem Schrubber in der Hand im Tanzsaal und erschrak. Kann es sein, dass ich mich selbst bemitleide? In meiner Opferrolle aufgehe und das alles nur ein Ablenkungsmanöver ist, um mich nicht als Versagerin zu sehen?

Ich hatte geglaubt, den Kindern eine genauso gute Kindheit bieten zu können wie eine Mutter mit Geld und dafür ohne Zeit. Der Kraftaufwand war zwar riesig, aber ich war jung und froh über die Kinder. Die Kraft war da. Gegen den Vorwurf, dass man keine Kinder kriegen sollte, wenn man kein Geld hat, hielt ich das Argument, dass man es auch nicht tun sollte, wenn man lieber arbeitet, als sich mit seinen Kindern zu beschäftigen.

Manchmal konnten wir von den Jobs und Hartz IV gerade so leben. Das Problem war nur: Kein Kind durfte krank werden. Zu Hause bleiben bedeutete: kein Geld.

Ich wollte Geld nicht als Hauptrezept für Zufriedenheit anerkennen.

Der Stolz, aus billigen Lebensmitteln etwas Gesundes gekocht zu haben, oder bei der Tanzaufführung zwischen den Eltern zu sitzen, die 30 Euro im Monat zahlen konnten, hat mir als Antrieb gereicht. Manchmal konnten wir von den Jobs und Hartz IV gerade so leben. Das Problem war nur: Kein Kind durfte krank werden. Zu Hause bleiben bedeutete: kein Geld. Dispo: null. Rücklagen: null. Keine Großeltern, die helfen können.

Unsere Ansprüche waren gering. Ich wollte das genießen, was da war. Kinder zu haben als Selbstverständlichkeit ansehen.

Keine Angst vorm Absturz

Aber es war auch manchmal belastend für die Kinder, dass wir uns so oft durchmogeln mussten, obwohl ich ihnen eigentlich nur ein unverbogenes Vorbild sein wollte und gemacht habe, was ich am besten konnte und am meisten wollte. Kinderkriegen unter anderem.

Wer nichts hat, dem kann man nichts wegnehmen, das gibt dem Leben eine unbezahlbare Leichtigkeit. Zu wissen, dass es auch ohne Geld geht, ist eine der wertvollsten Erfahrungen, die dem fehlt, der in finanzieller Sicherheit lebt und gelernt hat, den Absturz zu fürchten.

Ein altes Foto, auf dem wir auf einem Feld liegen, erinnert mich an die Zeit, in der wir von Hartz IV lebten. Es erinnert mich daran, dass ich glücklicher war als jetzt, da ich mit drei verschiedenen Jobs jongliere und meine Zeit gefühlt zu 90 Prozent mit Arbeit verbringen muss, um 10 Prozent leben zu dürfen.

Mehr Texte aus der Reihe „Familienangelegenheiten“ unter taz.de/Familie

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42 Kommentare

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  • Ich bin total erstaunt über die klugen Kommentare. Danke! Toll, dass so viele Leser Teile aus meiner Beschreibung herausziehen und auf die eigenen Erfahrungen beziehen können. So soll doch ein Debattentext sein.

    Da nach dem Vater gefragt wurde: Im Text ist zu wenig Platz gewesen, um die komplizierte Lebenslage einfach zu erklären. Seltsamerweise ging die Beziehung auseinander als er endlich einen gut bezahlten Job bekam. Offenbar hatte uns die Armut auch irgendwie zusammengehalten.

    Zum Schwarzfahren: Als ich Harz4 bekam hatte ich eine Monatsmarke für 35 Euro. Schwarz gefahren sind wir, als wir versucht haben uns mit Jobs durchzuschlagen. Das haben wir nicht geschafft.

    Ich wollte mit dem Text zeigen, dass ich mich nicht degradiert gefühlt habe, (auch rückblickend nicht) weil ich beschlossen hatte meine Würde zu bewahren und dieses Familienglück um jeden Preis zu genießen. Dazu gehört natürlich auch eine rosa Brille. Aber ich habe gelernt mich zu wehren gegen Willkürlichkeiten und gegen die Behinderung meiner Selbständigkeit. Sicher hätte ich das nicht gelernt, wenn alles leichter gewesen wäre. Wozu man vom Job Center erzogen werden soll ist: Du bist überflüssig, also verhalte dich still, sonst wirst du bestraft.

    Ich habe zum Glück gelernt mich mit einer gewissen Überheblichkeit zu wehren. Wer zur Demut erzogen ist, schafft das nicht. Vielleicht sollte den Hartz4 Empfängern klarer sein welch wichtige Rolle sie als Statisten in Wahrheit für die Wirtschaft ausführen. Das Job Center ist die Geisterbahn vor der sich gruseln soll wer Arbeit hat.

    Gerne hätte ich auch von einer hilfsbereiten Bearbeiterin geschrieben. Es sitzen so viele unsichtbare Menschen mit Gewissen in den Ämtern. Wir sollten öfter von denen reden! Nur die leidenschaftlich gehässigen Pfilchterfüller, haben leider einen höheren Unterhaltungswert.

    Wahrscheinlich liegt es auch an meiner ddr Sozialisierung, dass ich die Unterstützung beim Kinderkriegen für selbstverständlich gehalten hatte.

  • Was mir in der Erzählung gefehlt hat war die Erwähnung eines anderen Elternteils. Natürlich kann man aus dem Artikel ggf. schließen, dass die Autorin alleinerziehenend ist, aber eindeutig ist es trotzdem nicht.

    Ich finde die Einstellung gut, dass man seinen Kinderwunsch nicht vom Einkommen abhängig macht, für mich schließt sich aber hieran auch die Frage nach der Verantwortung(slosigkeit) der anderen Person mit an.

  • Ich finde gerade Hartz-IV ist für Familien/Menschen mit Kindern drastisch zu niedrig berechnet und so sollte kein Mensch / keine Familie mit Kindern leben müssen. Aber das ist ja genau der Punkt: Es soll so sein. Die Mutter, die den Tanzsaal putzt, damit ihre Tochter etwas an der Gesellschaft teilhat, ist ein Plan, Menschen zu degradieren und ihnen einen unehrenhaften Platz zu weisen zu können.

     

    Im Umkehrschluss nehmen die 'reichen' Menschen dann ehrenhaft Platz und fühlen sich im Recht, ihren Überfluss auszuleben. Dabei spricht rational sehr viel dagegen: Eigentlich ist es in unser 'reichen' Gesellschaft vollkommen egal, wer die Kinder bekommt. Ein Mensch hat sich meist schon mit 21 oder 22 armortisiert - egal, wer seine Eltern sind. Nur wenige bleiben auf der Nehmen-Seite, nur extrem wenige haben in ihrem Leben ein Minus am Ende stehen. Aber es geht eben um Macht und eine bestimmte Kultur, andere Menschen degradieren zu können, um andere zu befördern. Wäre es nicht so, die Werte dieser vermeidlichen 'Leistungsgesellschaft' wären in Frage gestellt. Die Reichen und Superreichen müssten sich legitimieren, was sie ja nicht können.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      "Die Mutter, die den Tanzsaal putzt, damit ihre Tochter etwas an der Gesellschaft teilhat, ist ein Plan, Menschen zu degradieren und ihnen einen unehrenhaften Platz zu weisen zu können"

       

      Alles schräg verschoben - es ist im Gegenteil eine ehrenvolle Aufgabe, sich um den Tanzsaal zu kümmern. Wenn wir das kapiert haben, sind wir weiter

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Seh ich auch so!

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Dann haben wir die Angenda 2010 im Blut und geniessen unsere Armut? Das ist doch Satire oder?

        • 6G
          61321 (Profil gelöscht)
          @Andreas_2020:

          Nö, so ist es nicht gemeint.

           

          Erst wenn die Dame oder der Herr, die immer mit dem Riesen-SUV anrücken sich in derselben Weise engagieren (und natürlich in ihrem Fall ohne Kompensation!), wird es wirklich ein gemeinsamer Tanzsaal, sowohl für deren verzogene Gören, als auch für die Rotznasen die nicht das neueste Smartphone in der Tasche haben (oder keins)

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    “Es erinnert mich daran, dass ich glücklicher war als jetzt, da ich mit drei verschiedenen Jobs jongliere und meine Zeit gefühlt zu 90 Prozent mit Arbeit verbringen muss, um 10 Prozent leben zu dürfen.”

     

    Ich möchte mal auf diesen Begriff des “leben dürfens” eingehen. Das ist ein Gedanke den ich schon von vielen Menschen gehört habe. Wenn ich sowas lese muss ich bald annehmen das jemand der solch einen Satz formuliert seinen Beruf vor allem als Mittel zur Beschaffung von Geld sieht.

