Das Pferdemagazin „Wendy“ wird 30: Das ultimative Kuscheltier
Seit 30 Jahren lesen junge Mädchen die „Wendy“ und träumen von einem abenteuerlichen Leben im Sattel. Warum funktioniert das so gut?
War das Pferd früher das Tier der Könige und Helden, ein Kriegs- oder zumindest Arbeitsgerät, ist es mit der Erfindung des Automobils immer mehr zum Haustier geworden. Hier und da führt es noch Touristen in Kutschen durch die Gegend oder muss stupide im Kreis laufen. Die Pferde heißen aber heute nicht mehr Bukephalos, Nelson und Herodot, sondern Lulu, Splash und Schecky.
Das Tier hat seinen Status verloren. So sehr, dass man in Deutschland ja schon gar nicht mehr Pferd sagen kann, ohne an Lasagne zu denken. Es gibt da natürlich noch den agilen Reitsport, aber abgesehen davon sind Pferde heute hauptsächlich dafür da, gestriegelt, geputzt und an der Longe geführt zu werden – und das vor allem von jungen Mädchen, was psychologisch gesehen zumindest auffällig ist.
Die Wendy-Redaktion in Berlin-Mitte, sozusagen das Mekka aller Pferdemädchen, ist ernüchternd. Keine Strohballen, kein Pferdemist, nicht mal ein Hauch von speckigem Ledersattelgeruch. Hier sieht es einfach aus wie in jeder anderen Redaktion: Teppichboden, Glaswände, Computer.
Immerhin, das kniehohe Plüschpony in der Ecke des Konferenzraumes und die etwa drei Meter hohe Version eines Wendy-Covers an der Wand, das „Haarsträhnchen in zwei Farben“ verspricht, deutet dezent darauf hin, was hier gemacht wird: die erste und in Deutschland beliebteste Zeitschrift für Pferdemädchen. Und die feiert am 3. Juni ihr 30-jähriges Bestehen.
Früher in Erdtönen, heute in Bonbonfarben
160 Millionen Hefte hat man seit der Ersterscheinung gedruckt, heißt es in der Presseaussendung, und der möchte man lieber vertrauen als nachzuzählen. Aus den bodenständigen Erdtönen des Covers der ersten Ausgabe im Jahr 1986 ist heute ein Heft in Bonbonfarben geworden.
„Man muss ja am Kiosk auffallen, denn der Markt ist viel fragmentierter als früher“, sagt Wendy-Redakteurin Kathrin Schwarz. Wendy muss sich heute tatsächlich nicht nur mit dem früheren DDR-Pendant Lissy herumschlagen, sondern auch mit diversen US-Disneyimporten wie „Hannah Montana“ oder „Soy Luna“. „Aber die kommen und gehen, wir bleiben“, sagt Wendy-Redakteur Oliver Krohn.
Kathrin Schwarz, „Wendy“
Krohn ist in seiner Jugend selbst geritten, sagt er, allerdings habe es ihn gelangweilt, davor und danach so viel Zeit im Stall verbringen zu müssen. Die Jubiläumsausgabe zum 30. Geburtstag titelt mit Dorinka aus Schleswig-Holstein – tiefe Brust, üppige Mähne, fliehende Nüsternpartie. Ein Camarguepferd, rassetypisch ein Schimmel.
Als Heftextra gibt es einen „Digi-Friend“, ein digitales Haustier also. Im Heft geht es außerdem um die Pferderasse Tinker. Hauptdarsteller ist Wotan, ein „muskulöses Pferd mit einem freundlichen und genügsamen Wesen“ und Puschelhufen. Außerdem gratulieren Prominente zum Jubiläum, etwa die Springreiterin Janne Meyer oder Schauspielerin Lina Larissa Strahl, bekannt aus den „Bibi und Tina“-Filmen.
Eine Fotolovestory, aber mit Pferden statt Love
Und dann gibt es noch die gute alte Fotolovestory, die im Gegensatz zur Bravo hier aber ziemlich ohne Love auskommt. „Da geht es um Zickenkrieg im Stall oder um den Wunsch, ein Pferd zu haben. Hier und da kommen auch mal Jungs vor, aber altersgerecht geht es hier eher um Pferde“, sagt Kathrin Schwarz. Die sogenannten Friesen mit ihrer langen gewellten Mähne und ihrem glänzend schwarzen Fell sind übrigens der absolute Pferdemädchentraum, sagen die Wendy-RedakteurInnen.
Neben den heiß begehrten Pferdepostern, den Kronjuwelen jeder Raufasertapete, ist aber der Comic das Herzstück des Heftes. Seit 1991 dreht er sich um die Figur Wendy Thorsteeg, die mit ihren Eltern auf dem Gut Rosenberg lebt und mit Freundin Bianca, der Hannoveranerstute Penny und der Pintostute Miss Dixie kleine Abenteuer erlebt, die im Grunde aber immer von zwischenmenschlichen Beziehungen handeln. „Es gibt emotionale Konflikte in den Geschichten, die aber am Ende immer gelöst werden“, erklärt Oliver Krohn die Beliebtheit des Comics, der in Argentinien gezeichnet wird.
Von Menschen und Pferden
Wendy erscheint derzeit im Dreiwochentakt, und die verkaufte Auflage liegt bei rund 55.000 Stück. Die Kernzielgruppe der Zeitschrift besteht aber aus sieben- bis elfjährigen Mädchen, die wie von Natur aus von tiefer Pferdeliebe erfüllt sind. „Wir kriegen natürlich auch Zuschriften von Jungs, sie machen aber nur etwa 4 Prozent der Leserschaft aus“, sagt Nora Gollek, die im Vertrieb und Marketing des Ehapa-Verlages arbeitet, der neben Wendy auch das Lustige Taschenbuch, Micky Maus oder Yps herausgibt.
Die Annahme, dass der Stall einfach ein sozialer Raum ist, den Mädchen in ihrer Freizeit gruppenzwangsartig aufsuchen und wo sie sich so mit dem Pferdevirus infizieren, liegt nahe. Aber Umfragen der Zeitschrift zeigen auch, dass 83 Prozent der LeserInnen gar kein eigenes Pferd haben, sich aber eines wünschen. Es geht also eher darum, eine Art Traumwelt zu bedienen. Aus Verlegersicht eine großartige Nische, zu der man sich gratulieren kann, weil die Zielgruppe quasi von selbst nachwächst, ohne dass man sich bemühen müsste. „Ein Pferd ist anders als andere Haustiere, es ist stark, beschützend und ein Freund“, sagt Redakteurin Kathrin Schwarz.
Eine Beziehung mit Bindungscharakter
Die Sportwissenschaftlerin Helga Adolph und Evolutionspsychologe Harald Euler gehen da noch weiter. Sie schrieben nach einer empirischen Studie im Jahr 1994 von drei Motiven für Pferdeliebe. Eines davon ist das Beziehungsmotiv: „Mädchen und Pferd haben eine Beziehung mit Bindungscharakter. Das Pferd ist zwischen Puppe und Partner das ultimative Kuscheltier, also das größte, schönste und letzte, im Übergang von Herkunftsfamilie zu neuer sexueller Partnerbeziehung.“ Die anderen beiden Motive seien Fürsorge und Abenteuer. Runtergebrochen bedeutet das, dass da erst der Teddy, dann der Hamster, dann das (imaginäre) Pferd ist, bis schließlich so ein pickeliger Junge oder ein grobporiges Mädchen kommt und einem mit Karacho das Herz bricht, dass es nur so knallt.
Aber kein Grund zur Panik. Denn der Wunsch nach einer „Pferdebeziehung“, ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit devotem Verhalten oder gar konservativen Rollenbildern, sondern kann auch für Abnabelung stehen, sagt Redakteurin Kathrin Schwarz, außerdem seien Pferde Tiere, die sehr klar und stark geführt werden müssten.
Die meisten Frauen werden mit der Zeit vom Pferdevirus geheilt, allerdings dürfte ab und zu noch etwas davon aufflackern. Das hat etwa die vergangene Woche gezeigt, als im Netz massig Bilder von Frederik dem Großen geteilt wurden, weil er das „sexiest horse alive“ sei. Muskulös, mit freundlichem Wesen.
Frederik ist natürlich ein Friese, was sonst.
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