Debatte Finanzcasino: Die Erben der Neoliberalen

Sie präsentieren sich als Partner – und Gewinner. Doch für Großbritannien und die USA kann es wirtschaftlich nur bergab gehen.

Traitor, also Verräter steht auf einem Schild, das Demonstranten durch New York tragen

Das Volk ist schlauer als Trump – der will Jobs schaffen, dabei bräuchten die Leute einfach bessere Löhne Foto: dpa

Die britische Premierministerin Theresa May und der neue US-Präsident Donald Trump sind bekennende Nationalisten. Für sie zählt nur das eigene Land. „Britain first“ trifft auf „America first“, wenn May an diesem Freitag nach Washington reist.

May ist der erste Staatsgast, den Trump im Weißen Haus empfängt, was natürlich kein Zufall ist. Beide wollen ihre „besondere Beziehung“ inszenieren. Bewusst wird an das Jahr 1980 erinnert, als es zu einer ähnlichen Paarung kam. Wie Trump und May waren damals Ronald Reagan und Margaret Thatcher neu im Amt – und sofort ein Herz und eine Seele. „Meine Maggie“, sagte denn Trump auch schon über May.

Trotzdem passt die Analogie nur scheinbar. 1980 hatten Reagan und Thatcher tatsächlich ein gemeinsames Projekt. Beide waren gläubige Jünger der neoliberalen Theorie; sie wollten die Finanzmärkte entfesseln, die Steuern für die Reichen senken und die heimischen Gewerkschaften zerstören.

Nur einer kann vorne liegen

Dieses Projekt können Trump und May schon deswegen nicht neu starten, weil Reagan und Thatcher bereits maximal erfolgreich waren: In den USA und in Großbritannien dominieren die Investmentbanken. Eine kleine Oligarchie bedient sich, während die Löhne der Normalbürger nicht mehr steigen. Es gibt keine mächtigen Gewerkschaften mehr, die man zerschlagen könnte.

Trump und May können ihre Vorgänger nicht kopieren, sondern erben die Folgen: In beiden Ländern fühlt sich die Mehrheit verraten. Die Bürger wählen zwar nicht die neoliberale Doktrin ab – aber schwenken in einen ökonomischen Nationalismus ein. „British first“ und „America first“ klingt zwar ebenfalls wie ein gemeinsamer Ansatz, ist jedoch gleichzeitig unmöglich. Nur einer kann Erster sein.

Die Verliererin steht bereits fest: Theresa May. Wie ihrer Brexit-Rede vor einer Woche zu entnehmen war, ist ihre Vorstellung, dass die Briten in den USA neue Märkte erobern. Sie verbreitet die Mär, dass man ruhig auf den EU-Binnenmarkt verzichten könne – weil „neue Küsten“ auf die Engländer warten würden.

Wo immer diese „neuen Küsten“ sein sollen – sie werden sich nicht in Trumps Amerika befinden. Dazu reicht schon ein Blick auf die Exportgüter der Briten, von denen es sowieso nicht allzu viele gibt. Die vier wichtigsten Ausfuhrprodukte sind: 1) Autos, 2) nichtraffiniertes Öl, 3) raffiniertes Öl, 4) abgepackte Medikamente. Das britische Öl geht bereits zur Neige; und beim Thema Autos weiß inzwischen jeder, was Trump darüber denkt: „Buy American, hire American.“ Die Briten sollten also nicht auf Sonderkonditionen hoffen, die mehr als nur kleine symbolische Zugeständnisse sind.

In beiden Ländern fühlt sich die Mehrheit verraten. Die Bürger wählen zwar nicht die neoliberale Doktrin ab – aber schwenken in einen ökonomischen Nationalismus ein

May wird scheitern, aber was ist mit Trump? Zumindest die Börsianer scheinen noch zu glauben, dass sein „America first“ mehr als nur ein Slogan ist. Am Mittwoch durchbrach der Dow Jones Index die magische Grenze von 20.000 Punkten.

Sollte die US-Wirtschaft unter Trump tatsächlich brummen, hätte dies nichts mit dem neuen Präsidenten zu tun. Denn seine ökonomischen Überzeugungen sind falsch. Dies beginnt schon beim Thema Arbeitsplätze. Beharrlich zeichnet Trump das Bild, dass viele Amerikaner arbeitslos wären, weil die Fabriken nun alle in Mexiko, Kanada, China oder auch Deutschland stehen würden. Doch in Wahrheit ist kaum jemand ohne Stelle. In den USA herrscht fast Vollbeschäftigung. Aktuell sind nur noch 4,6 Prozent der Einwohner arbeitslos.

Finanzpolitik im Playboy

Jobs sind vorhanden, aber sie werden zu schlecht bezahlt. Denn es gibt ja keine schlagkräftigen Gewerkschaften mehr, sodass es für Unternehmen leicht ist, ihre Beschäftigten auszubeuten. Seit 1975 sind die mittleren Reallöhne in den USA nicht mehr gestiegen. Dies ist ein Skandal – aber er lässt sich nicht beheben, indem man plötzlich Importzölle von 35 Prozent erhebt, wie Trump es vorschlägt.

Überhaupt, die Zölle: Sie sind eine fixe Idee von Trump, die er seit mindestens 1990 hegt. Damals erschien ein Interview im Playboy, wo er weitsichtig gefragt wurde, was er als Erstes täte, wäre er US-Präsident. Antwort: „Ich würde eine Steuer auf jeden Mercedes-Benz und alle japanischen Produkte erheben, die ins Land kommen.“ Trump wusste übrigens auch damals schon, wie er an die Macht kommen würde: „Die Arbeiter würden mich wählen. Sie mögen mich.“ Diese Arbeiter verrät Trump nun, indem er nicht die Gewerkschaften stärkt, sondern sinnlose Zölle erhebt.

Trump lebt in einer gedanklichen Parallelwelt, und nach dieser „Trumpologie“ ist es Diebstahl, wenn andere Länder mehr exportieren als das eigene. Bekanntlich hat es Trump besonders auf Mexiko abgesehen, weil der südliche Nachbar einen Exportüberschuss von 70 Milliarden Dollar gegenüber den USA verzeichnet. Das klingt viel, ist aber nur der berühmte Fliegenschiss. Diese 70 Milliarden machen ganze 0,39 Prozent der Wirtschaftsleistung der USA aus. Alle außer Trump erkennen sofort: Es würde kaum neue Arbeitsplätze bringen, wenn man einen Handelskrieg mit Mexiko anzettelt.

Trump denkt sehr sinnlich. Er sieht deutsche Autos in New York – also müssen diese Mercedes-Benz daran schuld sein, wenn die amerikanischen Arbeiter zu wenig verdienen. Wie bei jedem Nationalisten kommt für ihn die Bedrohung immer von außen, und daher kann er die eigentliche Gefahr gar nicht erkennen, die seine Amtszeit bedroht: Die Konjunktur in den USA läuft bereits bestens. Es kann nur noch abwärtsgehen. Eine kleine Rezession ist durchaus wahrscheinlich, sodass Trump am Ende als der Präsident in Erinnerung bleiben könnte, dessen Wahlspruch hätte lauten müssen „Make America poor again“.

Trump und May sind die Erben ihrer neoliberalen Vorgänger, aber sie sind nur noch die Abwickler dieses Projekts. Denn schlichter Nationalismus kann auf Dauer nicht übertünchen, dass die Mehrheit der Wähler ökonomisch abgehängt wird. Das ist nicht unbedingt ein Grund zur Hoffnung, denn wer weiß, wer nach Trump und May gewählt wird.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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