    Diese Arbeit die Sie für die taz verrichten gibt Ihnen die Möglichkeit politische Standpunkte oder auch persönliche Anliegen zu thematisieren. Das Sie das nicht auch irgendwo als “leben” erleben kann ich mir nur schwer vorstellen. Was also verstehen Sie (oder andere Menschen die sowas gerne mal sagen) genau unter “leben” und wie wird ihnen das durch Arbeit verwehrt?

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @33523 (Profil gelöscht):

      "Wenn ich sowas lese muss ich bald annehmen das jemand der solch einen Satz formuliert seinen Beruf vor allem als Mittel zur Beschaffung von Geld sieht."

       

      Erstaunlich, dass Sie sich als privilegierter Staatsangestellter so etwas schwer vorstellen können.

       

      Es wird nunmal nicht jeder Mensch mit goldenem Löffel im Mund geboren. Viele Menschen müssen auch weniger erfüllende Tätigkeiten ausüben, um davon zu überleben. Klar, einen Zeitungsartikel als freie Autorin zu platzieren, gehört sicher nicht zu den unangenehmen Dingen des Lebens. Eine Turnhall zu putzen u.ä. vielleicht schon eher.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @33523 (Profil gelöscht):

      Sie wissen selbst, dass es hunderte Beschäftigungen gibt, die per se nicht zur Selbstverwirklichung taugen oder dazu, seine Selbstwertschätzung zu tragen.

      Es sind schlicht eingegangene Kompromisse, um an seinen Lebensunterhalt zu kommen. Da hilft alles Romantisieren oder Heroisieren nichts - vielleicht ja ein gewisser Korpsgeist, z.B. einer Müllwagen-Besatzung etwa, wenn man mal wieder widrigsten Umständen gemeinsam trotzt und sich auch noch bei minus 15 Grad auf dem Karren hinten angrinst.

      Aber fehlende Wertschätzung von anderen ist lebenslange bittere Realität für viele Beschäftigte. Nachvollziehbar hat sich dann auch neulich hier ein Mensch, der für andere den Dreck weg macht, genau darüber bitter beklagt.

       

      JANUS, gehen sie davon aus, dass man aus jeder Tätigkeit ein Stück Leben ziehen kann? Ich bestreite das vehement. Dafür gibt es noch zu viele stumpfsinnige, sich im Ablauf und/oder Anforderung niemals ändernde Arbeiten für die nur noch niemand eine Maschine erfunden hat.

       

      Ein guter taz-Artikel aus der Hand von Franziska Hauser wie der obige wird für sie hoffentlich ein kleines Sprungbrett zu weiteren Herausforderungen sein, bei dem sie ihre Qualitäten an Frau und Mann bringen kann.

      Ihr Stolz in ihrer Rolle als erfolgreiche Mutter/Managerin unter den gegebenen Umständen und die Bedeutung dessen für sie ist bestens nachvollziehbar.

  • Respekt zu ihrer Haltung Frau Hauser !

     

    folgendes noch dazu:

     

    1 . "Hartz IV ist besser als viel Arbeit und wenig Zeit für die Familie."

     

    Da ist was dran vor allem wenn die Löhne nicht viel höher sind als Hartz IV

     

    2. Eine Frau im deutschen Wohlstand bekommt durchschnittlich 1,3 Kinder und eine in Kenia 6,3.

     

    Diese Diskrepanz finde ich angesichts der weltweiten Übervölkerung fatal.

     

    Meiner Meinung nach sollte es so etwas wie ein weltweites Grundeinkommen geben bei gleichzeitiger Geburtenkontrolle.

     

    Finanziert von den reichsten Menschen der Welt

     

    Es reichen schon 62 Personen aus die Armuts-Probleme zu lösen.

    http://taz.de/Oxfam-...hheit/!5269014/

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Das ist der beste Text, den ich in der taz gelesen hatte seit..., ich weiß nicht mal seit wann.

     

    Der beste Beweis, dass man auch ziemlich weit "unten" in der Leistungsgesellschaft offen aber ohne Sarkasmus oder unterschwelligen Hass über eigenes Leben erzählen und dabei über die gesellschaftlichen Verhältnisse reflektieren kann.

