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Debatte Deutsche Sicht auf IsraelWillkommen im Floskelland

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Wie wird die Einwanderung das deutsche Denken und Sprechen über Israel verändern? Denn niemand wird sich in unsere Floskeln integrieren.

Neue Räume des öffentlichen Denkens und Sprechens über Israel müssen in Deutschland von Juden und Nichtjuden gemeinsam geschaffen werden. Foto: ap

W enn in der deutschen Öffentlichkeit, sei es in den Medien oder der Politik, über Israel gesprochen wird, mangelt es oft an Qualität. Die Qualität eines Diskurses entsteht durch Kenntnisse und genaue Beobachtung, aber auch durch Kontroverse und Vielstimmigkeit. Wenn es um Israel geht, gibt anderes den Ton vor: die Floskel.

Das fällt gerade heute auf, weil zwei Ereignisse genaues Nachdenken verlangen: erstens der gescheiterte Widerstand von Israels Regierung gegen die Nuklearvereinbarung mit Iran, zweitens die Ankunft einer großen Zahl Geflüchteter aus Syrien, wo Israelfeindschaft zum guten Ton gehört. Gibt es da einen Zusammenhang? Wir werden sehen.

„Es ist 1938, und Iran ist Deutschland.“ Iran, so Benjamin Netanjahu, bereite „einen weiteren Holocaust“ vor. Das waren Worte, die nicht mehr steigerbar sind. In Deutschland sind sie ohne viel Echo verhallt; auch der Zentralrat der Juden äußerte lediglich „Skepsis“ gegenüber dem Abkommen. Der Grund für die Zurückhaltung liegt auf der Hand: Die Wiener Vereinbarung war von Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit ausgehandelt worden. Das fehlende Echo ist dennoch eine Nachricht: Die israelische Rechte beschwor die Schoah, und Deutschland hörte weg. Es kommt also anscheinend darauf an, wer was wann warum sagt – auch bei diesem sensibelsten aller Themen.

Neue Diskurssuche

In den USA tobte über Monate eine Meinungsschlacht um den Iran-Deal. Deren Verlierer sind die konservativen, mit Israels Likud eng liierten Organisationen, voran das einst mächtige American Israel Public Affairs Committee. Dessen massive Antikampagne konnte sich, zur Verwunderung der Initiatoren, nicht auf eine Mehrheit der US-Juden stützen, provozierte vielmehr einen bisher beispiellosen innerjüdischen Streit. Nur ein Detail: 340 Rabbiner wandten sich in einem offenen Brief an den Kongress, um Unterstützung für das Abkommen zu bekunden.

In Neukölln lebende Juden widersprechen der Charakterisierung des Bezirks als No-go-Area

Jüdische US-Stimmen sprechen nun von einem Epochenwechsel. Das Jewish Journal sieht „eine wachsende Kluft zwischen amerikanisch-jüdischen und israelisch-jüdischen Ansichten“. Jonathan Chait, Autor beim New York Magazine, resümiert: „Es gibt keine Israel-Lobby mehr.“ Die US-Juden seien heute nach politischen Lagern geteilt; die Mehrheit stünde bei den Demokraten. Das Scheitern der Anti-Deal-Kampagne führt Chait noch auf einen zweiten Grund zurück: Die außenpolitische Debatte in Israel habe sich in den letzten 15 Jahren stetig nach rechts bewegt. Das Establishment der US-Juden, diesen Drift mitvollziehend, stehe deshalb heute rechts von der jüdischen Mehrheit in Amerika.

Naomi Dann, eine Sprecherin des Jewish Voice for Peace, glaubt sogar, es könne nun darüber diskutiert werden, ob der jüdische Charakter des Staates Israel unantastbare Priorität habe vor der Forderung nach Gleichheit seiner Bürger.

Ist es naiv, wenn ich mir in Deutschland, dem Land der Schoah, eine ähnliche Pluralität und Lebendigkeit der Debatte wünsche? Anders gefragt: Wenn es in den USA, Israels wichtigstem Verbündeten, selbst unter Juden eine wachsende Distanzierung gegenüber israelischem Regierungshandeln gibt, ist es dann nicht auch an der Zeit, in Deutschland einen neuen Diskurs zu versuchen?

Juden als Figuren in einer Vitrine

Gewiss: Die hiesigen jüdischen Gemeinden leben in einem historisch zu belasteten Land, um sich eine Meinungspluralität wie in den USA leisten zu können und zu wollen. Und das offizielle Deutschland sieht seine Juden ohnehin am liebsten als Figuren in einer Vitrine. Doch es gibt Anfänge von Neuem: wenn zum Beispiel in Neukölln lebende Juden der Charakterisierung des Migrantenstadtteils als No-go-Area widersprechen – und damit der Sicht des Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde Berlins. Und es leben heute in Berlin junge Israelis, die Israels Siedlungspolitik, seine Kriegsführung, seinen Umgang mit Asylbewerbern so scharf verurteilen, dass manche Deutsche erstarren.

Neue Räume des öffentlichen Denkens und Sprechens über Israel müssen in Deutschland von Juden und Nichtjuden gemeinsam geschaffen werden. Das ist bereits jetzt überfällig – und erst recht nötig als Antwort auf die jüngsten Befürchtungen: dass sich mit den Syrern mehr Israel- und Judenfeindlichkeit in Deutschland einquartiere. Die Ankömmlinge müssten, so Zentralvorsitzender Josef Schuster, an die „Werte“ herangeführt werden, „die in Deutschland Bestand haben“. Bei allem Respekt: Ich fürchte, das wird so nicht gehen. Nicht so statisch.

Auch für ein Einwanderungsland Deutschland muss gelten: Lehren aus der Schoah zu ziehen gehört zum deutschen Selbstverständnis. Aber welche Lehren das sind und wie sie gelebt werden, darüber muss sich ein neuer Konsens entwickeln.

Kein eingewanderter Hass

Wenn Kinder von Migranten an einer Exkursion nach Auschwitz teilnehmen, haben sie dabei andere Gefühle als Jugendliche, deren Vorfahren möglicherweise in den Judenmord involviert waren. Das ist keine neue Erkenntnis, und es gibt schon seit Längerem Projekte und Studien, wie Lehrer mit dem Fehlen von Empathie umgehen können. Und der Mangel an Empathie ist nicht allein ein Problem bei Migranten.

Die meisten antisemitischen Straftaten werden von (rechten) Deutschen begangen; das ist kein eingewanderter Hass. Antizionismus kann, aber muss nicht gleich Judenhass sein. Im Iran müssen Synagogen nicht beschützt werden, anders als in Deutschland. Es stimmt aber auch dies: Viele Araber können sich einen Juden nur in einer israelischen Uniform vorstellen.

Wie also wird ein Einwanderungsland Deutschland künftig über Israel sprechen? Gegenüber einem syrischen Palästinenser lässt sich schwerlich das Existenzrecht Israels verteidigen, ohne über die Rechtmäßigkeit von dessen Grenzen zu reden. Wo wir uns in Floskeln flüchten, sind wir nicht glaubwürdig. Niemand wird sich in unsere Floskeln integrieren.

Wer sich heute jenen entgegenstellt, die Brandsätze auf Flüchtlingsunterkünfte werfen, setzt Lehren aus der Schoah in die Tat um. Das ist keine Antwort auf alles. Aber um andere zu überzeugen, ist es ein guter Ausgangspunkt.

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21 Kommentare

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  • Natürlich wird sich Deutschland verändern. Das ist doch auch so gewollt. In rund zehn Jahren werden die Zugewanderten und ihre nachgezogenen Familienangehörigen deutsche Pässe haben und wahlberechtigt sein. Das werden mindestens 10 Mio. sein. Bereits ein halbes Jahr Aufenthalt in der EU führt zum Aufenthaltsstatus, der zum Umzug in jedes EU-Land berechtigt. Es ist absehbar, dass dann viele dorthin ziehen, wo viele von ihnen bereits sind und das ist Deutschland. Die kommen noch hinzu.

     

    Daran wird keine Partei vorbei kommen, wenn sie bei den Wahlen ihren Stimmenanteil halten will. Damit hat Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, dass Deutschland dann wohl nicht länger solch entschiedenen Widerstand in der EU leisten wird, wenn es darum geht, Israel davon zu überzeugen, eine dauerhafte und faire Lösung mit den in seinem Machtbereich wohnenden Palästinensern zu finden. Und spätestens dann werden wir in Deutschland darüber diskutieren müssen, welchen Anteil wir an den vielen Toten in Palästina gehabt haben werden und was daraus folgt.

     

    „Wir schaffen das!“ rief uns die Kanzlerin zu. Auch wenn es zur zeit nicht danach aussieht: Hoffentlich behält sie Recht!

  • Sehr lusig finde ich die Tatsache, dass die Länder an denen sich die deutschen am liebsten abarbeiten.. Israel und USA umgekehrt nicht halb so viel Interesse an Deutschland zeigen. Da wird sich hier das Hirn zermatert und natürlich nicht mit sehr gern gesehenen guten Ratschlägen gespart, während der Adressat das ganze deutsche Gekeife gelassen hinnimt und in sich ruht wie ein sibirischer Bär im Winterschlaf.

  • woher hat die frau Wiedemann eigentlich "Syrien, wo Israelfeindschaft zum guten Ton gehört"?

     

    mir ist bei meinen mandantinnen aus Syrien ja vieles begegnet - aber Israelfeindschaft? nö. eher bedauern darüber, nicht einfach so zu besuch nach Urshulaim fahren zu können, nicht mal mit nem reiseausweis nach GFK.

     

    und: wo die einen lehren aus shoah und! porajmos ziehen, da ziehen andere sie aus der verfolgung der armenier, der jeziden.... und der nakba.

  • Sehr, sehr richtig.

  • Auf einer CSU Veranstaltung die vor kurzem stattfand, sprach einer er Redner von der Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel und wurschtelte die Verantwortung gleich in die Deutsche Leitkultur hinein. Als ich während einer Kaffepause fragte, wo den diese Verantwortung gegenüber Israel im Grundgesetz oder anderen Gesetzen stünde, erhielte ich die Antwort: „Ich kann doch nicht auf alle Einzelheiten eingehen, das ist doch Unsinn“

  • "...ob der jüdische Charakter des Staates Israel unantastbare Priorität habe..."

    Ich würde es eher so formulieren: der jüdische Charakter Israels ist eh schon längst verloren gegangen, in Zeiten wo die Regierung in Israel mit Schulterzucken Tausende von Schutzlosen in Gaza bombardiert während die Bürger in Serdot dabei Picknick machen und klatchen Beifall beim jeden Bombenanschlag.

    http://www.theguardian.com/world/2014/jul/20/israelis-cheer-gaza-bombing https://youtu.be/4J1iZTMaYa4

    • @Ninetto:

      Wer hat wen angegriffen?

      Der Friedensvertrag mit Jordanien und Ägypten hält. Israel nimmt Patienten aus den jordnischen Flüchtlingslagern auf und durch das "goldene Tor" kommen auch Libanesen in die medizinischen Abulanzen nach Israel.. Wer angegrffen wird, darf sich wehren, oder gilt das nicht für Juden? Wenn eine Partei einer kriegerischen Auseinandersetzung keine Feinde ins Land lässt, wird aufgeheult, aber Ägypten, was ebenfalls die Grenzen zu Gaza schloss, erfährt durch Sie keine Kritik? Frieden ist erst dann möglich, wenn Fatah & Hamas die Vernichtung der Juden und Israel aufgeben. Ich kenne Palästinenser in Israel und in Deutschland, die Sehnsucht nach Frieden haben. Ich hoffe, dass die Vernunft bald siegt. Kein Mensch kann seine Kultur/Religion aus dem Koffer pflegen, man braucht dafür Raum. Das gilt nicht nur für Palästinenser, sondern auch für Kurden und andere.

    • @Ninetto:

      Der jüdisxhe Charakter wird dadurch sichtbar,dass er nicht den Toten Kränze hinterher wirft sondern dafür sorgt das die lebenden am Leben bleibt.

