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Buch über Bidens vertuschte GesundheitDas Gefühl von Verrat

Das Buch „Hybris“ von Jake Tapper und Alex Thompson schildert, wie Joe Bidens gesundheitlicher Verfall vertuscht wurde. Es ist eine bittere Recherche.

„Sleepy Joe“ konnte einem wirklich leid tun Foto: Evelyn Hockstein/reuters

Das Buch „Hybris“ (dtv, 2025) über den vertuschten und verleugneten gesundheitlichen Niedergang des damaligen US-Präsidenten Joe Biden hat schon für reichlich Diskussion gesorgt, bevor es überhaupt veröffentlicht war. Seine Verfasser, die US-Journalisten Jake Tapper (CNN) und Alex Thompson (axios), sprachen mit mehr als 200 Quellen, bevor sie in einer Art Dokudrama die Geschichte der letzten drei Jahre von Bidens Präsidentschaft so nachzeichneten, als hätten sie bei den vielen Gesprächen und Treffen mit am Tisch gesessen.

Sie beschreiben einen Präsidenten, dessen körperliche und kognitive Fähigkeiten rapide nachlassen, der selbst kurze Grußworte, etwa bei Abendessen mit seinen Spendern, vom Teleprompter abliest, mitunter enge Freunde und Bekannte nicht erkennt, Jahreszahlen, Orte und Ereignisse durcheinanderbringt, kaum einen Gedanken in wenigen Sätzen zu Ende führen kann.

Und der, von seinen engsten Vertrauten immer stärker abgeschirmt, dennoch die verhängnisvolle Entscheidung trifft, für eine weitere Amtszeit kandidieren zu wollen – ein Versuch, der erst dann sein Ende findet, als bei der TV-Debatte mit Donald Trump im Sommer 2024 alle Welt den realen Zustand des Präsidenten zu sehen bekommt. Und der selbst dann noch drei Wochen braucht, um viel zu spät den Weg freizumachen.

Es ist eine spannende, eine traurige, eine dramatische Erzählung, die zu bestätigen scheint, was das republikanische Lager fast die gesamte Amtszeit Bidens über verbreitete: „Sleepy Joe“ kann nicht mehr. Hat Donald Trump aber wirklich deswegen die Wahlen gewonnen? „Hybris“ bewegt sich ausschließlich im politischen Raum und ist doch erstaunlich unpolitisch.

Dennoch: De­mo­kra­t*in­nen werden Tapper/Thompson lesen, und sie werden sich von ihrer eigenen Partei verraten fühlen, in der fast bis zum Schluss niemand den Mut fand, die Wahrheit auszusprechen. Über Donald Trump andererseits gibt es inzwischen mindestens drei Dutzend Enthüllungsbücher, und seine An­hän­ge­r*in­nen lesen sie halt einfach nicht. Auch deshalb können sich die USA derzeit jeden Tag ein Stück weiter in Richtung Faschismus bewegen.

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10 Kommentare

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  • Es ist bitter für jeden Menschen und dafür mein Mitgefühl an Herrn Biden.



    ABER noch ein Buch über die Krankheit und das Siechen?



    Warum? Muss die taz darüber berichten?



    Saure Gurken Zeit?

  • Das ist doch nur ein Scheingefecht im demokratischen Abseits. In der repräsentativen Demokratie geht es darum, dass sich Parteien und ihre Spitzenkräfte als die einzig wirklich Kompetenten StaatslenkerInnen darstellen. Es geht nicht um geringe Unterschiede in den Parteiprogrammen, sondern darum, die eigenen Führungsqualitäten der entsprechenden Unfähigkeit der Konkurrenz gegenüberzustellen. Am Ende wird ja immer mit den gleichen Argumenten regiert: Wirtschaft geht vor Sozialem und Ökologie, Sicherheit und Ordnung, Schutz der repräsentativen Demokratie. Alles zum Wohl der Nation, wobei Staat, Wirtschaft und Gesellschaft einfach mal gleichgesetzt werden.

