Debatte Finanzcasino: Das irre Steuerloch
Wie wird man bequem reich? Mit privaten Miet- „Objekten“. Millionenbeträge können mühelos am Finanzamt vorbeigeschleust werden.
W er kennt nicht dieses sehnsuchtsvolle Stöhnen: Jetzt eine Wohnung besitzen! Dann hätte man endlich ausgesorgt. Denn Mieten und Hauspreise steigen in den Städten rasant – und ständig werden weitere Rekorde gemeldet.
Neueste Zahlen gibt es für die 127 größten deutschen Städte: Zwischen 2009 und 2016 sind die Eigentumswohnungen dort um 55 Prozent teurer geworden, wie einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu entnehmen ist. Eigenheime kosten zwischen 38 und 45 Prozent mehr, und die Grundstückspreise sind sogar um rund 63 Prozent gestiegen. Parallel erhöhten sich auch die Mieten um mehr als 30 Prozent. Dies sind jedoch nur Durchschnittswerte. In begehrten Städten wie Berlin oder München ist es weit schlimmer.
Auch künftig werden die Preise steigen. Denn der Zuzug ist ungebrochen, aber Neubauten sind eher rar, wie das Institut der deutschen Wirtschaft feststellt: Allein in den sieben größten Städten wurden zwischen 2011 und 2015 rund 60.000 Wohnungen zu wenig errichtet.
Für Hausbesitzer sind also paradiesische Zeiten angebrochen. Die Mieteinnahmen steigen, und wenn sie ihre Wohnungen verkaufen, kassieren sie kräftige Extragewinne. Besonders schön: Diese Profite sind fast immer steuerfrei. Selbst Millionenbeträge können mühelos am Finanzamt vorbeigeschleust werden, wenn man sich nur ein bisschen geschickt anstellt. Offiziell gilt nämlich die Fiktion, dass es sich um „privaten Vermögensaufbau“ handeln würde, wenn man ein Mietobjekt besitzt.
Das Wort „Objekt“ ist hierbei zentral. Denn damit sind nicht nur einzelne Wohnungen gemeint, sondern es können auch Grundstücke sein. Wenn auf diesem Grundstück dann ein Haus mit zwei Hinterhöfen und 50 Wohnungen steht – gilt es weiterhin als private Vermögensanlage. Obwohl derartige Häuser Millionen Euro einbringen, können sie steuerfrei verkauft werden.
Ein fiktives Rechenbeispiel: Man stelle sich vor, ein Mietshaus in Berlin ist im Jahr 2005 für 2 Millionen Euro erworben worden, 2016 wird es für 4 Millionen verkauft. Macht einen Reingewinn von 2 Millionen, der nicht versteuert wird – obwohl es sich um Einkommen handelt. Eigentlich würde die Reichensteuer von 45 Prozent fällig; dem Staat entgehen also knapp 900.000 Euro.
Es gibt nur eine einzige Bedingung, die der gewiefte Hausverkäufer beachten muss: Es gilt eine „Spekulationsfrist“ von zehn Jahren. Wer sein Mietshaus beispielsweise schon nach fünf Jahren veräußert, muss den Gewinn versteuern. Aber diese kleine Einschränkung ist zu verschmerzen, denn ansonsten sind dem regen Handel kaum Grenzen gesetzt: In fünf Jahren darf man drei „Objekte“ kaufen und drei „Objekte“ verkaufen, ohne dass Steuern anfallen. Pro Person. Ein Ehepaar kann innerhalb von fünf Jahren also jeweils sechs Immobilien erwerben und veräußern.
Leistungsloses Einkommen
Dieses irre Steuerloch wird gern genutzt: Der Mietmarkt ist ein gigantisches Geschäft in Deutschland, denn etwa die Hälfte aller Bundesbürger wohnt zur Miete. Doch gewerbliche Vermieter spielen fast gar keine Rolle. Der letzte Zensus von 2011 ergab, dass nur 12,3 Prozent aller Wohnungen im Besitz von privaten Gewerbeunternehmen sind. 65 Prozent gehört hingegen „Privatpersonen“. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass professionelle Vermieter so tun, als wären sie „nicht gewerblich“.
FDP und CDU propagieren gern den Grundsatz „Leistung soll sich lohnen“. Doch wenn es um Immobilien geht, gilt das glatte Gegenteil: Leistungslose Einkommen werden steuerlich begünstigt. Wer Mietwohnungen besitzt, erwirtschaftet den Gewinn sozusagen im Schlaf. Man muss nur warten, bis die Häuser noch teurer werden.
Zudem ist der steuerfreie Spekulationsgewinn gar nicht das einzige Geschenk, das die Vermieter erhalten. Mindestens genauso schön sind die Möglichkeiten, fiktive Wertverluste abzuschreiben. Pro Jahr sind dies 2 Prozent. Um dies erneut am Beispiel des Berliner Mietshauses vorzurechnen: Da es 2005 2 Millionen gekostet hat, konnte der Besitzer jedes Jahr 40.000 Euro als „Abschreibung“ beim Finanzamt geltend machen, weil das Haus angeblich weniger wert war. Übersetzt: Pro Jahr waren 40.000 Euro an Mieteinnahmen steuerfrei. Davon kann jeder Arbeitnehmer nur träumen, bei dem die Steuern automatisch abgebucht werden.
Nun könnte man argumentieren, dass ein Haus tatsächlich an Wert verliert, wenn nicht Fenster, Dächer, Heizungen und Fassaden regelmäßig erneuert werden. Nur: Diesen „Erhaltungsaufwand“ können die Vermieter ebenfalls komplett von der Steuer absetzen. Faktisch wird also doppelt abgeschrieben: Man macht einen Wertverlust geltend, den es gar nicht geben kann, weil man den Wert ja erhalten hat – ebenfalls steuerbefreit.
Geschäftsmodell „Abschreibung“
Diese Doppelbegünstigung kennt zudem kein Ende: Nach jedem Verkauf wird ein Gebäude, das schon abgeschrieben war, wieder ganz von vorn abgeschrieben. Jedes Haus verliert also gleich mehrfach seinen Wert – sogar wenn es im Wert gestiegen ist.
In der Gesamtbilanz bedeutet dies für das Berliner Mietshaus: 2005 war es 2 Millionen Euro wert. Davon wurden bis 2016 jährlich 40.000 Euro abgeschrieben, sodass offiziell noch 1,52 Millionen in den Büchern standen. Es wurde aber für4 Millionen verkauft. Gerade weil das Haus nun mehr wert ist, kann der neue Besitzer sogar 80.000 Euro jährlich als „Wertverlust“ steuermindernd geltend machen.
Durch diese legalen Steuertricks bereichert sich eine kleine Oberschicht. Denn nur 10 Prozent der Deutschen besitzt überhaupt Mietwohnungen. Alle anderen sind entweder die Mieter oder haben nur ein einzige Immobilie, in der sie selbst leben.
Es wäre interessant, zu wissen, wie viele Steuermillionen es jährlich kostet, die Vermieter zu beschenken. Doch dazu fehlen alle Zahlen. Das ist typisch für die deutsche Statistik. Die Daten der Reichen werden fast nie erfasst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört