DAAD-Präsident über Gleichstellung: „Ich bin vom Weg abgekommen“
Erst akademische Blitzkarriere, dann Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Ein Gespräch mit Joybrato Mukherjee.
taz am wochenende: Herr Mukherjee, Anfang des Jahres hatten Sie gute Chancen, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin zu werden. Im Bewerbungsverfahren waren nur Sie und die jetzige Präsidentin Julia von Blumenthal im Rennen. Dann zogen Sie Ihre Bewerbung zurück mit einer bemerkenswerten Begründung: Mit Ihnen bestünde das Präsidium nur aus Männern. Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?
Joybrato Mukherjee: Gegenüber der Kommission und dem Kuratorium der Humboldt-Universität habe ich meine Bedenken ja von Anfang an geäußert. Für mich spielte eine entscheidende Rolle, dass sich die Universität im Falle meiner Wahl zu diesem Punkt Gedanken macht. Es kann ja nicht sein, dass eine der führenden Universitäten des Landes im Jahr 2022 von einem komplett männlich geführten Präsidium geleitet wird.
Wie hat die Universität auf Ihre Bedenken reagiert?
Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung waren gerade alle männlichen Vizepräsidenten frisch gewählt bzw. wiedergewählt. Ich hätte vonseiten der Universität in diesem Moment die Sicherheit gebraucht, dass man auch eine Repräsentanz von Frauen im Präsidium organisieren würde. Diese Sicherheit hat mir die Universität nicht in dem von mir gewünschten Maße geben können. Damit war meine Entscheidung klar.
Es ist ungewöhnlich, dass Männer ihre Karriere zurückstellen, um Frauen den Vortritt zu lassen.
Der Mann
Joybrato Mukherjee wurde 1973 in Düren, Nordrhein-Westfalen geboren. Seine Eltern waren indische Einwanderer. Er studierte Anglistik, Biologie und Erziehungswissenschaft in Aachen.
Der Präsident
Mukherjee ist seit 2009 Präsident der Universität Gießen. Im Juni 2019 wurde er in das Amt des Präsidenten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gewählt. 2022 bewarb er sich als Präsident der Humboldt-Universität, zog sich aber später mit Verweis auf das nur männlich besetzte Präsidium aus dem Verfahren zurück.
Vor zehn Jahren hatten wir an meiner Heimatuniversität in Gießen eine intensive Diskussion über die Repräsentanz von Frauen im Präsidium. Die Wahl zweier Vizepräsidenten wäre darüber fast gescheitert. Vor jener Wahl hatten wir bereits zwei Frauen im Präsidium. Ich habe daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass man diese Frage nicht einfach wegdrücken kann. Und zehn Jahre später erst recht nicht.
2010 haben Sie als neuer Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen in der Studierendenzeitung eine Frauenquote für leitende Funktionen an Hochschulen gefordert.
Damals, 2010, war die Frage: Macht eine Frauenquote Sinn? Wie kann man sie aber auch umsetzen, etwa in einem Berufungsverfahren? Es gilt ja das Prinzip der Bestenauslese und der freie Zutritt von allen Bewerberinnen und Bewerbern zum öffentlichen Amt einer Professur. Das sind alles keine einfachen Fragen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass man sich Gedanken machen muss, wenn man die selbst gesteckten Ziele nicht auf freiwilligem Wege erreicht. Damals habe ich mich deshalb für die Frauenquote als Notbehelf ausgesprochen.
Heute nicht mehr?
Zu meiner Haltung von damals stehe ich. Allerdings hat sich in den vergangenen zehn Jahren schon viel verändert. Wir haben heute an den hessischen Universitäten eine Frauenquote bei den Professuren von deutlich über 30 Prozent – und Gießen liegt ganz vorn, was mich sehr freut. Man muss natürlich auch sehen, was man in einer Zeitspanne von zehn Jahren in einem naturgemäß „trägen“ System wie den Hochschulen erreichen kann. Da kann man nicht von einem Jahr aufs nächste alles verändern. Ja, wir brauchen mehr Diversität. Aber wir dürfen uns auch nicht selbst überfordern
Das Thema Gleichstellung scheint Ihnen sehr wichtig zu sein. Woher kommt Ihr Antrieb?
Es geht um die Fairness, dass wir allen gesellschaftlichen Gruppen die gleichen Möglichkeiten der Teilhabe, Mitbestimmung und Repräsentanz ermöglichen. Es ist ein Unding, dass Frauen, die in der Bevölkerung die Mehrheit stellen, in so vielen Bereichen unterrepräsentiert sind. Dazu kommt noch ein anderer wichtiger Punkt: Studien zeigen, dass diverse Teams die besten Leistungen erbringen. Eine Steigerung der Diversität ist also die Grundvoraussetzung dafür, auch exzellente Forschung und Lehre zu erbringen. Das kommt bei uns an den Hochschulen inzwischen auch an.
Der Cicero hat Sie mal als Musterbeispiel gelungener Integration dargestellt. Ihre Eltern sind aus Indien nach Düren in Nordrhein-Westfalen gezogen, Sie hatten bis 18 die indische Staatsbürgerschaft. Sehen Sie sich als Role-Model?
Ich weiß nicht, ob ich ein „Role-Model“ bin. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, gleichzeitig habe ich starke Bezüge zu Indien. Als Kind habe ich viele Wochen und Monate dort verbracht, meine Eltern sind auch keine „Biodeutschen“, wenn ich das Wort benutzen darf. Ich bin von zwei Kulturen geprägt. Was man nie vergessen darf, egal ob man als Mensch mit oder ohne Migrationshintergrund Erfolg hat – es hängt immer auch mit Mentoren und Förderern zusammen.
Wer hat Sie gefördert?
Ich habe vielen Menschen viel zu verdanken. Zum Beispiel meinem exzellenten Betreuer als Professor in Bonn. Er hat mir die Möglichkeit eingeräumt, noch mein Referendariat an der Schule abzuschließen, denn das war mein Plan B, falls es in der Wissenschaft nicht klappt. Er hat mir die Assistentenstelle für neun Monate freigehalten, das ist keine Selbstverständlichkeit.
Sie haben eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Mit 29 Jahren wurden Sie auf eine C4-Professor berufen, mit 36 waren Sie bereits Präsident einer Universität …
„Bilderbuchkarriere“ ist die Interpretation eines Werdegangs, der so glatt aussieht, wenn man auf meinen Lebenslauf schaut. Das war aber gar nicht so glatt, wie es den Anschein hat. Eigentlich wollte ich ja Gymnasiallehrer werden und bin dann irgendwie vom Weg abgekommen.
Was ist passiert?
Mir wurde eine Promotionsmöglichkeit angeboten und dann noch während des Referendariats eine Habilitationsstelle. Erst so bin ich in der akademischen Laufbahn gelandet. Viele Schritte sind nicht geplant gewesen. Ich hatte bislang einfach oftmals auch Glück. Ich sehe das daher nicht als Modellkarriere. Es zeigt aber, dass in diesem Land die Wege für alle offen stehen können. Dafür bin ich ein Beispiel.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Jetzt sind Sie bescheiden. Um so schnell so weit zu kommen, müssen Sie schon auch ehrgeizig sein, oder?
Eine gesunde Portion Ehrgeiz ist immer wichtig. Eines darf man bei einer erfolgreichen Karriere aber nie vergessen: Es sind nicht immer nur die eigenen Leistungen. Dazu kenne ich einfach zu viele Kolleg:innen, die mit mir gemeinsam im Bewerbungskarussell gewesen sind und die noch bessere Leistungen als ich erbracht hatten. Trotzdem sind sie nicht auf eine Professur berufen worden, auch weil ihnen das Quäntchen Glück gefehlt hat.
Man könnte auch sagen: weil die Berufsbedingungen an den Hochschulen prekär sind. Unbefristete Verträge gibt es fast nur für Professoren und Professorinnen.
Wir haben ein System, das auf „all in“ oder „all out“ ausgerichtet ist. Wir, die wir es ins System geschafft haben, haben unbefristete Verträge und damit keine Existenzängste. Wir dürfen nie vergessen, wie es sich für die anfühlt, die es noch nicht hineingeschafft haben. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das leider sehr schnell passiert.
