Crystal Meth in der bayrischen Provinz: „Die Panik meines Lebens“
An der Grenze zu Tschechien floriert der Handel mit der Aufputschdroge Crystal. Emanuel* nahm sie drei Jahre lang. Bis er nicht mehr wusste, wer er war.
FURTH IM WALD taz | „I bin stolz auf mei scheens, runds Gsicht“, sagt Emanuel*. Er klopft sich eine Zigarette aus der Packung, steckt sie an und bläst den Rauch an die Decke. Seine Hände zittern. „Vor am halben Jahr war i noch total eingfalln.“
Es ist ein sonniger Samstagvormittag. Aus der Küche im Erdgeschoss kriecht der Duft nach Schweinebraten in Emanuels Zimmer. Draußen brummen Autos durch das 2.000-Einwohner-Dorf im Bayerischen Wald, ein paar Kilometer von der Kleinstadt Furth im Wald entfernt. Dahinter kommt die Grenze zu Tschechien.
„Meine Eltern ham nie wirklich wos gwusst“, sagt er. Dass er drei Jahre lang regelmäßig über die Grenze radelte, um sich Crystal zu holen. Dass er sich hier, im Elternhaus, „Nas’n auflegte, bei denen es andere scho längst umghaun hätt“. Wenn er wieder im „Aufräummodus“ war und nachts um drei Uhr die Ordner aus dem Regal riss, um alles neu zu sortieren, dann kamen sie manchmal in sein Zimmer. „Mei, die ham sich halt gedacht, der hat an Datscha.“
Seit einem dreiviertel Jahr clean
Emanuel ist 20 Jahre alt – und spricht von seiner Drogenkarriere wie ein Veteran über den Krieg. Seit einem dreiviertel Jahr sei er clean, sagt er. „So sauber wie a Schnitzel.“ Seit er in Nürnberg die Ausbildung zum Technischen Zeichner macht.
„Crystal Meth“, „Crystal“ oder „Pervitin“ – das Methylamphetamin hat viele Namen. Es wirkt noch schneller und heftiger als Ecstasy oder Speed, zusammen mit diesen synthetischen Drogen auf Amphetaminbasis ist es das am zweithäufigsten konsumierte Stimulans weltweit nach Cannabis. Bis zu 24 Millionen Menschen nehmen es bereits, schätzen die Vereinten Nationen, allein in Europa sollen es 13 Millionen sein.
Auch die Piloten der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg wurden mit Methylamphetamin gedopt, Pervitin hieß es damals, ein Wachhaltemittel aus den Temmler-Werken in Deutschland. Pervitin war billiger als Kaffee, die perfekte Durchhaltedroge.
Vielleicht kommt es gerade deshalb heute so gut an. „Da bist den ganzen Tag in der Arbeit, danach prasseln die Facebook-Nachrichten auf dich ein, du beweist dich in Online-Games, und dann willst a no an guadn Eindruck in der Familie macha“, sagt Emanuel. „Da nimm i doch a Nas’n Crystal und denk mir, juhu, trallalla.“
Die Droge ist alltäglich geworden
In Ostbayern, in Thüringen und Sachsen, in vielen Dörfern entlang der tschechischen Grenze, ist die Droge alltäglich geworden. Hausfrauen nehmen es, weil das Saubermachen damit mehr Spaß macht. Essgestörte Mädchen, weil sie danach stundenlang keinen Hunger mehr haben, und Köche, die noch eine Schicht dranhängen.
Zwar hat die Zahl der Drogenkonsumenten in Deutschland 2012 abgenommen. Aber die Zahl der Menschen, die Crystal zum ersten Mal nahmen, stieg innerhalb eines Jahres von 1.693 auf 2.556.
Christian Pongratz ertappt jeden Tag ein bis zwei Schmuggler. Hat der Hauptkommissar 2010 noch 180 Leute mit den Tütchen im Auto aus dem Verkehr gefischt, waren es 2012 bereits 486. Er findet Crystal in Wanderstöcken, in Leberkässemmeln und in Körperöffnungen. Bei 13- bis 77-Jährigen. „Seit drei Jahren spüre ich nur noch Drogen nach“, sagt Pongratz, 38 Jahre, klein und muskulös, breiter Oberpfälzer Dialekt, in einem Behördenbau direkt am Grenzübergang in Furth im Wald. Über dem Tresen hängt ein Kreuz, darunter ein Schrank mit Wanderpokalen und in Plastik eingeschweißte Drogentests.
Fahrende Fabriken
An diesem Nachmittag verrät der Drogentest einen Mann, Anfang 30, vorbestraft. Ein Polizeibeamter wühlt in seinen Taschen, im Nebenraum zieht er ihn aus. Nichts. „Der hat bestimmt grad konsumiert“, sagt Pongratz. „Aber wenn er nix dabei hat, sind wir machtlos.“
2010 hat die tschechische Regierung die Drogengesetze liberalisiert – wer mit bis zu 15 Gramm Marihuana, einem Gramm Kokain, eineinhalb Gramm Heroin oder zwei Gramm Crystal erwischt wird, braucht sich nicht vor dem Gefängnis fürchten. Und als Ordnungswidrigkeit wird das Delikt kaum geahndet, auch wenn darauf ein Bußgeld von bis zu 600 Euro steht. Zwei Gramm Crystal, zwei Monate Dauer-Highlife.