    Was weder in den USA noch in Deutschland oder anderen repräsentativen Demokratien zur Wahl steht, ist die staatliche, wirtschaftliche und damit auch die soziale Grundordnung. Und so kann es auch nicht verwundern, wenn in Zeiten von aufeinanderfolgenden Krisen (Globalisierung, Umwelt, Krieg, usw.), die elitäre Parteienoligarchie sich tendenziell Richtung autoritären Nationalismus entwickelt.

  • Es ist so schade. Er hätte mit Würde abtreten können, zurückblickend auf eine durchaus erfolgreiche Amtszeit. Er hat viel erreicht; wie in einem anderen Kommentar geschrieben wurde - er und sein Team waren effektiv, zielstrebig und auf einem klaren Kurs. Zuletzt jedoch ging es abwärts. Hätte er sich rechtzeitig darauf festgelegt, es angesichts seines fortgeschrittenen Alters bei einer Amtszeit zu belassen, hätten ihn dafür alle respektiert und die Demokraten hätten Zeit gehabt, jemanden mit mehr Charisma und Zugkraft als die bemühte, aber angestrengte Harris aufzubauen, die nie einen Draht zu den Leuten wie Obama, Bill Clinton, selbst der nach einer Amtszeit abgewählte Jimmy Carter hatte - von JFK ganz zu schweigen. Sie *bemühte sich stets* (wie man in schlechten Arbeitszeugnissen liest), strahlend, visionär, kraftvoll aufzutreten, aber dieses Bemühen war zu erkennbar.

  • Vieles erklärt sich mit der fatalen Auslegung der Goldwater-Regel:



    www.medizin-im-tex...olitiker-aeussern/



    "...stellte die American Psychiatric Association (APA) im Jahr 1973 die „G-Regel“ (Goldwater Rule) auf, die besagt, dass sich Psychotherapeuten nicht über den psychischen Zustand öffentlicher Personen äußern sollten, solange sie sie nicht persönlich untersucht haben. Trump erscheint jedoch vielen Fachleuten so gefährlich, dass sie mit dieser Regel brechen und sich äußern wie z.B. Otto Kernberg am 17.9.2020 auf 3SAT."

    Die Fakten sind bekannt, auch d. Schwächen d. derzeitigen POTUS.

    "Das Fazit der Analysen: Trump sei damals schon mental instabil gewesen. „Unsere Auswertungen zeigten, dass er nicht nur für die Präsidentschaft, sondern für jeden Job untauglich war.” Er sei nicht imstande, rationale Entscheidungen zu treffen und daher keiner Aufgabe gewachsen. Sein Zustand habe sich seitdem weiter verschlechtert, so die Medizinerin im „Express”..."



    Quelle focus.de



    Titel:



    "Geistig nicht mehr fit"*



    "Verwechslungen und Aussetzer: Trumps wirre Fehler sorgen für Spekulationen"



    *Nikki Haley zu Aussetzern

  • Jeder, der schon einmal in einem "Loyalitätsverhältnis" involviert war, kennt dessen Tücken. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, was "Loyalität" im konkreten Fall bedeutet, wie weit das geht darf/muss u.s.w. Dazu kommen einfache Missverständnisse in der Kommunikation, schwierige Charaktere, das (eifersüchtige) Umfeld u.s.f..



    Also dem Zirkel um Hr. Biden dort einen Vorwurf zu machen, fällt doch schwer. Wenn die Situation oder das "Verhältnis" erstmal so verfahren ist, hilft oft nur ein radikaler Schnitt. Vor allem gilt das bei lebenswichtigen Entscheidungen wie einer US-Präsidentenwahl.



    Der radikale Schnitt wäre aber im Zweifel wie ein Aufstand erschienen. Und angesichts eines Gegners, der Aufstände (oder Aufruhr in seinem Sinne) für ein demokratisches Instrument hält, haben/hätten das die Demokraten unter allen Umständen vermieden.



    Das Ende sah dann wie Panik aus, mit einer Kandidatin, deren politische Botschaften sich in der Bewährung als ziemlich fadenscheinig erwiesen.



    Der Rest ist schon Geschichte...

  • Trotz körperlicher und kognitiver Einschränkungen war er besser als das stabile Genie, das nun wieder an der Macht ist.

  • Es ist peinlich für die Demokraten. Die Parteispitze hat falsch entschieden, als sie Biden ein zweites Mal ins Rennen geschickt hat. Eine gravierend falsche Entscheidung. Leider kann man falsch nicht quantifizieren. Das Erwachen in der Partei, wenn es denn überhaupt kommt, kommt zu spät. Diese Entscheidung ein wesentlicher Faktor im Durchzug des Faschismus. Die Konsequenzen muss mehrheitlich die Bevölkerung tragen. Menschen, die ohne ihr Zutun in der Verschuldung, auf der Strasse, in Lagern landen. Biden mag nun ihm hohen Alter an Krebs sterben, die Legacy Media werden ausführlich darüber berichten. Er wird gut versorgt sein, viele Menschen kümmern sich um ihn. Reden wir stattdessen über Abrego Garcia, der in Isolationshaft sitzt. Reden wir über Menschen, die einfach wegen Tattoos abgeschoben werden. „Hybris“ ist ein wichtiges Dokument. Es kommt allerdings zu spät. Nun ist es Zeit, auf die Gegenwart zu schauen.

  • Was bei einigen - Klugscheißern könnte man sie nennen - die hinterher alles besser wissen, oft nicht thematisiert wird: Biden gilt bei Einigen als einer der besten Präsidenten der USA, er hat in den ersten beiden Jahren sehr viel richtig gemacht und nur wenige Monate vor dem desaströsen TV-Duell eine flüssige, richtig gute State of the Union-Rede gehalten. Er hatte also auch seine hellen Momente und ich bin wohl nicht der Einzige, der diese hellen Momente als häufiger eingeschätzt hat als seine Aussetzer. Und gravierende Aussetzer hatte und hat auch Donald Trump, über dessen kognitiven Verfall erstaunlich wenig in der Presse zu lesen war und ist. Es war auch die sich liberal schimpfende Presse, die Trump zum Präsidenten gemacht hat, indem sie dessen Anhänger gewollt oder ungewollt motiviert und Bidens/ Harris Zielgruppen gewollt oder ungewollt demotiviert hat. Trump hatte weniger Wähler als 2020 und Harris sehr viel weniger Wähler als Biden 2020.

  • Das echte Problem war doch nicht Biden sondern Harris.



    Wenn man sich ganz an den Anfang zurückerinnert, dann wurde beim Amtsantritt Bidens bei der Wahl seines Vizes damals schon öffentlich ein großes Augenmerk darauf gelegt wen er bestimmt, weil es als durchaus möglich erachtet wurde, dass er sein Amt eventuell übergeben müsse im Lauf der Periode. Biden selbst und die Demokraten hatten überhaupt kein Problem, regten eher selbst Medienberichte darüber an.



    Jedoch bemerkte man im Laufe der Zeit, dass Harris die Schuhe mindestens zwei Nummern zu groß waren.



    Hinzu kam sowieso ihre umstrittene Position von Anfang an - schwarz, Frau und zu allem Übel auch noch links - selbst viele Demokraten sträubten sich gegen die Idee Harris könne Präsidentin werden...



    Und so verstummte die Idee und Biden galt, je länger im Amt, als alternativlos.



    Man verpasste es überdies, einen Nachfolger in Position zu bringen - was in der Kandidatur Harris' gipfelte...🤷‍♂️



    Für die USA gilt das gleiche wie Europa - das Trump, AfD, Meloni und co jetzt in Amt und Würden sind, dass sie Mehrheiten vereinen, ist nicht ihnen, sondern der Ignoranz, Bräsigkeit und Instinktlosigkeit linker/progressiver Kräfte geschuldet.

  • Kommt in der Politik, und nicht nur dort, häufiger vor, dass Loyalität falsch verstanden und übertrieben wird.



    Ein unangenehmes Thema, denn in Führungskreisen wird Loyalität sehr gerne stark überhöht und überbewertet. Das verhindert regelmäßig erfolgreich die nötige Kritik, die so manchen falschen Kurs verhindern könnte und verhindert hätte.



    Alles nachzulesen in der Geschichte der Menschheit, auch wenn recht häufig nur zwischen den Zeilen!