Datenschützer über Seehofer-Vorstoß: „Ungerechtfertigte Stigmatisierung“

Innenminister Horst Seehofer will Daten von Extremisten 25 Jahre lang speichern. Datenschützer Ulrich Kelber über den Fall Lübcke, Extremisten und Löschfristen.

Ein Schlüssel steckt in einem Aktenkoffer

Wie lange Daten auch gespeichert werden – eines sollte in jedem Fall stimmen: die Verschlüsselung Foto: dpa

taz: Herr Kelber, Innenminister Seehofer prüft, ob die Löschfrist bei Daten von Extremisten von 10 auf 25 Jahre verlängert werden soll. Anlass ist der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die Verfassungsschutz-Akte des mutmaßlichen Täters war zum Tatzeitpunkt schon ausgesondert und nur zufällig noch greifbar.

Ein einziger Fall kann nicht unbedingt rechtfertigen, dass sehr viele Personen künftig länger gespeichert werden. Es müsste schon dargelegt werden, dass es ein Muster gibt, scheinbar ein bürgerliches Leben anzufangen, um dann mehr als zehn Jahre später überraschend zuzuschlagen.

Der Fall genügt Ihnen nicht?

Er genügt schon deshalb nicht, weil noch völlig unklar ist, ob die Ermittlungen ohne Kenntnis der Verfassungsschutz-Akte tatsächlich verzögert oder behindert gewesen wären. Zudem verlangen die datenschutzrechtlichen Vorschriften nicht automatisch eine Löschung, sondern nur die Prüfung, ob die Daten noch benötigt werden. Wenn es gute Gründe gibt, personenbezogene Daten nicht zu löschen, dann müssen sie nicht gelöscht werden. Zwar wird immer von „Löschfristen“ gesprochen, in Wirklichkeit sind das aber Prüffristen.

Sie sind skeptisch, dass die Behörden gründlich gearbeitet haben?

Wenn ein Rechtsextremist, der als hochgradig gewaltbereit bekannt war, einen politischen Mord begeht, fällt es schwer zu glauben, dass er in der Zwischenzeit jahrelang ein völlig harmloses Leben geführt hat. Hat es da wirklich keine auffälligen Vorfälle gegeben? Statt immer wieder die Gesetze zu verschärfen, sollten die politisch Verantwortlichen lieber sorgfältig analysieren, ob die Behörden richtig aufgestellt sind, um diese extremistischen Betätigungen zu erkennen und die gespeicherten Erkenntnisse damit zu aktualisieren.

Fordern Sie damit nicht indirekt eine lückenlose Überwachung von Extremisten?

Natürlich nicht. Aber ich warne – auch im Interesse der Sicherheit – durchaus vor einer Verlängerung der Prüffristen. Wenn Informationen über eine Person 25 Jahre lang gespeichert werden können, ohne dass etwas Neues hinzukommen muss, dann besteht doch die Gefahr, dass sich niemand um diese Person kümmert und sie in Vergessenheit gerät. Besser wäre es, alle fünf oder zehn Jahre zu prüfen, ob noch Grund zur Speicherung besteht. Dann verliert man die Leute auch nicht aus den Augen.

Mag sein. Aber schadet es?

Je älter Daten sind, desto weniger valide sind sie. Nehmen wir einen jungen Mann, der sich als Kleinkrimineller im Umfeld der Organisierten Kriminalität bewegte. 20 Jahre später gerät er nach einer Straftat in Verdacht. Die Polizei freut sich über den Treffer in der Datenbank und ermittelt in Richtung organisierte Kriminalität – dabei ist der Mann längst Rechtsextremist oder Islamist. Veraltete Daten können die Behörden also durchaus in die Irre führen.

ist seit Januar Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Vorher war der 51-Jährige parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium und seit 2000 Bundestagsabgeordneter der SPD.

Was ist mit den Betroffenen?

Hier droht die Gefahr einer ungerechtfertigten Stigmatisierung. Die Einstufung als Verfassungsfeind ist ein schwerwiegender Grundrechts­eingriff. Dies gilt erst recht, wenn Informationen 25 Jahre lang gespeichert werden können, obwohl keine neue Erkenntnis hinzukommt. Da werden auch kleinere Sünden der Vergangenheit konserviert, obwohl der Betroffene diese Phase vielleicht längst überwunden und hinter sich gelassen hat. Oft werden ja nicht einmal bewiesene Taten gespeichert, sondern nur Verdachtsmomente.

Wen stört es, wenn so etwas in einer Datei steht, die außer den Sicherheitsbehörden keiner sieht?

So banal ist das nicht. Jede Speicherung hat potenzielle Folgen. Wenn die Daten keine Auswirkungen hätten, gäbe es ja auch keinen Grund, sie in einer Datei zu speichern. Zudem fragen immer wieder Stellen beim Verfassungsschutz nach, ob etwas gegen eine Person vorliegt. Etwa wenn jemand eine Arbeit aufnehmen will, bei der eine Sicherheitsüberprüfung vorgeschrieben ist. Da können veraltete Informationen Lebenschancen verbauen.

Sie haben Anfang des Jahres ein Moratorium für neue Sicherheitsgesetze gefordert. Wäre die Verlängerung der Löschfristen ein Fall für dieses Moratorium?

Absolut! Falls Prüffristen verlängert werden sollen, obwohl kürzere Fristen genügen oder sogar effi­zienter sind, dann ist das nicht nur politisch bedenklich, sondern auch rechtlich relevant. Dadurch würde eine Verschärfung unverhältnismäßig und somit verfassungswidrig.

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