„D-Day“-Affäre der FDP: Das GZSZ des politisch interessierten Bildungsbürgers
Die Aufregung über die FDP ist scheinheilig. Denn sie macht nur, was Parteien für Prozente eben machen. Nur etwas ungeschickter als ihre Wettbewerber.

B ald wählen wir wieder einen neuen Bundestag! Können Sie es auch kaum erwarten, Ihre Bürgerpflicht zu erfüllen? Und damit die Besetzung für das nächste Theaterstück zu bestimmen, das wir dann allabendlich in den Nachrichten verfolgen können? Mit allen Gefühlen, die zum Leben gehören: Hoffnung, Enttäuschung, Wut.
Was würden wir tun ohne den Politjournalismus, dem GZSZ des politisch interessierten Bildungsbürgers – nur dass es eben meistens schlechte Zeiten sind, weswegen diese Show eigentlich SZSZ heißen müsste. Die besonders politisch interessierten Bildungsbürger, zu denen ich mich selbst zähle, haben dank der Mediatheken jederzeit Zugriff auf den Stoff: Lanz, Miosga, Maischberger, Illner. Ich kann die Kolleg:innen zwar schon lange nicht mehr auseinanderhalten – aber steile Thesen und interessante Gäste haben Sie mir doch jedes Mal geboten.
Entschuldigen Sie bitte, wenn das jetzt ein bisschen abschätzig klingt und Sie vielleicht denken: Wie jetzt – ein Journalist, der so über unsere lebhafte Demokratie schreibt?
Obwohl er qua Beruf eigentlich dazu verpflichtet ist, über diese lebhafte Demokratie zu informieren, ja, seine Leserinnen und Leser für diese lebhafte Demokratie zu interessieren und zu begeistern? Genauso wie all seine Kolleginnen und Kollegen, die sich seit Tagen darüber empören, dass ein Politiker und seine Partei sich vor allem um ihren eigenen Arsch statt um das Wohl des Landes sorgen; die für ein paar Prozentpunkte Intrigen spinnen, Schlachtpläne schreiben und die Öffentlichkeit über diese belügen anstatt, soweit das noch geht, politische Projekte zu verfolgen, die sie ihren Wähler:innen versprochen haben. Und die das alles dann auch noch so viel ungeschickter anstellen als ihre politischen Wettbewerber, weshalb sie zu Lachnummer der Nation werden.
Vorberichte, schönste Berichte!
Natürlich sollte man nicht lügen, das haben wir doch als Kinder gelernt. Und über geschichtsvergessene Formulierungen kann man auch streiten. Aber wenn Sie glauben, dass alles schön und gut wäre, wenn da nicht Christian Lindner, der Jo Gerner der deutschen Politik, und seine FDP wären, dann beneide ich Sie um Ihre optimistische Sicht auf die Dinge. Dann können Sie an dieser Stelle gerne auch aufhören, diese Kolumne zu lesen, und sich wieder den Politikseiten dieser oder einer anderen Zeitung widmen. Denn dort laufen längst die Vorberichte für die nächste Spielzeit. Und Vorberichte, das kennen wir auch von den Bundesliga-Spieltagen, sind die schönsten Berichte.
Nichtwähler! Das ist ein echtes Problem für unsere Demokratie! Lass uns auf jeden Fall was zu Nichtwählern machen!, interveniert mein politisch interessiertes Ich, dem diese Kolumne langsam auch zu zynisch wird. Also google ich Nichtwähler – und lerne, dass Nichtwählen etwas mit Armut zu tun hat; aber dass Nichtwähler – bei der letzten Bundestagswahl 2021 immerhin fast ein Viertel der Wahlberechtigten – auch aus ganz anderen Gründen nicht wählen (ach was!).
Bevor ich meine politisch interessierten Interviewanfragen an die Elenden des Landes losschicke, meldet sich mein politikverdrossenes Ich zurück: Warum eigentlich Interviews? Könnte doch auch ein Ich-Text werden!
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen