: Das letzte Mal in der Tiefe
Steigt die Erderwärmung auf 2 Grad über dem bisherigen Durchschnitt, werden alle Korallenriffe sterben. Touristischer Tauchsport könnte damit zu Ende sein
Von Alina Schwermer
Korallenriffe leuchten wie Fantasiegebilde. In Knallrosa, Gelb, Lila oder tiefem Rubinrot ruhen sie in der leichten Strömung des Meeres. Ein Anblick, so schön, dass er Tauchende aus der ganzen Welt anzieht. Doch die Korallenriffe sterben und das in einem dramatischen Tempo.
Sabine Schmidt beobachtet diese Entwicklung seit Jahren. Die zertifizierte Tauchlehrerin und Forschungstaucherin aus Leipzig erinnert sich, wie sie während eines Auslandsjahres in Mexiko zum ersten Mal feststellte, wie zerstört die Korallenriffe eigentlich sind. „Der normale Taucher denkt: Ach toll, da sind ja Korallenblöcke und Fische. Ich war darauf geschult, zu sehen, dass 95 Prozent des Riffs tot waren.“
Denn die Lage der Riffe ist durch die Erderhitzung dramatisch. Laut Max-Planck-Gesellschaft werden bei den bald erreichten 1,5 Grad Erderhitzung 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe sterben, bei zwei Grad nahezu alle. Touristischer Tauchsport könnte damit, ähnlich wie der Skisport, zumindest in Teilen vor dem Ende stehen.
Und die Krux: Tauchende treiben die Zerstörung mit voran. Der wichtigste Faktor dabei: Emissionen. Sehr gern wird in dieser Branche geflogen, zu den berühmten Spots ans Rote Meer, nach Mexiko oder Südostasien. Korallen sehen und auf dem Weg ihren Niedergang anheizen? Oft kein Widerspruch. Ein weiterer Faktor ist der Urlaub selbst, der mit Hotelkomplexen, Abwässern, Plastikmüll oder dem Fischkonsum im Restaurant selten nachhaltig ist. Und drittens gibt es einen direkten Einfluss: Indem Tauchende Korallen abbrechen, Sedimente aufwirbeln, Fische beeinflussen oder mit Sonnencreme das Meer verschmutzen. In Studien sind stark geschädigte Riffe mit höheren Besuchszahlen assoziiert. Öko-Tauchen, geht das?
Sabine Schmidt ist davon überzeugt. 2021 hat sie in Leipzig die Tauchschule „Just Leave Bubbles“ gegründet, eine zertifizierte Öko-Tauchschule. Diese erfüllt die recht anspruchsvollen Kriterien der Nachhaltigkeitsinitiative Green Fins und war nach eigenen Angaben eine der ersten deutschen Tauchschulen, die von der weltgrößten Tauchausbildungsorganisation Padi als Eco Center zertifiziert wurde.
Verpflichtend lernt man einfache Maßnahmen zum Schutz der Meere: Zum Beispiel, dass man den Froschbeinschlag statt des Hoch-runter-Schlages anwendet, um Korallen nicht zu treffen. Oder auf Sonnencreme zu verzichten und auf die richtige Bleimenge und Tarierung zu achten, also die Art, das Gleichgewicht im Wasser zu halten, um wenig Grund aufzuwirbeln. Ein Teil der Einnahmen geht laut Schmidt an Umweltorganisationen. Außerdem organisiert „Just Leave Bubbles“ viele Clean-up-Events, wo Müll aus dem Wasser geholt wird und Aufklärung betrieben. Schmidt beteiligt sich auch an einem Umwelttag für Kinder und Kurse zu Meerestieren. Oft gingen solche lokalen Initiativen von engagierten Tauchbasen selbst aus, sagt sie.
Ist das ein Zeichen dafür, dass sich gerade etwas ändert in der Branche? „Man merkt gerade bei der jüngeren Generation unter 35 Jahren, dass die ein ganz anderes Bewusstsein und Engagement hat.“ Hersteller produzieren vermehrt recyceltes Equipment, große Tauchorganisationen haben jetzt Umweltsiegel. Allerdings seien die geforderten Maßnahmen teils sehr gering, so Schmidt. „Dadurch wird es der breiten Masse zugänglicher, aber für Kunden schwerer zu sehen, wie nachhaltig eine Basis mit Siegel wirklich ist.“
Außerdem gebe es unter Tauchschulen viel Greenwashing. Schmidt sähe daher gern Abstufungen bei den Siegeln. Zudem könne es helfen, Tauchschulen stärkere staatliche oder verbandliche Verpflichtungen aufzuerlegen. Letztlich spiele das Thema Nachhaltigkeit bei vielen Tauchtourist:innen keine große Rolle. „Da gehen die Diskussionen eher darum: Wo warst du schon? Was hast du schon Tolles gesehen?“ Und seit der Pandemie höre sie oft das Argument, man wolle sich nicht noch mehr verbieten lassen.
Rund eine halbe Million Aktive zählt der Tauchsport-Industrieverband (TIV) in Deutschland. Der Sport ist auch finanziell enorm einflussreich; in Mexiko etwa generiert Tauchsport mit bis zu 700 Millionen US-Dollar jährlich so viel wie die mexikanische Fischfangindustrie. Vor allem in den letzten 30 Jahren ist das Tauchen von der Nische zum Massenphänomen geworden. Zugleich ist der schädliche Einfluss des Tauchens verhältnismäßig gering und leicht regulierbar. Eine Überblicksstudie von 2024 stellte etwa fest, dass ein ökologisches Briefing Kontakte mit dem Riff um bis zu 80 Prozent reduzieren konnte. Gerade in der Praxis vor Ort lässt sich also mit Bildung viel tun. Zunehmend wichtig werden auch Besuchsobergrenzen und eingeteilte Zonen, um Besuchsströme besser zu verteilen.
Konsequent praktizieren das etwa Thailand oder die Galapagosinseln, wo Meeresschutzgebiete trotz finanzieller Einbußen regelmäßig über Monate geschlossen bleiben oder strikte Obergrenzen angewandt werden. Tauchende können die Pflege der Riffe sogar unterstützen, so wie etwa in Malaysia, wo Freiwillige den Gesundheitszustand von Riffen dokumentierten. Den Behörden fehlte dafür Personal und Geld.
Trotzdem birgt das Tauchen, ähnlich wie der Angel- oder der Wintersport, einen Selbstwiderspruch. Man sieht sich als Schützer:innen der Natur, schließlich bewundert und pflegt man sie mit Clean-up-Aktionen sogar, trägt aber zugleich direkt zu deren Schädigung bei. Das größte Problem ist das Fliegen. Das Tauchen im Roten Meer oder vor der mexikanischen Küste sei nun mal nicht mit einem deutschen See zu vergleichen, so Sabine Schmidt: „Klar kann man sagen, man taucht nur noch in Deutschland. Aber ich kann jeden Taucher verstehen, der sagt: Ich möchte mal Haie, Mantas oder Walhaie sehen.“ Sie selbst versuche, Emissionen zu kompensieren und Fernreisen möglichst auf ein oder zwei Monate auszudehnen, statt für zwei Wochen auf die Philippinen zu fliegen. Viele können sich Letzteres wegen der Lohnarbeit allerdings nicht erlauben.
„Die Flugreisen müssen teurer werden“, fordert daher Philipp Kanstinger. Er ist Meeresbiologe beim WWF und selbst Taucher. „Der CO2-Schaden muss endlich eingepreist werden. Man sollte sich als Taucher auch klar bewusst sein, dass man sich eine Flugreise nur alle paar Jahre mal erlauben kann. Sonst wird so viel CO2 freigesetzt, dass die Korallen keine Zukunft haben.“ Die Verantwortung müsse aber vor allem in Politik und Wirtschaft übernommen werden. Ein Problem mit dem Meeresschutz vor Ort sei, dass Tauchen als teurer Sport mit wohlhabender Klientel in vielen Ländern eine Sonderbehandlung genieße. „Länder brauchen eine gute eigene Kapazität, um Gesetze zum Meeresschutz durchzuhalten und Patrouillen zu machen. In vielen Staaten wird aber nicht genau geguckt, weil durch die Taucher Geld ins Land kommt.“ Nichtsdestotrotz weist auch Kanstinger darauf hin, dass global – verglichen etwa mit Fischerei, Überdüngung und Erhitzung – der Einfluss des Tauchsports auf das Korallensterben gering sei. Er sieht sie sogar als willkommene Multiplikatoren, die Familie und Befreundete von der Schönheit der Meere berichteten.
Der Meeresbiologe erlebt zumindest unter erfahrenen Taucher:innen ein überdurchschnittliches Umweltbewusstsein. „Die meisten fühlen sich eng mit der Unterwasserwelt verbunden, viele sind auch privat in Umweltbewegungen engagiert. Eben, weil sie viel bewusster erleben, wie schlimm es gerade aussieht.“ Die letzten beiden Jahre seien durch die Massenbleiche katastrophal gewesen. „Wir haben bereits 50 Prozent aller tropischen Korallen verloren. In naher Zukunft könnten bis zu 90 Prozent absterben. “
Philipp Kanstinger stellt eine düstere Prognose: „Wir haben die 1,5 Grad letztes Jahr schon kurzzeitig überschritten. Für einen Großteil der Korallen sieht es sehr schlecht aus. Wir müssen daher alles tun, um wenigstens einen kleinen Teil zu retten.“
Was heißt all das für den Tauchsport? Schon in den letzten Jahren hat die deutsche Tauchtourismus-Branche Turbulenzen erlebt. Der Tauchsport-Industrieverband TIV nennt die Pandemie, die gestiegenen Kosten für Fernreisen und die weltweiten politischen Unruhen als Gründe. Eine große Gruppe wende sich nun zunehmend dem Kaltwassertauchen zu.
Kanstinger erlebt das eher als Nische. Er glaubt, dass weiter vorwiegend im Warmwasser getaucht werden wird – zugespitzt auf die wenigen Destinationen, wo es dann noch Korallen gibt. „Im Roten Meer, wo die Korallen wahrscheinlich erst relativ spät absterben, wird der touristische Druck nochmal steigen.“ Auch gebe es einen großen Trend hin zu künstlich angelegten Korallengärten. Die seien nichts Schlechtes, aber im Vergleich zum riesigen echten Ökosystem „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Und er sieht: Gewöhnung.
Der Forscher glaubt nicht daran, dass der Warmwasser-Tauchsport mit dem Ende der Korallen stirbt. Im vergangenen Jahr sei er zu einem berühmten Tauchspot in Sri Lanka gereist, das ganze Riff war tot. Er selbst, der noch alte Aufnahmen kannte, habe geheult vor Entsetzen. Aber die Tauchtourist:innen dort, denen habe es gefallen. Kanstinger nennt das Phänomen „shifting baselines“, also eine Verschiebung der Grundlinien. „Wenn man nicht weiß, wie es früher aussah, sieht es immer noch gut aus. Menschen sind sehr adaptiv und verlieren traditionelles Wissen schnell. Es weiß auch heute keiner mehr, dass die Ostsee vor hundert Jahren ein klares Meer war und nicht diese grüne Brühe. Diese Sachen verschwinden aus dem Bewusstsein.“ Und dann taucht man vielleicht gut gelaunt um die Skelette von einst.
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