  • Die Schilderung ist fast deckungsgleich mit dem, was ich erlebte.

    Vielen Dank Frau Hauser!

    Man sollte trotz allem Armut nicht romantisieren. Es gibt sehr schmerzhafte Momente im H4-Bezug, in dem bspw Stromnachzahlung, Kindergeburtstag und Fahrrad kaputt in einem Monat kollidieren. Schlaflose Nächte hatte ich damals mehr wie genug. Ich denke dabei auch an die Schmähungen, die meine Kinder in der Schule zu ertragen hatten, dass sie entweder noch kein Smartphone hatten und später ein veraltetes; Oder die billigeren Turnschuhe trugen usw.

    Ich habe immer mit ihnen gelitten, wollte da rauskommen, doch in den zahllosen Bewerbungsschreiben konnte ich AE eben nicht verbergen.

    AE ist eine Behinderung, der sich keiner wirklich annehmen will.

  • Mich wundert, dass in dem ganzen Artikel kein Vater vorkommt.

    • @Prof :

      Selbst wenn ein "Vater vorkommen" würde, würde das nicht bedeuten, nicht auf ALG II angewiesen zu sein.

       

      Kindesunterhalt wird als Einkommen angerechnet und deckt mit Kindergeld in der Regel nicht den sog. Hartz-IV-Bedarf der Kinder. Und wenn doch, dann wird das Kindergeld bei der Mutter als Einkommen auf den Bedarf angerechnet.

       

      Und auch in dem Fall, dass der Vater in dem "wir" im Artikel mit in der "Bedarfsgemeinschaft" lebte, bedeutet das noch lange nicht, dass die Jungfamilie, kleine Kinder und Eltern mit diversen Jobs (oder auch einem) nicht auf ALG II weiter angewiesen wären.

       

      Die Zeiten á la Papa hat Arbeit und Mutti hat Zeit (u.a. das Geld mit den Kindern auszugeben) sind seit mind. 30 Jahren vorbei.

      • @Hanne:

        (ich meinte 20 Jahre)

    • @Prof :

      Wie stellen Sie sich denn das vor mit dem Unterhalt? Dass Mutter und Kinder davon in Saus und Braus leben?

      Der Unterhalt des Vaters für die Kinder ist immer genau für die Hälfte derer Bedarfe gedacht. Wenn es denn mehrere sind, und er überhaupt gewillt ist zu zahlen, kommt bei Selbstbehalt des Vaters oft nicht mal das rüber. Die andere Hälfte muss von der Mutter erbracht werden. Wenn die denn überhaupt unterhaltsberechtigt ist, steht ihr Anspruch hinter dem der Kinder zurück. S. Selbstbehalt oben....

      Wenn sie aber schlicht keinen Job findet, weil niemand gern eine alleinerziehende zweifache Mutter einstellt, muss sie ALG II beziehen......

    • @Prof :

      So gesehen kann Heteronormativität auch ein Gedankengefängnis sein.

    • @Prof :

      Vielleicht stammt er ja aus der großen Familie "auf und davon".

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Es scheint ja für zwei Kinder gereicht zu haben. Also zweimal "auf und davon"? Oder war der Vater für diese "Supermutter" nicht nötig, wenn sie das Muttersein als Lebensaufgabe präsentiert? Ich finde es merkwürdig, dass man es normal findet, dass Väter mit keinem Wort erwähnt werden.

        • @Prof :

          Das wissen wir nicht, weil uns dazu das Hintergrundwissen fehlt. Jedenfalls sollten die Zeiten vorbei sein, in denen eine Frau mit Kindern ohne Mann herabgesetzt wird.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ganz genau, Ihr beiden Philister! Dann müssen Mutter und Kinder halt zuhause bleiben. Strafe muss schliesslich sein!

        • @Wilfried Kramme:

          Jetzt mal im ernst. Lesen Sie auch, was andere schreiben? Und denken Sie darüber nach, was geschrieben wurde?

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Ganz im Ernst - Ja!

            • @Wilfried Kramme:

              Gut. Dann haben Sie es nur nicht verstanden.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Es führt in gar keiner Diskussion weiter, wenn man dem, der anderer Meinung als man selbst ist unterstellt, er habe es "nur nicht verstanden".

                 

                Ihre und 'Profs' Philosophiererei über Väter etwas weiter oben hat mir auch nicht gefallen und ich halte sie weiterhin für ziemlich macho und unangenehm spiessig.

                 

                Andererseits sind wir, wenn ich Ihren Wunsch nach HartzIV Monatskarten weiter unten sehe, ja soweit gar nicht auseinander.

                 

                Jedenfalls hilft diese etwas abfällige Diskussion über abwesende bzw. nicht erwähnte Väter solchen Familien ja nicht wirklich weiter.

                 

                Und nochmals - keine S/U oder Bundesbahnstrecke müsste stillgelegt werden, wenn man armen Familien entsprechende 'Fahrkarten' finanzieren würde. Oder sie eben mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ausstattete.

                • @Wilfried Kramme:

                  Ich glaube, Sie verstehen mich völlig falsch.

                   

                  Meine Bemerkung über "auf und davon" Väter war als Kritik an Männern gedacht, die ihre Gene verteilen und sich dann vor der Verantwortung drücken. Da kann doch die Frau nichts dafür. Und wenn sie ihre Kinder allein großziehen will, ist das doch auch ihre Entscheidung. Da hat keiner reinzureden.

                   

                  Was die Fahrkarten betrifft. Natürlich wird keine Strecke wegen kostenloser Fahrkarten stillgelegt. Die kostenlosen Fahrkarten werden ja (vom Staat) gegenfinanziert. Wenn sich aber Fahrgäste selbst "kostenlose Fahrkarten", also Schwarzfahrten, genehmigen, werden sie nicht als Fahrgäste gezählt und die offizielle Streckenauslastung sinkt. Und das ist immer wieder ein guter Vorwand für eine Stilllegung...

                  • @warum_denkt_keiner_nach?:

                    Bei der DB. Aber eher nicht bei der Berliner S-Bahn.

  • „Wenn wir am Wochenende einen Ausflug machten mit den Rädern und der S-Bahn raus aus der Stadt, half nur ein geschulter Blick für Kontrolleure.“

     

    Wissen Sie was mich daran stört? Die S-Bahn fährt nur, weil viele Menschen neben den Kosten für ihre Kinder auch noch das Geld für den Fahrschein abdrücken. Gegenüber diesen ist das „Trittbrettfahren“ zutiefst ungerecht.

     

    Es stimmt, dass unsere Gesellschaft Menschen zu wenig unterstützt, die Kinder groß ziehen. Und ja, unser Wertesystem ist verrückt. Es ist billiger nach New York und zurück zu fliegen, als einen Monat menschenwürdig zu wohnen. Aber das berechtigt nicht dazu, sich einfach durchzuschnorren. Zumal es für die Kinder keine gute Schule ist, zu lernen, dass das Leben erbettelt werden will.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Dieses "Aber wenn das alle machen würden, ist sehr deutsch und spiessig.

      Ausserdem machen es nicht alle, genauso wenig wie alle Hartz4 beziehen oder alle Millionäre sein können.

      Wo bleiben denn mal konstruktive Vorschläge, anstatt dauernd zu wiederholen, wie es nicht geht?

      • @Wuff:

        Einfach mal weiter unten schauen.

         

        Und ich finde es nicht spießig, Gesetze einzuhalten. Sie sind die Grundlage unseres Zusammenlebens.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Sehr Deutsch und sehr Moralinsauer!

       

      "Wissen Sie was mich daran stört? Die S-Bahn fährt nur, weil viele Menschen neben den Kosten für ihre Kinder auch noch das Geld für den Fahrschein abdrücken. Gegenüber diesen ist das „Trittbrettfahren“ zutiefst ungerecht."

       

      Ich habe auch wenig Geld, fahre nicht schwarz, würde aber nicht im Traum auf die Idee kommen, einem Schwarzfahrer vorzuwerfen, er habe in meine Tasche gegriffen.

       

      Und nein, die S-Bahn müsste nicht stillgelegt werden, wenn es noch mehr Trittbrettfahrer gäbe. Eine Hartz IV Monatskarte würde schon reichen. Oder das vieldiskutierte 'bedingungslose Grundeinkommen'.

       

      Tja - warum denkt keiner nach?

      • @Wilfried Kramme:

        Ich bin ja auch für die kostenlose Monatskarte für Kinder. Ich bin überhaupt für eine andere Finanzierung des Nahverkehrs.

         

        Und ja. Bei der derzeitigen Lage zahlen Sie mit und wenn alle Schwarzfahren, wird die Strecke stillgelegt.