Bis vor kurzem gab es in Tschechien noch Fabriken, in denen Ephedrin produziert wurde, der Grundstoff für Hustensaft und Crystal. Im Sozialismus war es kaum möglich, andere Drogen zu bekommen – also köchelte die Szene Pervitin oder Piko, so wird es in Tschechien genannt. Vor ein paar Jahren stiegen die tschechischen Vietnamesen ins Geschäft ein. Sie produzieren große Mengen, in Lastwagen, die auf den Landstraßen durch Tschechien brummen.
In gerade einmal drei Minuten Fahrt von Pongratzs Büro aus erreicht man Folmava, eine Ansammlung flamingofarbener und pastellgrüner Häuser, Tankstellen und Nachtclubs, die „Luna“ heißen oder „Pyramida“. Am Kreisverkehr ein Schild „Asia Markt“, es führt in eine Stadt aus Buden mit grünen, roten Jalousien. An die 30 Bretterverschläge scharen sich um einen Parkplatz und einen Thai-Imbiss. Am Eingang kicken drei Männer, man wird gemustert, der eine blickt zum anderen, Handy ans Ohr. Aus einer Bude hinten rechts schlüpfen zwei junge Männer mit Baseball-Kappen hervor, Hände in den Hosentaschen, breites Grinsen im Gesicht. Rein in diese Bude.
Man muss keinen Dealer kennen
Das Angebot: Klappmesser, Sweatshirts. Ein Mann zupft einen am Ellbogen, streicht mit dem Finger über die Nase. „Marihuana? Piko?“ „Piko“. „Wie viel?“ „Ein Gramm.“ „Ein?“, er zieht die Augenbrauen hoch. „Fuffzig.“ „Zwanzig?“ Er lacht, schüttelt den Kopf. Zuletzt: „Funfunddreißig, okay“, sagt er und zeigt auf einen Stapel Pullis. „Schauen, Pullover.“ Dann zieht er sein Handy aus der Tasche und tippt eine Nummer ein. Man könnte jetzt einfach warten, zahlen und eine Tüte mitnehmen.
Man muss keinen Dealer kennen. Man braucht nur dreißig oder vierzig Euro – oder etwas anderes, das man gegen ein Tütchen eintauschen kann.
Als „Spiegel TV“ Anfang Januar einen Beitrag sendete, der den Furthern zeigte, dass Crystal auch von Einheimischen geschnupft oder gespritzt wird, debattierte zwei Tage später der Stadtrat über das „Gift“. Ein Polizist rückte damit heraus, dass er vor zwei Jahren gegen 16 Mittelschüler im Alter von 14 Jahren ermittelte. Und dass seitdem bereits drei Einheimische an Crystal gestorben sind.
Inzwischen haben schon Pro7, RTL und der Bayerische Rundfunk in Furth im Wald gedreht. Sie dürften ein wenig enttäuscht gewesen sein. Denn Bilder von Menschen mit verfaulten Zähnen, die am Bahnhof herumlungern, findet man hier nicht. Zwar wird etwa ein Viertel des Crystals, das er aufgreift, von Leuten im Landkreis konsumiert, schätzt Christian Pongratz. Doch die knallen sich bei Freunden die Birne zu und gehen dann brav nach Hause zu Mama und Papa.
„Anfangs hob i no richtig guad ausg’schaut drauf“, sagt Emanuel. Er, eigentlich ein lethargischer Typ, hat trainiert, alte Freunde wieder besucht. Musik gehört und gedacht, „so muass sich der Himmel anfühlen“. Dann hat er wieder mit Alkohol und Joints angefangen. Bei jedem C dachte er an Crystal: Claus, Crystal. Christus, Crystal, C, C, Crystal. „Jeden Dreck“ hat er gefressen, als er runterkam, in der Hoffnung, zwischen den Staubkörnern sei noch ein Crystalsplitter. Dann der Freund. Tot. Er hat sich umgebracht. Nach einer Woche machte Emanuel weiter wie zuvor.
„Mein Körper war eine leere Hülle“
Bis zu jenem Morgen im August. Dem Moment, in dem er nach drei Tagen aufwachte und nicht mehr wusste, wer er war. „Des war die Panik meines Lebens“, sagt er. „Nix mehr, weder mich selber, meinen Namen, meinen besten Freund, niemanden hab i mehr gekannt, als wär mein Körper nur eine leere Hülle.“ Emanuel schluckt. „Und wenn du da hängen bleibst, dir kann koa Mensch helfen.“
Seitdem ist er clean, sagt er. „Na ja“, er legt den Kopf zur Seite, „clean? Wer is heit denn scho clean?“ Er nimmt Psychopharmaka, damit er sich konzentrieren kann. „Mei, die Mütter schlucken Beruhigungstabletten, und die Väter spülen den Frust mit Bier runter.“
Emanuel hängt in seinem Sofa. Hin und wieder ein Bier, „des is scho drin“, sagt er, mal ein Joint, „koa Problem“. Aber bloß kein Crystal. Weil es deinen Körper, dein Umfeld, deine Emotionen zerstört, sagt er. „Des lutscht dich aus und übrig bleibt a kaputter Haufen.“ Sein Sprachzentrum ist ebenfalls zerstört, Emanuel stottert.
Therapie? „Pfff“, macht er, „bloß net.“ Er schaffe das allein. Schließlich hat er jetzt eine Ausbildung. „Entweder du bleibst der Abschaum vo der Straß, oder du wirst a vernünftiger Mann.“ Dann rappelt er sich auf und tappt die Treppe hinunter. Teller klappern. Der Braten ist fertig.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour