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DIW-Chef Fratzscher über die EZB-Politik„Hubschraubergeld ist sinnvoll“

Soll die Europäische Zentralbank Geld verschenken, um die Wirtschaft anzukurbeln? Ja, sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher.

Hier fliegt er und Geld soll er abwerfen: der Heli Foto: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Fratzscher, 5.000 Euro als Geschenk für jeden Haushalt von der Europäischen Zentralbank (EZB) – wie aus dem Hubschrauber abgeworfen. Darüber diskutieren Ökonomen. Ist das nicht unrealistisch?

Marcel Fratzscher: Augenblicklich scheint das tatsächlich weit hergeholt. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen. Auf jeden Fall brauchen wir die Debatte darüber. In Deutschland werden neue Gedanken manchmal zu schnell vom Tisch gewischt und als Quatsch bezeichnet. Die Idee des sogenannten helicopter money ist durchaus sinnvoll. Wir müssen offen bleiben und überlegen, wie wir aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise herauskommen.

Auch Ihr Kollege Reint Gropp, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, plädiert für Hubschraubergeld. Was sind Ihre Argumente?

Der Vorschlag ist logisch. Denn in Europa sinken in vielen Branchen und bei zahlreichen Produkten die Preise. Diese Deflation ist schlecht für die Unternehmen, sie nehmen zu wenig Kredite auf und halten sich mit Investitionen zurück. Gleichzeitig leiten die Banken das Geld, das ihnen die EZB zur Verfügung stellt, in zu geringem Maße an die Firmen und die Bürger weiter. Seit der Finanzkrise funktioniert das Banksystem nicht mehr so, wie es soll. Daher kommt die Idee, die Banken zu umgehen und Zentralbankgeld direkt den Bürgern zur Verfügung zu stellen. Die damit finanzierte Nachfrage könnte einen Impuls für höhere Preise und mehr Wachstum darstellen.

dpa
Im Interview: Marcel Fratzscher

44, leitet seit 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Sie sagen, das Bankensystem funktioniere nicht mehr. Was heißt das?

Große Probleme gibt es in Südeuropa, beispielsweise in Italien. Dort sitzen die Banken auf faulen Krediten von mindestens 200 Milliarden Euro. Weil sie weiteres Risiko scheuen, geben die Institute besonders kleinen und mittleren Unternehmen kaum Kredite. Diese beschäftigen aber 70 Prozent der Arbeitnehmer. Die Banken kommen also ihrer ureigensten Aufgabe, wirtschaftliche Aktivitäten zu finanzieren, kaum nach. Und das nährt die Sorge, dass wir über viele Jahre aus der Krise nicht herauskommen und in eine Deflationsspirale hineingeraten könnten.

Das Wirtschaftswachstum in der EU soll dieses Jahr 1,5 Prozent betragen. Ist die Krise wirklich so tief, dass unorthodoxe Maßnahmen wie Verschenken von Zentralbankgeld gerechtfertigt sind?

Drei bis vier Prozent wären notwendig und auch normal nach einer Finanzkrise, wie wir sie hatten. Und man darf die erträgliche Lage in Deutschland nicht mit der EU insgesamt verwechseln. Die italienische Volkswirtschaft ist heute neun Prozent kleiner als 2008. Die Arbeitslosenquote liegt bei zwölf Prozent.

Hat irgendeine Notenbank die Idee des Hubschraubergeldes schon mal ausprobiert?

Wir reden hier über ein neues Instrument. Aber es wäre nicht das erste Mal während der vergangenen zehn Jahre, dass in der Geld- und Fiskalpolitik Dinge passieren, die man vorher für undenkbar hielt. Um die US-Banken zu stabilisieren, zwang ihnen die dortige Notenbank Staatskapital auf. Ein anderes Beispiel: die negativen Einlagenzinsen der EZB.

Wie würde es in der Praxis ablaufen, wenn die EZB die Bürger mit zusätzlichen Euros versorgte?

Die Notenbank müsste mit den staatlichen Behörden kooperieren. Beispielsweise die Finanzämter könnten die Mittel an die Steuerzahler weiterleiten.

Überschritte die EZB mit den Geschenken nicht ihre Kompetenzen?

Nein, laut ihrem Mandat muss sie Preisstabilität gewährleisten. Dieses Ziel verfehlt sie jedoch zurzeit bei weitem. Sie muss deshalb alle legalen Instrumente nutzen.

Hier und da ist schon die Forderung nach regelmäßigen Geldgeschenken der EZB zu hören – einer Art Grundeinkommen.

Das ist ein Kurzschluss. Hubschraubergeld wäre ein einmaliger geldpolitischer Impuls, keine längerfristige soziale Sicherung.

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9 Kommentare

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  • "Weil sie weiteres Risiko scheuen, geben die Institute besonders kleinen und mittleren Unternehmen kaum Kredite."

     

    Allerdings: Mangels Nachfrage (sinkende Löhne) fragen Unternehmen auch kaum Kredite nach.

  • 3G
    33731 (Profil gelöscht)

    was die zockerbanken knacken wollen sind geldpools wie rentenkassen, arbeitslosenversicherung usw. hubschraubergeld ist nur ein mittel um die fische an die pokertische lenken.

    • @33731 (Profil gelöscht):

      Sorry, den Zusammenhang verstehe ich nicht.

       

      Klar ist, dass Geldanleger (in erster Linie also Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften, aber auch andere) seit einiger Zeit rentable Anlagemöglichkeiten suchen.

      Und nachdem die "unseligen Zwei" (also Bundeskanzler Schröder und Bundesarbeitsminister Riester) die gesetzliche Rentenversicherung teilprivatisiert haben (das Rentenniveau wurde und wird gesenkt, angeblich soll die sogenannte "Riester-Rente" dies ausgleichen), liegt bei den Anleger der Gedanke nahe, Ähnliches mit den anderen Zweigen der Sozialversicherung zu tun (und wenn man schon dabei ist, können auch bspw. die Autobahnen in private Anleger-Hände gegeben werden).

       

      Insoweit stimmen wir überein.

       

      Wenn nun jede Person oder jeder priv. Haushalt einmalig 5.000 EURO geschenkt bekäme von der EZB sehe ich darin kein "Mittel, um die Fische an die Pokertische zu lenken".

       

      Helfen Sie mir bitte weiter: Was übersehe ich dabei?

  • Verstehe. Ökonomen denken heutzutage nicht darüber nach, wie die Wirtschaft (um)gestaltet werden kann, damit alle Menschen ein erträgliches und existenzgesichertes Leben haben. Ökonomen denken lieber darüber nach, wie Menschen zu Konsumidioten manipuliert werden können, damit sie den Unternehmen ihr Geld in den Arsch schieben und der Wirtschaftsmotor brummt. Das sogenannte Hubschraubergeld ist nichts weiter als eine Idee erdacht von Konsumidioten und geeignet für Konsumidioten.

    • 7G
      73176 (Profil gelöscht)
      @Rudeboy:

      Tja, besser kann man es sicherlich nicht schreiben.

  • Derzeit wird das Geld den Banken zu 0% geliehen, anstatt das das Geld in die Wirtschaft fließt, fließt es in den Aktienmarkt, Immobilienbranche ... Aber leider nicht in die Realwirtschaft. Geld produziert derzeit leider nur Geld zum Selbstzweck. Da ist die Idee des Hubschraubergeldes wesentlich Sinnvoller.

     

    Und natürlich gab es soetwas in den letzten Jahren schonmal, in Deutschland. Nannte sich Abwrackprämie, die war aber Zweckgebunden um Abgassoftwaremanipulation rentabel zu machen. Nicht Zweckgebunden ist da schon wesentlich Sinnvoller.

  • Au ja, bin ich voll dabei!

  • "unorthodoxe Maßnahmen wie Verschenken von Zentralbankgeld" ist nicht neu, das hat die EZB schon in 2008 ausprobiert... leider nur an die Banken!!

     

    "mehr Wachstum" brauchen wir auch nicht, Klima und Umwelt zuliebe. Was wir brauchen ist eine gerechte(re) verteilung der Profite, keine Steueroasen und keine Finanzcasinos...

  • äh prima, die entsprechenden Schulden klauen von unseren Kindern und versauen dabei die Umwelt, um ein Wachstumssystem zu stützen von dem alle wissen dass es nicht funktionieren kann. Die Ökonomen sollens einfach bleiben lassen.