         

        Übrigens ist die S-Bahn nur ein Beispiel für die grundsätzliche Einstellung. In jeder Hinsicht.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          "Und ja. Bei der derzeitigen Lage zahlen Sie mit und wenn alle Schwarzfahren, wird die Strecke stillgelegt."

           

          Das bezweifele ich denn doch sehr, dass die Strecke stillgelegt würde. Man sollte mal 'nen Schwarzfahrertag ausrufen und gucken, was dann passiert...

          • @Wilfried Kramme:

            Beim Ermitteln des Verkehrsaufkommens werden nur zahlende Reisende gewertet. Und wenn das Verkehrsaufkommen zu niedrig ist, werden Strecken stillgelegt. Das passiert immer wieder.

             

            Ein Schwarzfahrertag taugt nicht viel, weil natürlich über längere Zeiträume gerechnet wird. Aber wenn Sie ihn ausrufen, wird der Betreiber Kontrolleure mit Polizeiunterstützung schicken. Zumindest, wenn er nicht blöd ist.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das sehe ich anders. Kinder müssen ja auch mal etwas anderes sehen, als immer dieselben paar Straßenzüge.

      Es ist wichtig ihnen beizubringen, dass es keine Schande ist, arm zu sein und von der Solidarität der anderen zu leben, zumindest nicht im Kapitalismus, denn der schafft immer Armut (wenn die Kinder das mit dem Schwarzfahren überhaupt mitbekommen).

      Wenn der Hartz-IV-Satz eine menschenwürdige Existenz gewährleisten würde, dann wäre auch die Monatskarte kein Problem.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Dass dies die anderen Fahrgäste mittragen müssen, ist aber nicht die Schuld einer Frau, die ihren Kindern ein Mindestmaß an Freizeitgestaltung bieten will und dabei der Staat sich hier recht dünne macht. Der Regelbedarf gibt das nicht her. Also der richtige Schuldige sollte schon benannt sein.

      • @lions:

        Da stimme ich Ihnen voll zu. Das System muss dringend geändert werden. Aber so lange es ist, wie es ist, müssen die anderen Fahrgäste mit zahlen. Und die zählen bestimmt auch nicht zu den großen Profiteuren des Systems.

  • Ja, ich habe es ähnlich gemacht und für meine Kinder Beruf und Karriere aufgegeben. Und ich habe es noch keine Minute bereut.

     

    Das Problem sehe ich aber in der (für mich nicht mehr ganz so fernen) Zukunft: meine Kinder werden einmal nicht für meine Rente aufkommen, denn ich bekomme keine nennenswerte. Sie werden wohl v.a. für die Rente der gut verdienenden DINKS meiner Altersgruppe zahlen müssen. Ich ziehe also auf überwiegend eigene Kosten Kinder groß, damit diese später einmal die Rente von Leuten zahlen dürfen, die sich bewußt gegen Kinder entschieden haben. Irgendwas stimmt da für mich nicht.

  • Schöner Text; jedoch:

    Jeder kann sich das rausnehmen was er selbst für richtig hält. Deshalb tut das auch niemandem weh. Wollte das Frau Hauser? Dann Gratulation!

  • Klasse geschrieben und auf den Punkt.

     

    Leider besonders zutreffend:

     

    „Gegen den Vorwurf, dass man keine Kinder kriegen sollte, wenn man kein Geld hat, hielt ich das Argument, dass man es auch nicht tun sollte, wenn man lieber arbeitet, als sich mit seinen Kindern zu beschäftigen.“

     

    und

     

    „Es erinnert mich daran, dass ich glücklicher war als jetzt, da ich mit drei verschiedenen Jobs jongliere und meine Zeit gefühlt zu 90 Prozent mit Arbeit verbringen muss, um 10 Prozent leben zu dürfen.”

     

    Traurig und erschreckend?

  • Nicht nur die Hartz4-Behörde ist ein repressives Staatsorgan, welches mit der Menschwürde ihrer Klientel nicht viel am Hut hat und strukturell gegen das Grundgesetz("Die Würde des Menschen ist unantastbar") verstößt. Dabei suhlt es sich stets in Selbstgerechtigkeit, während es Hilfesuchende drangsaliert.

     

    Hier hilft nur noch das "Bedingungslose Grundeinkommen"!