Debatte Europäische Union: Merkel muss den Draghi machen
Italiens neue Regierung wird populistisch sein. Aber sie hat recht, wenn sie gegen das strikte Spardiktat aus Brüssel und Berlin aufbegehrt.
S chon wird über einen „Italexit“ spekuliert: Scheidet Italien demnächst aus dem Euro aus? Denn die neue Koalition aus Lega und 5-Sterne-Bewegung hat ein klares Ziel. Sie will nicht länger den drakonischen Sparkurs praktizieren, der Italiens Wirtschaft schwer lädiert.
Noch hoffen viele, dass die künftige Regierung nur posiert. In einem taz-Interview diagnostizierte der italienische Politologe Piero Ignazi „etwas infantile Züge“ bei den neuen Herren in Rom. Sie würden sich „gebärden wie Jugendliche, die zum ersten Mal einen Club betreten – und die natürlich zunächst auf sich aufmerksam machen wollen.“
Vielleicht hat Ignazi recht, dass die neue Koalition schnell eingeschüchtert ist, wenn die Europäische Zentralbank ihre Waffen zeigt: Sie könnte den Geldhahn zudrehen, wenn die Italiener unerlaubte Staatsdefizite aufhäufen. Griechenland lässt grüßen, wo die Bankautomaten 2015 auch fast leer waren, als die linke Syriza-Regierung nicht spuren wollte.
Außerdem gibt es ja noch die „Technostruktur“ in Italien, wie Ignazi es nennt. „Dazu gehört die Banca d’Italia, dazu gehören der Unternehmerverband Confindustria und andere Interessenverbände, dazu gehört auch der Staatspräsident. Sie alle werden als Sicherheitsnetz wirken.“
Die Verzweiflung ist nicht eingebildet
Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass sich Staatspräsident und Industrie erfolgreich gegen den Wählerwillen stemmen – und der Sparkurs weiter fortgesetzt wird. Doch was würde das nützen? Diese zwingende Frage wird von den europäischen Eliten leider nicht gestellt.
Die italienischen Wähler bilden sich ja nicht ein, dass ihre Lage verzweifelt ist. Die Zahlen sind verheerend: Seit 1999, also seit der Einführung des Euro, ist die italienische Wirtschaftsleistung um mickrige 8,2 Prozent pro Erwerbsfähigem gestiegen. Durch den Euro hat Italien also zwei Jahrzehnte verloren – da erstaunt es nicht, dass viele Wähler gegen das Spardiktat aus Brüssel und Deutschland rebellieren.
Die Italiener sind zum Opfer des Euro geworden. Vor allem ein Tag ruinierte alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft: der 21. Juli 2011. Damals setzte Kanzlerin Merkel auf einem Euro-Gipfel durch, dass sich Banken und Versicherungen „substanziell“ an einem Schuldenschnitt für Griechenland zu beteiligen hätten.
Italien ist bekanntlich nicht Griechenland, aber das interessierte die Investoren nicht mehr. Als ein Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert wurde, fürchteten sie, dass auch andere Euroländer konkursreif seien – und prompt fiel ihnen Italien auf. Die italienischen Staatsschulden betrugen damals 115 Prozent der Wirtschaftsleistung, und nur diese eine Zahl zählte. Niemand nahm mehr wahr, dass Italien diese Schulden bereits seit mehr als 20 Jahren mitgeschleppt und stets verlässlich bedient hatte.
Panik, die Panik schürt
Stattdessen machte sich Panik breit: Hektisch verkauften Banken und Versicherungen ihre italienischen Staatsanleihen, so dass die Zinsen auf über 7 Prozent stiegen. Italien musste daher ein drakonisches Sparpaket auflegen, was die Wirtschaft prompt schrumpfen ließ, was wiederum die Staatsverschuldung erhöhte, die doch eigentlich gesenkt werden sollte. Italien geriet in einen Teufelskreis, der die Panik der Investoren erst recht schürte.
Die Europäische Zentralbank zögerte lange, weil die deutsche Bundesbank bremste, und griff erst im Juli 2012 entschieden ein. Damals kündigte EZB-Chef Mario Draghi an, dass man „alles“ (whatever it takes) tun würde, um den Euro zu retten. Die Investoren wussten sofort, was damit gemeint war: Ab jetzt würde die Notenbank unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen für Italien nach unten zu drücken. Die Panik verebbte sofort, so dass die EZB damals keine einzige Staatsanleihe erwerben musste. Reine Psychologie reichte aus, um die Anleger zu beruhigen.
Aber der Schaden war geschehen. Durch die hohen Zinsen und den staatlichen Sparkurs schrumpfte die italienische Wirtschaft 2012 um 2,8 Prozent und 2013 noch einmal um 1,7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf 12,6 Prozent.
Es ist nicht übertrieben: Millionen von Italienern mussten büßen, weil Deutschland mehrere Fehlentscheidungen im Fall Griechenland durchsetzte. Doch statt die eigenen Irrtümer einzusehen, spielen sich die Deutschen jetzt als Besserwisser auf. Weiter wird auf hartes Sparen bestanden – und falls die Italiener nicht brav folgen, wird ihnen der Untergang angedroht. Auf europäische Solidarität dürften die Italiener nicht rechnen, erläuterte EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) am Dienstag. „Deshalb wird die Wirtschaft dort einbrechen. Die italienischen Banken werden einbrechen. Viele Italiener werden dann versuchen, ihre Ersparnisse ins Ausland zu bringen, um sie vor dem Chaos zu retten.“ Griechenland lässt grüßen.
Die Euroskepsis wird nicht verschwinden
Die Lega und die 5-Sterne-Bewegung sind so chaotisch, dass sie wahrscheinlich einknicken – zumal viele ihrer Vorstellungen sowieso ins Reich der Fantasie gehören wie etwa eine flächendeckende Steuersenkung auf maximal 20 Prozent.
Die Euro-Granden in Deutschland und in Brüssel jubilieren schon, weil sie die neue italienische Koalition für einen leichten Gegner halten. Diese Perspektive ist falsch. Das Signal ist: Die Italiener sind so verzweifelt, dass sie sogar Fantasten wählen. Sollten die Lega und die 5-Sterne-Bewegung scheitern, wird nicht die Euroskepsis in Italien verschwinden – sondern es werden neue Parteien kommen, die dieses Gefühl professioneller artikulieren.
Das Ende vom Euro hat begonnen. Es sei denn, der 26. Juli 2012 wiederholt sich. Damals sprach Draghi sein berühmtes „Whatever it takes“ und definierte die Rolle der EZB neu. Eine solche Wende wird wieder gebraucht, und diesmal muss das europäische Spardiktat gelockert werden. Das Signal kann nur aus Berlin kommen, von Angela Merkel. Sie muss den Draghi machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland