Das Reißen des 1,5-Grad Ziels: Es braucht einen Klimakanzler
Die 1,5-Grad-Grenze galt immer als Sicherheitsabstand. Dieses Jahr wird die Grenze erstmals überschritten und im Wahlkampf fröhlich ignoriert.
D as Jahr 2024 ist das erste über 1,5 Grad. Das ist zu 95 Prozent sicher, meldet das europäische Erdbeobachtungsinstitut Copernicus. Damit ist das 2015 in Paris vereinbarte Ziel nicht gebrochen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – das gilt für längerfristige Durchschnittswerte. Aber es bedeutet, dass die Erde Kipppunkten immer näherkommt, die Teile des Erdsystems unwiderbringlich verändern werden.
Die 1,5-Grad-Grenze galt dafür als Sicherheitsabstand. Deswegen ist eigentlich jeder Euro, der in Klimaschutz gesteckt wird, gut angelegt. Aber im deutschen Wahlkampf spielt das Thema keine Rolle.
Dabei müsste Deutschland Rekordsummen in den Klimaschutz investieren, um seinen gerechten Beitrag beim Kampf gegen die Erderhitzung zu leisten.
Das bleibt wichtig, egal ob die Erde 1,5 oder 2,2 Grad heißer ist als vor der Industrialisierung: Forscher*innen wissen schlicht nicht genau, wann die Atlantische Umwälzzirkulation und der dazugehörige Golfstrom kollabieren oder wann der Amazonas nicht mehr zu retten ist.
Kipppunkte sind keine Ausrede
Das ist gruselig, denn womöglich ist es für einen oder mehrere dieser Kipppunkte schon zu spät. Aber vielleicht kollabieren sie auch später. Da wäre es schön doof, wenn wir jetzt den Kopf in den Sand stecken und deswegen die Kipppunkte überschreiten.
Außerdem werden Wetterextreme und Naturkatastrophen mit jedem Hundertstelgrad Erderhitzung wahrscheinlicher. Selbst ohne die drohenden Kipppunkte würde sich Klimaschutz also lohnen. Da waren sich die großen Parteien 2021 bereits einig.
Keiner will mehr Klimakanzler sein
Zur Erinnerung: Im Gegensatz zum aktuellen Wahlkampf behaupteten damals alle Kandidat*innen, Klimakanzler*in werden zu wollen.
Damals töteten auch vom Klimawandel verursachte Fluten im Ahrtal mehr als 180 Menschen. Es war die teuerste Naturkatastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik, kostete vierzig Milliarden Euro.
Die Erderhitzung betrug 2021 nur 1,1 Grad. Eine Katastrophe wie im Ahrtal ist heute also wahrscheinlicher als damals. Ob sie wollen oder nicht: Dieser Realität müssen sich die Wahlkämpfer*innen im Jahr 2024 stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“