Vor Kurzem haben Sie gesagt, zu einer Karriere im System Hochschule gehören Wechsel und Wechselbereitschaft mit dazu. Das klingt gerade so, als wenn Sie Befristungen und prekäre Arbeitsverhältnisse – Stichwort #IchbinHanna grundsätzlich gut finden.
Sie sprechen von prekären Arbeitsverhältnissen, ich würde als Grundproblem eher das prekäre Geld identifizieren. Die Hochschulen haben in ihrem Budget einen immer geringeren Anteil an langfristig verlässlicher Grundfinanzierung. Der Anteil der kurzfristigen projektbasierten Finanzierung hingegen nimmt zu. Das ist prekäres Geld. Damit kann man keine langfristig verlässlichen Beschäftigungsverhältnisse aufbauen. Wenn man sich diese Entwicklung der Hochschulfinanzierung ansieht, muss man aber auch sagen: Das war politisch so gewollt.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Hochschulen die Möglichkeiten zur Befristung überstrapazieren, die ihnen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz einräumt. An den Unis endet jeder dritte Arbeitsvertrag spätestens nach zwölf Monaten.
Solche Stückelverträge können nicht in unserem Interesse sein. Wir wollen unseren Beschäftigten auch in der Qualifikationsphase Sicherheit geben. Sie sollen sich ohne die Sorge qualifizieren können, ob sie nach drei Monaten einen neuen Vertrag erhalten oder nicht. Da müssen wir uns natürlich überlegen, wo wir noch nachsteuern können. Grundsätzlich aber halte ich das Ziel des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes für richtig: Befristungen in der Qualifikationsphase sind notwendig, auch damit auch die nächste Generation ihre wissenschaftliche Qualifikation erreichen kann.
Kennen Sie persönlich diese Unsicherheit mit befristeten Verträgen?
Ich hatte wiederum großes Glück. Bevor mein Vertrag als Assistent der Universität Bonn endete, bin ich frühzeitig nach Gießen berufen worden. Die Gefahr, dass mein Vertrag alsbald ausläuft, stellte sich mir Gott sei Dank gar nicht.
Die FAZ hat vor ein paar Jahren das Gerücht verbreitet, Sie könnten in die Politik gehen. Schließlich seien Sie gut vernetzt. Ein SPD-Parteibuch haben Sie auch. Ist die Spitzenpolitik für Sie eine Option?
Es ist schön, wenn das von außen so gesehen wird. Gut vernetzt muss man auch sein, wenn man im Hochschul- und Wissenschaftsmanagement ist. Und ja, ich bemühe mich auch um das Gespräch mit der Politik. Denn wir bekommen unser Geld letztlich auch von politischen Entscheidungsträgern. Für mich persönlich nehme ich aber klar wahr: Politik ist ein sehr hartes Geschäft und ich habe großen Respekt davor, was dort geleistet wird. Das muss man sich schon sehr genau überlegen.
Apropos Spitzenpolitik: Sie sind derzeit in Ihrer Funktion als Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdiensts regelmäßig in Berlin, um bei Bundestagsabgeordneten – salopp gesagt – gegen die Sparpläne der Bundesregierung zu lobbyieren. Wie kommen Sie damit voran?
Wenn Sie erlauben, eine kleine Korrektur: „Lobbyarbeit“ machen wir nicht. Wir sind als DAAD nicht ohne Grund aus dem Lobbyregistergesetz ausdrücklich ausgenommen. Wir sind ja Teil der offiziellen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Einverstanden. Wie kommen Sie voran bei Ihrem Versuch, gegen die geplanten Mittelkürzungen beim DAAD mobilzumachen?
Wir reden derzeit sehr viel mit den Mitgliedern aller Fraktionen im Bundestag und auch mit den Ministerien. Bis zur Bereinigungssitzung des Bundeshaushaltes im November wollen wir unsere Argumente als DAAD noch einmal verdeutlichen. Denn wir gehen davon aus, dass der Koalitionsvertrag der Bundesregierung weiterhin gilt. Dort wurde ja mit guten Gründen versprochen, dass das Budget der Humboldt-Stiftung und des DAAD jährlich um 3 Prozent steigen soll. Daran erinnern wir. Ich bin mir auch sicher, dass niemand in der Bundesregierung daran zweifelt, wie wichtig diese Mission ist – und seit dem Ukrainekrieg noch wichtiger geworden ist.
