Debatte Gendermarketing: Puppen haben keine Väter
Es gibt weniger Kinder, also setzt die Industrie auf Geschlechtertrennung: Sie verkauft an Prinzessinnen und Abenteurer.
F amilienalltag in Deutschland: Jungen bekommen im Durchschnitt mehr Taschengeld als Mädchen. Mädchen müssen nach wie vor mehr im Haushalt mithelfen. Mäht der Sohn mal den Rasen, hilft beim Autowaschen oder Reifenwechsel, kann er sich damit noch etwas hinzuverdienen. Es gibt Aufgaben, für die ein Junge selbstverständlich bezahlt wird und Mädchen nicht.
Viel zu wenige regen sich über diese Ungleichbehandlung auf – stattdessen wird in der Erwachsenenwelt alljährlich der Pay-Gap diskutiert, also warum Frauen unterm Strich rund 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Und wir beobachten den Care-Gap, nämlich dass 80 Prozent der Pflegearbeiten von Frauen ausgeführt werden.
Doch wie soll eine wirkliche und nachhaltige Veränderung der Geschlechterverhältnisse gelingen, wenn wir die Debatten und Fortschritte der Erwachsenenwelt nicht hineintragen in die Kinderzimmer? Und umgekehrt das Kinderzimmer in den Debatten der Erwachsenenwelt außen vor lassen?
Die Werbe- und Marketingindustrie erklärt unterdessen in jedem Produktbereich neu, dass Mädchen und Jungen, dass Männer und Frauen eben unterschiedliche Grundbedürfnisse hätten. In vorderster Reihe dabei: Axel Dammler und sein Marktforschungsinstitut iconkids & youth, international research Gmbh.
Der Marktforscher sprang für Ferrero in die Bresche, als die Kritik am rosa Überraschungsei überhand zu nehmen drohte. Bereitwillig rechtfertigte er auch die Friends-Reihe von Lego, schließlich zählt auch dieses Unternehmen zu seinem Kundenstamm, der sich wie das „Who’s who“ der Kinder- und Spielwarenbranche in Deutschland liest. Und auch die Sisi-Werke bezogen sich ausdrücklich auf die Umfragen von iconkids & youth, als sie den Capri-Sonne-Ableger Elfentrank auf den Markt brachten.
ist Sprecherzieherin (DGSS), Trainerin und Hörfunkjournalistin und bloggt gemeinsam mit Sascha Verlan auf ich-mach-mir-die-welt.de/.
Es ist schon erstaunlich, wie viele Unternehmen sich auf die Expertise eines einzigen Marktforschungsinstituts verlassen, deren Umfragen als „Studien“ aufwerten und auf wissenschaftliche Belege verzichten.
schrieb gemeinsam mit Almut Schnerring: „Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees“. Verlag Antje Kunstmann 2014.
Warum Hersteller auf Gendermarketing setzen, ist leicht nachvollziehbar: Seit Jahren gehen die Geburtenzahlen zurück, der Spielwarenmarkt ist gesättigt. Also müssen mehr Produkte an weniger Kinder verkauft werden. Das funktioniert am einfachsten, wenn man aus der einen Zielgruppe „Kinder“ zwei Zielgruppen bildet: „Mädchen“ und „Jungen“.
Fehlt noch ein stichhaltiges Verkaufsargument: unterschiedliche Grundbedürfnisse. Jungen und Mädchen, so die Begründung, verlange es von Natur aus nach unterschiedlichen Spielsachen und Freizeitangeboten. Jungen und Mädchen ernährten sich anders, sie bewegten sich anders, lernten anders, sie seien eben grundverschieden. Und welche Familie will sich schon sagen lassen, sie habe die Grundbedürfnisse der eigenen Kinder missachtet?
Eine Ladung rosa Glitzer
Aber selbst wenn diese geschlechterspezifischen Unterschiede wissenschaftlich nachweisbar wären, die Politik der Marketingindustrie wäre auch damit nicht zu rechtfertigen. Sie verhöhnt alle, die sich für eine gerechtere Aufteilung der Familienarbeit einsetzen. Sie überdeckt den wirtschaftspolitischen Wunsch, Mädchen und junge Frauen für die MINT-Berufe zu gewinnen, mit einer Ladung rosa Glitzer: Technische Spielwaren werden fast immer mit Jungen und für Jungen verpackt und beworben.
Puppen dagegen, Spielzeug, das Kindern den Zugang in die Care-Welten ermöglicht, sind „Für Puppenmuttis“ rosa verpackt, denn Puppen haben keine Väter. In einem Jungen, der gern mit Puppen spielt, sieht die Erwachsenenwelt nicht den späteren fürsorglichen Vater, sie macht sich stattdessen Sorgen um sein soziales Wohlergehen und seine sexuelle Prägung.
Die Marke Bübchen liefert Badeschaum in einer blauen Variante („Sieger-Bad“) und in Rosa („Prinzessinnen-Bad“), Maggi verkauft gegenderte Tütensuppe (blaue „Feuerwehr-Suppe“ und rosa „Prinzessinnen-Suppe“)‘, Babywalz bietet Kinderzimmermöbel „Für echte Rennfahrer“ und „Für echte Mäuschen“. Bei Tchibo gab es Kinderbettwäsche zu kaufen: ein Astronaut auf der einen Bettdecke, eine Prinzessin auf der anderen. Eine Astronautin war wohl zu abwegig, deshalb liegt für die Werbefotos ein Junge im Bettzeug und das Mädchen übernimmt, mal wieder, den Prinzessinnen-Part.
Pegida-taugliche Spielzimmer
Immerhin Milupa wirbt für ein Unisex-Folgemilch-Produkt. Der Werbespot zeigt die Zukunft der kleinen Kinder: Die Tochter wird zur Ballerina, der Sohn Mathematiker oder Bergsteiger. So findet sich inzwischen kaum ein Bereich mehr im Alltag von Kindern, in dem sie der Zweiteilung in Abenteurer und Prinzessin entkommen könnten.
Die schiere Masse der rosa-hellblauen Botschaften verfehlt nicht ihre Wirkung: Wie iconkids & youth vermeldete, ist Prinzessin seit Neuestem ein Berufswunsch 5- bis 9-jähriger Mädchen. Designerinnen, Werbetexter und Verkäufer sind Teil dieser Gesellschaft, deshalb ist es zynisch, sie aus der Verantwortung zu entlassen mit dem Hinweis, Gendermarketing reagiere nur auf vorhandene Marktinteressen, denn Werbung schafft viele dieser Grundbedürfnisse erst. In einer Lebenswelt, in der uns drei- bis fünftausend Werbebotschaften täglich erreichen, ist es keine Option, Kindern nach dem Motto zu begegnen: „Nun lasst sie doch, sie wollen es doch so.“
Im Kinderzimmer entscheidet sich, wie ernst es uns ist mit der Geschlechtergerechtigkeit, wie ernst wir es wirklich meinen mit der individuellen Förderung von Interessen und Eigenschaften, wie viel Anderssein wir zulassen wollen als Gesellschaft. Die Welt unserer Kinder ist der Gradmesser unserer eigenen Freiheit.
Ein Blick in die von Werbung und Marketingstrategien entworfenen Kinderzimmer zeigt, wohin der Weg gehen soll: in eine Welt, die so rückwärtsgewandt ist, dass man in der Erwachsenenwelt damit allenfalls auf einer Pegida-Demonstration punkten könnte.
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