      • @margret rohren:

        Ja, vor allem im Gaza, das nach Berichten der UNO in fünf Jahren nicht mehr bewohnbar sein wird. Da niemand rausgelassen wird, ist mit rund 2 Mio. Toten zu rechnen.

      • @margret rohren:

        Verfolgungswahn und töten können besser und schneller als die Anderen ist keine Hilfe für die Lebenden, eher eine Gefahr... und hoffentlich auch "keine jüdische Charakter".

         

        Der Mythos dass Nuklearmacht Israel irgendwie von seinen Nachbarn existenziel bedroht sei, ist eine schlimme Propagandalüge, um das eigene Agression zu rechfertigen.

         

        Sehenswert: https://youtu.be/6O5zgXeCynQ

        • @Ninetto:

          Wenn keine Raketen aus Gaza kommen, sind auch keine Luftschläge mehr nötig.

          So einfach ist das.

    • @Ninetto:

      Sorry aber Sie suchen die Verantwortung bei der falschen Partei/Bevölkerung.

       

      Zudem: Wozu soll Empathie für Nachbarn aufgebracht werden, die sich schon selbst mehr als nötig im Weg stehen, für eine progressive Geselslchaftsentwicklung und aus ungeklärten Gründen immer wieder in überkommene Verhaltensweise zurückfallen.

       

      NB: Die Masse der Luftschläge ist militärisch und kriegsvölkerrechtlich nicht zu beanstanden.

      • @KarlM:

        "NB: Die Masse der Luftschläge ist militärisch und kriegsvölkerrechtlich nicht zu beanstanden."

        Dass das "militärisch" nicht zu beanstanden ist, ist eine grandiose Aussage. Natürlich ist die Überwältigung eines Feindes mit maßlosem Bombardement militärisch nicht zu beanstanden. Mein Güte!

        Aber: Was ist denn Kriegsvölkerrecht?? Völkerrecht unter den Bedingungen des Krieges? Internationales Kriegsrecht?

        • @Karl Kraus:

          Kriegsvölkerrecht bezieht sich auf die Genfer Abkommen von 1949:

          http://www.humanrights.ch/de/internationale-menschenrechte/humanitaeres-voelkerrecht/genfer-abkommen/

           

          Daraus ergibt sich, mit ein wenig militärischem Grundwissen, das die von Ihnen kritisierte Fälle werder "Flächenbombardement" noch gar "maßlos" waren. Dabei gilt, das wenn Zivilisten gefährdet werden immer das "mildeste Erfolg versprechende Mittel" eingesetzt werden soll und das die Flächen zwischen militärischen Zielen nicht unterschiedslos zu beschießen sind...

          • @KarlM:

            Ihr "militärischem Grundwissen" ist nichts anders als ein moralische Armutszeugnis. Im übrigen, ihr Urteil über was die IDF im Gaza 2014 gemacht oder nicht gemacht hat, "militärisch" deckt sich nicht überein mit Berichte der U.N. und von IDF Soldaten selber:

            z.B.

            "The soldiers described reducing Gaza neighborhoods to sand, firing artillery at random houses to avenge fallen comrades, shooting at innocent civilians because they were bored " http://tinyurl.com/q26bz64

            oder: http://www.theguardian.com/world/2014/nov/05/israel-accused-war-crimes-gaza--amnesty-international

            • @Ninetto:

              Danke! Technische Sprache und sogenanntes Wissen können genauso zur Verschleierung herangezogen werden wie der größte Schwampf...

  • Ist es so schwierig Einwanderer, Flüchtlinge und Asylanten sprachlich sauber zu verwenden?

    • @KarlM:

      nachdem die vielfalt in der sprache geklärt ist - wofür+gegen wen+was möchten Sie die leutz denn "sauber verwenden"?

    • @KarlM:

      meinen Sie mit asylanten zufällig asylberechtigte und anerkannte flüchtlinge im sinne der GFK?

      dann sagen Sie das bitte auch!

      und wenn Sie die nicht meinen, dann hätten wir für asylanten auch noch asylsuchende im angebot.

      • @christine rölke-sommer:

        Und subsidiär Schutzberechtigte hab ich auch noch vergessen.

      • @christine rölke-sommer:

        Ups, danke für die Ergänzung.