Was sagen Sie als Sozialdemokrat dazu, dass die von der SPD geführte Regierung in Berlin wegen der Schuldenbremse bei der Bildung streicht?
Noch ist der Bundeshaushalt 2023 ja nicht beschlossen. Auch als Sozialdemokrat halte ich es nach wie vor für gut, was eine SPD-geführte Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag an Zielen und Maßnahmen definiert hat. Und ich gehe nicht davon aus, dass die Bundesregierung ihre eigene Richtschnur für obsolet erklärt.
Neben politischen Entscheidungen steht ja auch ein neues Wintersemester an. Wie kommen Sie bei all den Reisen nach Berlin dazu, dies – Stichwort Corona, Energiekrise – vorzubereiten?
Was ich für den DAAD mache, ist ein Ehrenamt, das allen deutschen Hochschulen und Studierendenschaften dient. Mein Hauptamt aber ist die Leitung der Justus-Liebig-Universität Gießen. Aktuell wird das Präsidium der Universität, aber auch alle anderen Gremien und Verantwortlichen sehr in Anspruch genommen von den Themen, die Sie ansprechen. Als eine große Institution in der Stadt – wir haben über 200 Gebäude, 27.000 Studierende und 5.700 Beschäftigte – spielen wir eine wichtige Rolle, um die Energieversorgungssicherheit in Gießen und Umgebung sicherzustellen. Und die gesamte Universität zieht mit. Wir haben das ehrgeizige Ziel, 25 Prozent des Energieverbrauches im Herbst und Winter im Vergleich zum Vorjahr einzusparen.
Im Netz kursiert, dass Ihre Universität jetzt eine Vier-Tage-Woche einführt. Stimmt das?
Das stimmt nicht. Vier-Tage-Woche würde ja heißen, Donnerstagabend gehen alle nach Hause in ein verlängertes Wochenende. Um unseren Energieverbrauch zu senken, werden wir die Temperatur von Montag bis Donnerstag 8 bis 18 Uhr auf 19 Grad einstellen. Von Freitag bis Sonntag werden wir die Temperatur absenken, wo dies möglich und zulässig ist. Lehrveranstaltungen, die üblicherweise am Freitag stattfinden, sollen möglichst verschoben werden oder online stattfinden. Wenn das nicht geht, werden wir die entsprechenden Veranstaltungen in einem Gebäude – bei 19 Grad – bündeln. Auch an Freitagen wird an der Universität Gießen geforscht, gelehrt, gearbeitet.
Na ja. Sie laden doch Mitarbeitende und Studierende ein, ab Freitag im Homeoffice zu arbeiten.
Nein, denn wir wollen gerade vermeiden, dass Energiekosten, die wir einsparen, zum Beispiel bei den Studierenden entstehen. Deshalb überlegen wir gerade auch, für die Studierenden Wärmeräume einzurichten, wo sie die ganze Woche über lernen, arbeiten und auch an digitalen Veranstaltungen teilnehmen können.
Können Sie sich eigentlich vorstellen, eines Tages zurück an die Schule zu gehen?
Als Quereinsteiger? Warum eigentlich nicht! Ich bin sehr gerne im Wissenschaftsbetrieb, aber ich habe meine zweieinhalb Jahre an der Schule in sehr guter Erinnerung und habe damals auch viel eigenständigen Unterricht erteilt. Das war Ende der 1990er. Damals gab es in Nordrhein-Westfalen ein Programm, das hieß „Geld statt Stellen“. Die Idee war, den Schulen Geld zu geben, damit diese unter anderem ihren Referendar:innen Verträge anbieten können. Ich fand diese Möglichkeit prima: mit Kindern und Jugendlichen umzugehen, ihnen Fachinhalte zu vermitteln, aber auch eine pädagogische Rolle auszufüllen. Letzteres vermisse ich an der Universität manchmal etwas. Mal sehen, ob der Lehrermangel dazu führt, dass man auch mich noch mal für die Schule rekrutiert …
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