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Datenmissbrauch im Bremer AmateurfußballWenn das Ausländeramt die Mannschaft aufstellt

Aus dem Migrationsamt und der Polizei in Bremen wurden offenbar Aufenthaltsdaten von Spielern durchgestochen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Ehrgeiziger Klub: 2018 scheiterte der Brinkumer SV in der Aufstiegsrunde zur Regionalliga Nord nur knapp am VfL Oldenburg Foto: foto2press/Imago

Bremen taz | Im Bremer Amateurfußball haben Funktionäre möglicherweise ihren Zugriff zu sensiblen Daten missbraucht. Sie sollen Informationen über den Aufenthaltsstatus von Spielern in ihre Fußballämter weitergetragen haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen möglicher Verletzung von Dienstgeheimnissen, wie sie dem Weser-Kurier bestätigte.

In den Ermittlungen geht es um zwei Funktionäre des Amateurfußballs: Einer von ihnen war Spielleiter beim Bremer Fußball-Verband (BFV) und hauptberuflich als Polizeibeamter tätig. Ebenfalls ermittelt wird gegen einen Jugendleiter beim Brinkumer SV, der beim Bremer Migrationsamt arbeitet. Nachdem der Weser-Kurier über den Fall berichtet hatte, stellte die Bürgerschaftsfraktion der Linken eine Anfrage an den Bremer Senat, der nun darauf geantwortet hat. Die Linke sieht in dem Fall ein rassistisch motiviertes Vorgehen.

Die Ermittlungen zu dem Fall laufen bereits seit über einem Jahr. Betroffene Spieler hatten Anzeige erstattet. Im November 2023 sollte das Verfahren bereits eingestellt werden. Die Leitung des Migrationsamtes forderte jedoch in einer Stellungnahme weitere Ermittlungen, wie aus der Antwort des Senats hervorgeht. Dort heißt es, „dass die beabsichtigte Verfahrenseinstellung für nicht sachgerecht bzw. verfrüht gehalten wird“, insbesondere „aufgrund neu bekannt gewordenen Aussagen aus der Ermittlungsakte“. Bis spätestens Ende des ersten Quartals 2025 soll das Verfahren abgeschlossen sein.

Die Vorfälle, die Anlass der Ermittlungen sind, haben sich im März 2023 rund um ein Spiel der Bremer Oberliga ereignet. Der SV Hemelingen gewann gegen den Brinkumer SV mit 2:1. Vor und nach dem Spiel kontrollierte die Polizei den Aufenthaltsstatus ausländischer Spieler des SV Hemelingen. Auch Vertreter des BFV und des Brinkumer SV mischten sich schnell ein.

Anfrage vom Verband nur wenige Stunden nach Razzia

Günter Tuncel, Trainer des SV Hemelingen gibt den Vorfall wie folgt wieder: Zwei Tage vor dem Spiel im März habe es eine Hausdurchsuchung bei einem seiner Spieler gegeben. Gegen den Spieler, einen Russen, wurde dabei eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf illegalen Aufenthalt gestellt. In der Antwort des Bremer Senats heißt es, dies sei zufällig bei der Hausuntersuchung aufgefallen, bei der es eigentlich um einen anderen Mitbewohner gegangen sei.

Nur ein paar Stunden nach der Kontrolle erhielt der Hemelinger SV eine E-Mail vom BFV mit der Anforderung, alle Unterlagen zu diesem Spieler binnen 24 Stunden einzureichen. „Wie kann es sein, dass der BFV direkt nach der Polizeikontrolle nach Unterlagen zu dem Spieler fragt?“, fragt sich Günter Tuncel. „Der Informationsfluss von der Polizei zum BFV war merkwürdig.“

Nach der Niederlage legte der Brinkumer SV Protest beim BFV ein. Der Vorwurf: Mehrere Spieler des SV Hemelingen hätten ohne gültigen Aufenthaltstitel gespielt und seien somit nicht spielberechtigt gewesen. In der Folge wurden insgesamt 26 Spieler aus verschiedenen Vereinen aufgrund fehlender Aufenthaltstitel vorübergehend gesperrt.

Später stellte sich heraus, dass der Mitarbeiter des BFV, der die Mail an die Hemelinger abgesendet hatte, gleichzeitig Polizist war. Nach Angaben des Weser-Kurier hatte er außerdem einen Tag nach dem Spiel den Aufenthaltsstatus von russischen und drei weiteren Spielern in einem Telefonat beim Migrationsamt angefragt. Der Auskunft gebende Mitarbeiter des Migrationsamtes war gleichzeitig Funktionär beim Brinkumer SV. Für Günter Tuncel ist der Fall klar: „Das ist Amtsmissbrauch.“

Der Trainer wirft dem Brinkumer SV vor, den Protest nur eingelegt zu haben, um rückwirkend Punkte aus dem Spiel zu erhalten: „Es ging um den Abstieg. Sie brauchten die Punkte dringend.“ Laut den damals geltenden Statuten des Landesverbandes durften Nicht-EU-Bürger nur mit einem gültigen Aufenthaltstitel spielen.

Der Brinkumer SV weist diese Vorwürfe zurück: „Es ging uns darum, dass alle nach den gleichen Statuten spielen“, sagt Abteilungsleiter Jörg Bender. „Es gab Spieler, die wir leistungsmäßig auch gerne gehabt hätten, aber aufgrund des fehlenden Titels wegschicken mussten.“ Einige der Spieler, die sie weggeschickt hatten, hätten nun im gegnerischen Team gespielt. „Bei Spielern aus zum Beispiel Japan weiß man eben, dass sie keine EU-Bürger sind“, sagt Bender. „Dazu braucht man kein Datensystem.“ Er wirft dem SV Hemelingen vor, die Unterlagen zu ihren ausländischen Spielern gefälscht zu haben, um Spielberechtigungen zu erhalten.

Mittlerweile geht Kicken ohne Aufenthaltstitel

Hemelingens Trainer Tuncel bestreitet das. Man habe gar nicht gewusst, dass dafür ein Aufenthaltstitel nötig ist, und vom BFV für die Spieler grünes Licht bekommen. Der BFV teilt auf taz-Anfrage mit, er prüfe die Unterlagen der Spieler nur stichprobenartig.

Nach dem Protest des Brinkumer SV hat der Fußballverband jedoch seine Satzung geändert. Er war ohnehin einer der letzten Verbände, die den Aufenthaltsstatus zur Voraussetzung für die Spielgenehmigung machten. Jörg Bender kritisert, dass der BFV nicht früher gehandelt hat und es dadurch überhaupt zum Brinkumer Protest habe kommen müssen.

Obwohl das Migrationsamt auf die Fortführung der Ermittlungen bestand, ist der betroffene Mitarbeiter weiterhin in seiner Position tätig und hat auch weiterhin Zugriff auf sensible Daten. Es gelte die Unschuldsvermutung, teilt das Amt mit. Auch seine ehrenamtliche Funktion im Brinkumer SV als Jugendleiter führt er fort. „Wir stehen zu 100 Prozent hinter unserem Mitarbeiter“, betont Jörg Bender. Der BFV-Mitarbeiter, der ebenfalls im Fokus der Ermittlungen steht, ist inzwischen bei der Polizei pensioniert, aber weiterhin in beratender Funktion für den BFV aktiv.

Cindi Tuncel von der Linksfraktion kritisiert das: „Natürlich gilt die Unschuldsvermutung, aber kann diese Person nicht vorübergehend in eine Position versetzt werden, in der sie keinen Zugriff auf sensible Daten hat?“ Die Linke warnt, der Fall gefährde das Vertrauen in die Behörden und habe erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Spieler. „Man muss sich mal in die Lage der Spieler versetzen“, sagt Günter Tuncel. „Die hatten total Angst, abgeschoben zu werden. Manche von ihnen haben seitdem weiterhin Angst zu spielen.“

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2 Kommentare

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  • In Thüringen undenkbar. Also, dass dort ermittelt würde.

  • Super, wie sympathisch der Brinkumer SV da rüberkommt... nicht. Naja, gibt ja auch Aussagen von ehemals Hauptamtlichen dort, die ein Klima von ausgeprägtem Neid und Missgunst nach innen wie außen beschreiben, würde schon alles zusammenpassen. Aber natürlich: erstmal die Untersuchungsergebnisse abwarten.