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Crack in BerlinDie Ohnmacht im eigenen Kiez

In Kreuzberg sollen jetzt nachts die Türen abgeschlossen werden. Es droht eine Entsolidarisierung mit Drogenopfern, weil man selbst Opfer von Drogen wird.

Ein Hotspot in Kreuzberg: das Kottbusser Tor Foto: Philipp Znidar/picture alliance/dpa

W ie schreibt man in der taz anekdotisch über das Thema innere Sicherheit, ohne direkt aufs links-alternative Mäulchen zu kriegen? Öh, na ja, mein ursprünglich angedachter Einstieg schlug direkt fehl. Denn entgegen meiner Erinnerung wird „innere Sicherheit“ doch nicht großgeschrieben. Sonst hätte ich smart darauf hingewiesen, dass nicht die großgeschriebene gemeint sei: jene mit Stacheldraht umzäunte Spielwiese alter Herren vom Schlage eines Manfred Kanthers oder Otto Schilys. Es ginge und geht um meine eigene innere Sicherheit.

Was ich eigentlich sagen will: Wir hier in Kreuzberg 36 schließen uns inzwischen in unseren Wohnhäusern ein. Nicht in allen Kiezen, Tendenz jedoch steigend. Die Klingelanlage allein reicht jedenfalls nicht mehr aus, so sie überhaupt funktioniert. Fern jeder Hetze auf dem Boulevard ist das unsere schlichte Anwohner-Empirie. „Liebe Hausbewohner:innen, bitte die Haustür ab 21:00 abschließen. Es gab Einbrüche und Angriffe in letzter Zeit. Danke!“, prangt es seit zwei Wochen nicht zum ersten Mal auf einem Zettel an unserer Wand über den Briefkästen.

In anderen Teilen Berlins mag das Abschließen der Haustür schon seit der Kreidezeit Usus sein, in unserem Kiez hatte das in den vergangenen zwanzig Jahren keine mir bekannte Tradition. Es handelt sich nicht um räuberisch marodierende Banden, die nun die innere Sicherheit der Mehrfamilienhäuser bedrohten und einzig Angelegenheit der Polizei wären.

Die Sache ist vertrackter! In Zeitlupe zerfallen vor unseren Augen immer mehr Menschen aller Altersgruppen und Geschlechter. Einhergehend mit Aggressivität und extremer Unberechenbarkeit. Dafür verantwortlich ist der Konsum von Crack, wahlweise zusammen mit Schmerzmitteln, Alkohol und sonstigen Substanzen. Und natürlich wirkte die Pandemie wie die Flamme unter der Alufolie.

Crack macht rastlos und schafft Stress

Seit Jahren wird Berlin mit Kokain, dem Grundstoff für Crack, geflutet. Crack macht im besten Fall rastlos und stellt Kon­su­men­t:in­nen unter Stress, im schlimmsten Fall drehen sie auf Dauer durch. Dem sehr kurzen, aber intensiven Kick folgt direkt die Jagd nach dem nächsten. Auf der Suche nach einer ruhigen Ecke für die nächste Dosis und einem Schlafplatz treibt es Betroffene in die Häuser – und in die Beschaffungskriminalität.

Einst gehörte es zum „guten“ Kreuzberger Ton, den damals wenigen (!) Leuten den Platz im Treppenhaus zu lassen. Solange nicht in Gegenwart von Kindern konsumiert wurde und Gewalt keine nennenswerte Rolle spielte. Zwischen Kotti und Schlesi droht nun eine Welle der Entsolidarisierung mit Drogenopfern, weil man selbst Opfer von Drogen wird.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie so oft fühlen sich Nachbarschaften von Politik und Behörden allein gelassen. Meist soll es die schlichteste aller Lösungen sein: Verdrängung. Breit umgesetzte sozialpolitische und damit nachhaltige Maßnahmen bleiben weitgehend aus. Es sind engagierte zivilgesellschaftliche Einrichtungen und die Nachbarschaften selbst, die Hilfe organisieren.

Bislang kommt meine Gegend vergleichsweise glimpflich davon. Für eine Ahnung von den uns demnächst buchstäblich ins Haus stehenden möglichen Zuständen reicht ein Blick in den lange schon gebeutelteren Wrangelkiez. Dort geht es ganz anders zu: In einigen Fällen seien schon Wohnungstüren eingetreten und Mieterinnen bedroht worden, berichten Bekannte.

Ob die Polizeiwache am Kottbusser Tor, mehr Razzien im Görlitzer Park oder symbolträchtige Spaziergänge des Senats durch den Kiez: Welchen Beweis braucht es eigentlich noch, dass restriktive „Law & Order“-­Politik allein kein Ausweg ist? Haustüren abschließen auf Dauer leider auch nicht…

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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13 Kommentare

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  • Man hat nicht hingeschaut und in ideologischen Elfenbeintürmchen gelebt - sonst hätte man, lange schon, die zunehmende Verelendung sehen können!



    Kreuzbergs Provinzpolitik ist angesichts globalisierter Problemlagen gescheitert;



    zumindest muss für die gesamte Stadt mitgedacht werden.



    Zu all dem kommt, dass in der Schicki-Micki-Szene Drogen als Luxus-Event gefeiert wurden - doch "die im Dunklen sieht man nicht".



    A never ending story...!

  • Es kostet viel Geld aber gut umgesetzt wäre die beste Lösung, das drogensüchtigte in den zwangsentzg kommen, dann durch therapiert und reintigriert werden. Gleichzeitig übernimmt man erfolgreiche deogen Bekämpfungsstrategien aus Singapur um den idealen das Handwerk zu legen. Man hat es jetzt viele Jahre mit Toleranz und sozialer Arbeit versucht, jetzt ist es mal ander Zeit ein paar Jahre andere Sachen auszuprobieren.

  • "Einst gehörte es zum „guten“ Kreuzberger Ton, den damals wenigen (!) Leuten den Platz im Treppenhaus zu lassen."

    Also diese Anekdote ist mir neu. Es gab früher etliche besetze Häuser, dort war es sicherlich usus. Aber von normalen Wohnhäusern habe ich das bis heute noch nicht gehört.



    Und damals™ war die Lage auch noch weitaus entspannter. Mit Crack- und Heroin-Konsum tun sich ganz neue Probleme auf.

  • Ich bin etwas ambivalent bis irritiert, weil gerade "linke" Kietze ja gerne auf ihre Staatsferne und staatskritische Postion verweisen, während dann, wenn liberale Positionen nicht (mehr) greifen (vgl. das Beispiel des Konsums im Treppenhaus), plötzlich doch nach staatlicher Ordnung gerufen wird. