Debatte Einkommensunterschiede: Die Reichen ernst nehmen
Eine kleine Machtelite hat sich in Deutschland zu einer historisch einzigartigen Gehaltssteigerung verholfen. Das muss man nicht dulden.
W er heutzutage über die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in der Bundesrepublik diskutieren möchte, ist wohl beraten, mit einem drastischen Beispiel zu beginnen. Die dreißig DAX-Vorstände verdienten im Jahr vor der Wende 1989 jeweils 500.000 DM; sie erhielten damit zwanzigmal so viel wie ihre Arbeitnehmer.
Zwanzig Jahre später empfingen sie jedoch 6 Millionen Euro (12 Millionen DM) und damit das 200-Fache des Jahreseinkommens ihrer Arbeitnehmer. Keine noch so atemberaubende Leistungsvermehrung, die ohnehin nirgendwo zu erkennen ist, vermag diese extraordinäre Steigerung zu rechtfertigen.
Das beneidete Vorbild ist der atemberaubende amerikanische Gehältersprung seit der Reagan-Ära, der häufig sogar das Dreifache der DAX-Einkommen überschritten hat. Der Nobelpreisträger Joseph Stieglitz hat soeben pointiert angeklagt, dass die amerikanische Einkommens- und Vermögensvermehrung primär dem obersten ein Prozent in der Sozialhierarchie zugute gekommen ist. Kein deutscher Ökonom hat sich bisher getraut, die Verhältnisse im eigenen Land so klar zu kritisieren.
ist Historiker. Seine fünfbändige Deutsche Gesellschaftsgeschichte zählt zu den Standardwerken der Geschichtsschreibung. Zuletzt erschien „Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland“ (2013).
Dieser Größenordnung nähern sich nämlich auch inzwischen die deutschen Vermögensbesitzer an. Denn das oberste Dezil, das 1977 noch 42 Prozent des gesamten Geldvermögens bei sich versammelt hatte, erreichte 2010 bereits 66 Prozent; das oberste ein Prozent kam auf 36 Prozent. Der neue „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung hat diese Explosion gegen den Widerstand der FDP-Lemuren publik gemacht.
Inzwischen hat der Spiegel recherchiert, dass deutsche Spitzenmanager und Banker außer ihrem Einkommen noch eine sogenannte Betriebsrente erhalten, sobald sie aus ihren Unternehmen ausscheiden. Man denkt bei diesen biederen Worten an den Zuschlag, den ein Fließbandarbeiter nach 40 Jahren im Betrieb erhalten mag, bei den deutschen Topleuten handelt es sich aber bei ihrem Ausscheiden um bis zu 39 Millionen Euro!
Eine grotesk niedrige Erbschaftssteuer
Gleichzeitig hat die rasante Vermehrung der im Wirtschaftswunder von 1950 bis 1973 verdienten Millionen dazu geführt, dass von 2000 bis 2010 2 Billionen Euro vererbt worden sind; für die Zeitspanne von 2010 bis 2020 hat das Statistische Bundesamt mit dem Institut für Altersvorsorge noch einmal 3,2 Billionen Euro Erbmasse prognostiziert. Diese Summen unterliegen einer grotesk niedrigen Erbschaftssteuer, die das Bundesfinanzgericht für „nicht verfassungsgemäß“ erklärt hat, so dass das Bundesverfassungsgericht jetzt eine korrigierende Grundsatzentscheidung fällen soll.
Innerhalb weniger Jahre hat sich mithin eine drastische Verschiebung der Einkommens- und Vermögensrelationen ereignet. Während in den letzten zehn Jahren die Realeinkommen der Arbeitnehmer stagnierten – die Bundesrepublik ist da das einzige Land in ganz Europa –, ist auf der obersten Etage der großen Unternehmen, vor allem auch der Banken, eine Einkommenssteigerung von einer kleinen Machtelite durchgesetzt worden. Die „katastrophale Wirkung“ dieser Bereicherung haben der Bundestagspräsident Lammert, der Kanzlerkandidat Steinbrück und der ehemalige Daimler-Benz-Chef Reuter mit bitteren Worten kritisiert.
Was kann gegen diese Einkommens- und Vermögensentwicklung getan werden? Politisch kann zum Beispiel die Steuerschraube am ehesten gedreht werden. Die Rückkehr zu einer Einkommenssteuer von maximalen 55 Prozent, wie sie unter Helmut Kohl galt, wäre trotz des Lamentos gegen Steuersteigerung möglich.
Die Erbschaftssteuer sollte auf die französische Höhe von 50 Prozent erhöht werden. Dann flössen dem Staat, der sein Ausbildungs-, sein Rechts- und sein Außenhandelssystem zur Verfügung gestellt hat, aus der erweiterten Erbmasse 2,6 Billionen Euro zu, die eine Reform des Bildungs- und Verkehrssystems ermöglichen würde, ohne dem Bürger einen einzigen weiteren Steuercent abzuverlangen.
5 Millionen Euro reichen
Nicht zuletzt könnte nach Schweizer Vorbild eine Einkommensbegrenzung der Gehälter anvisiert werden. Das Jahreseinkommen der Spitzenmanager, das inzwischen bis zu 17 Millionen Euro erreicht hat, ist seit Langem umstritten. Als die „Schutzvereinigung der Wertpapierbesitzer“ unlängst darauf insistierte, dass 10 Millionen Euro als Grenze des jährlichen Gehalts endlich fixiert werden sollten, protestierte der Präsident dieses Verbandes, der alles andere als Linksradikale versammelt, mit dem energischen Einwand, dass in Deutschland für 5 Millionen Euro jede gute Spitzenkraft zu gewinnen sei.
Gewöhnlich wird gegen derartige Vorschläge mit der Massenflucht von Unternehmertalenten gedroht. Das ist aber eine hohle Drohung, die alles andere als schnell verwirklicht werden kann. Und für jede derart entstehende Lücke kann eine geeignete Frau oder ein Aufrücker aus der zweiten Linie gewonnen werden.
Wenn die Beratungen im Vorfeld der Großen Koalition schon so viele Probleme aufgreifen, wäre dann nicht die Zivilcourage wünschenswert, auch für die Bundesrepublik eine Begrenzung der Jahreseinkommen vorzuschlagen? Und wer in diesen Gremien, wie neuerdings die SPD, für plebiszitäre Volksentscheidungen eintritt, könnte gewiss sein, dass eine solche Begrenzung mehrheitsfähig wäre.
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