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Das Reißen des 1,5-Grad ZielsEs braucht einen Klimakanzler

Jonas Waack
Kommentar von Jonas Waack

Die 1,5-Grad-Grenze galt immer als Sicherheitsabstand. Dieses Jahr wird die Grenze erstmals überschritten und im Wahlkampf fröhlich ignoriert.

Flutkatastrophen, wie hier im Ahrtal, 2021, werden auch in Deutschland immer wahrscheinlicher Foto: Christoph Hardt/imago

D as Jahr 2024 ist das erste über 1,5 Grad. Das ist zu 95 Prozent sicher, meldet das europäische Erdbeobachtungsinstitut Copernicus. Damit ist das 2015 in Paris vereinbarte Ziel nicht gebrochen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – das gilt für längerfristige Durchschnittswerte. Aber es bedeutet, dass die Erde Kipppunkten immer näherkommt, die Teile des Erdsystems unwiderbringlich verändern werden.

Die 1,5-Grad-Grenze galt dafür als Sicherheitsabstand. Deswegen ist eigentlich jeder Euro, der in Klimaschutz gesteckt wird, gut angelegt. Aber im deutschen Wahlkampf spielt das Thema keine Rolle.

Dabei müsste Deutschland Rekordsummen in den Klimaschutz investieren, um seinen gerechten Beitrag beim Kampf gegen die Erderhitzung zu leisten.

Das bleibt wichtig, egal ob die Erde 1,5 oder 2,2 Grad heißer ist als vor der Industrialisierung: For­sche­r*in­nen wissen schlicht nicht genau, wann die Atlantische Umwälzzirkulation und der dazugehörige Golfstrom kollabieren oder wann der Amazonas nicht mehr zu retten ist.

Kipppunkte sind keine Ausrede

Das ist gruselig, denn womöglich ist es für einen oder mehrere dieser Kipppunkte schon zu spät. Aber vielleicht kollabieren sie auch später. Da wäre es schön doof, wenn wir jetzt den Kopf in den Sand stecken und deswegen die Kipppunkte überschreiten.

Außerdem werden Wetterextreme und Naturkatastrophen mit jedem Hundertstelgrad Erderhitzung wahrscheinlicher. Selbst ohne die drohenden Kipppunkte würde sich Klimaschutz also lohnen. Da waren sich die großen Parteien 2021 bereits einig.

Keiner will mehr Klimakanzler sein

Zur Erinnerung: Im Gegensatz zum aktuellen Wahlkampf behaupteten damals alle Kan­di­da­t*in­nen, Kli­ma­kanz­le­r*in werden zu wollen.

Damals töteten auch vom Klimawandel verursachte Fluten im Ahrtal mehr als 180 Menschen. Es war die teuerste Naturkatastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik, kostete vierzig Milliarden Euro.

Die Erderhitzung betrug 2021 nur 1,1 Grad. Eine Katastrophe wie im Ahrtal ist heute also wahrscheinlicher als damals. Ob sie wollen oder nicht: Dieser Realität müssen sich die Wahl­kämp­fe­r*in­nen im Jahr 2024 stellen.

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Jonas Waack
Klima-Redakteur
Jahrgang 1999, zuständig für Klima-Themen im Ressort Wirtschaft und Umwelt. Stadtkind aus Mecklenburg, möchte auch sonst Widersprüche vereinbaren. Bittet um Warnung per Mail, falls er zu sehr wie ein Hippie klingt.
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9 Kommentare

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  • Na, man muss ja auch träumen dürfen. Die Klimafrage, die eine Frage der Existenzbedingung der menschl. Zivilisation ist, hat schon bei den US-Wahlen keine Rolle gespielt, sie wird auch bei dieser BTW nur dann eine Rolle spielen, wenn ncoh rechtzeitig vor der Wahl ein Extremwetterereignis ein paar Dutzend Opfer fordern wird.



    Das wird (hoffentlich für die potentiellen Opfer) nicht geschehen. Und wie in den USA wird daher hier einer Kanzler, der Klimathemen weit in die Zukunft verschieben will und wird.



    Also "business as usual".

    Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man ... aber sie stirbt.

  • Selbst ein Klimakanzler, der es ernst meint mit dem Klimaschutz, wird es nicht schaffen in einer Gesellschaft, die Klimaschutz nur theoretisch gut findet. Ernsthafter Klimaschutz ist verbunden mit Verzicht und Veränderung, und so wird jede ernsthafte Maßnahme ein Heulen und Zetern auslösen, komplette Abwehr. Das ist bisher so gelaufen und wird auch in Zukunft so sein. Es deutet nichts darauf hin, dass sich etwas ändert. Frustrierend.

  • Das Jahr 2024 ist das erste über 1,5 Grad. Das ist zu 95 Prozent sicher, meldet das europäische Erdbeobachtungsinstitut Copernicus.

    Was hat man sich denn genau unter einem Jahr über 1,5 Grad vorzustellen, und wie kann man dafür eine Wahrscheinlichkeit angeben?

    • @Martin August:

      2024 ist noch nicht vorbei, die Messungen also noch nicht abgeschlossen. Zu 5% könnte es also unter 1.5° bleiben, wenn der Globus in den letzten Wochen kühler wird.

      Was ein Jahr über 1.5° bedeutet, kann man in der Zeitung nachlesen. Hitzewellen, Überschwemmungen, Hurrikane, Dürren, Fluchtbewegungen, tote Fische im Mittelmeer, solche Sachen

  • Mitlerweile bin ich mir recht sicher, das ein Großteil der anwachsenden Menschenfeindlichkeit in dieser Gesellschaft, als Ventil für verdrängte Ängste im Bezug auf Klima, Artensterben und Überalterung fungiert. Sich für das Klima einzusetzen heist nicht gewählt zu werden. Und damit meine ich nicht den Selbstbetrug den die Grünen veranstalten. Alles weiter wie bisher, nur in Grün - voll gegen die Wand.

  • Derzeit gibt es sicher wichtigeres, als Klimaziele. Wie Trump so schön sinngemäß sagte: Wen interessieren 2 Grad in 150 Jahren? Die Globale Erwärmung um 1000 Grad nächstes Jahr durch einen Atomkrieg sollte uns interessieren.

    Recht hat er.

    • @Der Erwin:

      Weil die Erde durch einen Atomkrieg vor die Hunde gehen könnte, machen wir einfach so weiter und lassen die Erde mangels Umweltschutz und Klimazielen vor die Hunde gehen.....das ist keine Argumentation, das ist Wahnsinn

    • @Der Erwin:

      Warum sollte das eine das andere ausschließen. Ist es wirklich nicht möglich, sich um beides zu kümmern (und vielleicht noch um ein paar andere drängende Probleme)?



      Die Folgen der Klimakatastrophe werden so gravierend sein, dass sie so ziemlich alles aus dem Lot bringen können, auch zum Beispiel die Wirtschaft, die bei vielen ja an allererster Stelle steht.

    • @Der Erwin:

      Immer schön ein Thema nach dem anderen nicht wahr?

      Man könnte sich ja überfordern und nach mir die Sintflut