Debatte Intervention in Nahost: Zurück in den Irak!

Sind Araber zur Demokratie fähig? Natürlich. Doch wir müssen sie unterstützen und erneut im Irak intervenieren – auch aus Eigeninteresse.

Helfer in Bagdad zählen nach der Parlamentswahl im Frühjahr 2014 die Stimmen aus Bild: ap

Der Westen muss in den Irak zurückkehren, er muss diese Demokratie schützen. Europäische Wähler hören das nicht gern, aber echte politische Führung bedeutet, auch schwer verdauliche Wahrheiten auszusprechen.

Die Referenz für den erneut notwendigen Einsatz ist der Afghanistankrieg. Isaf – die multinationalen Streitkräfte – wurden als Antwort auf 9/11 mobilisiert. Es war ein Einsatz gemäß der Selbstverteidigungsklausel. Aber auch andere, etwa Australien, machten mit, weil sie verstanden hatten, dass es so gefährlich wäre wie absolut falsch, ließe man die Taliban länger gewähren. Immerhin haben sie das ganze Land al-Qaida überlassen. Das Gleiche gilt heute für Isis im Irak.

Nun gibt es eine ganze Reihe von Einwänden gegen ein Eingreifen im Irak. Nahezu alle sind abwegig. Doch gehen wir sie der Reihe nach durch.

Da wäre erstens der Umstand, dass einige noch immer sehr wütend sind über den Irakkrieg. Sie sagen, die heutige Situation sei das unmittelbare Ergebnis der Befreiung des Iraks von der Diktatur. Was für eine erbärmliche, blutarme und amoralische Position! Sie korrespondiert mit einer der schlimmsten Aussagen von Henry Kissinger: „Saddam Hussein war ein Völkermord betreibender Diktator, aber bleiben wir fair: Er wusste, wie man die Dschihadisten im Zaum hält.“ Sollten Sie wirklich der Ansicht sein, dass der Völkermord an Kurden und irakischen Beduinen ein angemessener Preis für die Zurückdrängung von Dschihadisten ist, dann haben Sie bitte den Anstand oder besser die Anstandslosigkeit, das offen zu sagen.

In jedem Fall geht diese konterfaktische Analyse davon aus, dass der Arabische Frühling im Irak keinen Widerhall fände und auch der Krieg in Syrien nicht auf das Nachbarland übergriffe. Doch genau das ist jetzt mit Isis geschehen.

Zweitens wird gern darauf verwiesen: „Ihr habt es verbrochen, jetzt zahlt auch dafür.“ Man findet, der Irakkrieg sei ein allein von den USA und Großbritannien verschuldetes Desaster, entsprechend müssten diese beiden Länder die Suppe allein auslöffeln. Das ist genauso amoralisch wie der Kissinger-Spruch vom Im-Zaum-Halten. Schlussendlich wird gesagt: „Es gibt eine Krise, etwas muss getan werden, aber nicht von uns.“

Sehr beliebt ist drittens auch folgende herablassende Behauptung: „Der Irak kann nun mal keine Demokratie.“ Implizit, und viel zu oft auch explizit, wird mit diesem „Beschuldige die Opfer“-Ansatz gesagt, dass Araber und Muslime zur Demokratie eben nicht fähig wären.

Nicht zuletzt das reibungslose Funktionieren der Wahlen und demokratischen Institutionen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland widerlegt diese Annahme – denn das sind alles Länder mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil. Ich könnte auch auf die erfolgreiche Transition von Indonesien in eine Demokratie verweisen – immerhin ist es mit seinem 237 Millionen Einwohnern das weltweit größte muslimische Land.

Doch das beste Beispiel ist der Irak selbst – und sind die Iraker. Sie haben die Freiheit und die Demokratie begeistert aufgenommen. Auf lokaler und nationaler Ebene wurden seit 2007 fünf Wahlen abgehalten. Immer bildeten sich Schlangen vor den Wahllokalen, trotz der Gefahr von Selbstmordattentaten. Angesichts der geringen Wahlbeteiligung bei der Europawahl sollten wir uns schämen.

Ein weiterer Einwand gegen ein Eingreifen kommt im Zusammenhang mit den Kurden zum Zug. Nach dem Motto: Wer Erfolg hat, wird bestraft. Seit dem Krieg in Kuwait 1990/91 hat der Westen sich für die irakischen Kurden eingesetzt. Sehr spät, denn wo waren wir 1988, als der Giftgasanschlag in der Stadt Halabscha stattfand, bei dem zwischen 3.200 und 5.000 Menschen starben?

Anschließend aber richteten Großbritannien und die USA eine Flugverbotszone ein und ermöglichten so die Etablierung eines kurdischen Parlaments, das über zwanzig Jahre gut funktioniert hat. Die kurdischen Verteidigungskräfte, die Peschmerga, hielte die Autonomen Gebiete von Terrorismus frei. Sie sind der Beweis dafür, dass die Probleme im Irak zu bewältigen sind, und sollten uns zeigen, wie das gesamte Land zu retten ist.

Stattdessen aber instrumentalisieren wir die Kurden als Legitimation für unser Nichtstun: „Alles okay, sie sorgen schon für sich selbst.“ Der Beitrag der westlichen Verteidigungskräfte zur Stabilität, Sicherheit und Prosperität der irakischen Kurden wird geflissentlich ignoriert. Ebenso missverstehen wir den Mut und die Effektivität, mit denen die Peschmerga Kirkuk gegen Isis verteidigt hat, als Landnahme.

Weiter wird die relativ sichere Situation der Kurden benutzt, um die Teilung des Irak zu fordern. Das ist das verrückteste aller Argumente. Weil nichts mehr im Irak so ist wie im 20. Jahrhundert, muss er auseinanderbrechen. Zu sagen, die Iraker könnten nicht zusammenleben, ist aber nur eine weitere Variante vom Klischee der demokratieunfähigen Muslime oder Araber.

Junge Europäer kämpfen bereits in der Region

Wir müssen den Extremisten entgegentreten. Sie wollen Sunniten gegen Schiiten aufhetzen, weil sie auf noch mehr Gewalt hoffen, was wiederum die ihre legitimieren würde. Erneut zeigen die Kurden einen Ausweg. Auch sie hatten einen Bürgerkrieg. Der Sprecher des kurdischen Parlaments hat immer noch so viele Kugelteile in seinem Körper, dass die Metalldetektoren auf den Flughäfen nur so schrillen, wenn er sie passiert. Doch heute arbeiten die ehemaligen Feinde friedlich in der Regierung und im Parlament zusammen.

Zurückzugehen wird nicht einfach werden, und wahrscheinlich wird es keine Bodentruppen geben. Eher dürfte es um militärische Berater, den Austausch von Geheimdienstwissen, schnelleren Waffennachschub und Drohneneinsätze gehen. Isis zu stoppen, muss Priorität haben. Doch auch die Politik bezüglich des Irak muss sortiert und verstärkt werden. Es bedarf des Widerstands von unten, von Gegend zu Gegend, um Isis zu bekämpfen, und es bedarf einer Regierung, die den gesamten Irak repräsentiert. Wir müssen Druck auf Maliki ausüben, das zu gewährleisten. Das muss Teil des Hilfspakets für den Irak sein.

Ist Demokratie im Irak eine gute Sache? Eindeutig ja. Sollten die Terroristen bekämpft werden? Absolut. Die USA, Großbritannien und die EU müssen sich darüber einig werden. Isis fordert die verlogene Unterstützung für die Demokratie im Irak heraus. Unsere Entscheidungsriege muss sich endlich klar positionieren. Denn es ist in unserem ureigensten Interesse, dass die Demokratie im Nahen Osten gedeiht.

Irak ist ein erfolgreiches Beispiel, insbesondere, wenn wir berücksichtigen, dass die einzige andere Demokratie in der Region Israel ist. Wenn wir es zulassen, dass die Dschihadisten zehn Jahre Freiheit von der Diktatur im Irak und zwanzig Jahre kurdische Demokratie zerstören, welche Botschaft senden wir damit an die viel jüngeren und zerbrechlicheren Demokratien des Arabischen Frühlings? Wir sagen zu ihnen: Wir lassen euch allein.

Das ist nicht nur falsch, es ist waghalsig. Es handelt sich bei Isis nämlich nicht um ein Ereignis, das auf ein Land eingegrenzt werden kann. Es geht um die gesamte Region. Isis kreiert einen anarchischen Raum, der sich schon jetzt über zwei Länder aufspreizt: Irak und Syrien. Und alles, was die Autonome Region Kurdistan zerreißt, wirkt sich auf die kurdische Bevölkerung in der Türkei und im Iran aus.

Die Iraner wittern ohnehin schon die Möglichkeit, das Machtgefüge in der Region zu ihren Gunsten zu entscheiden. Ist es das, was der Westen will? Ist er wirklich so ignorant bei diesem Kampf zwischen Terrorismus und Demokratie und den Folgen, die das haben wird? Das dürfen wir nicht.

Junge Männer aus Europa kämpfen bereits in Syrien und im Irak. Sie sind extremistisch, und sie wurden ausgebildet und indoktriniert. Der Westen ist ihr Feind. Wir mögen neutral sein wollen, was den Kampf im Irak angeht, doch für die Dschihadisten sind wir legitime Angriffsziele. Wir sind ihr Feind.

Wir werden noch Jahre an den Folgen zu leiden haben, wenn diese jungen Männer den Krieg „nach Hause“ nach Europa bringen. Schon aus schierem Eigeninteresse müssen wir intervenieren, um die Ausbreitung dieser brutalen extremistischen Ideologie rückgängig zu machen. Wenn wir nicht zurück in den Nahen Osten gehen, wird der Krieg zu uns kommen.

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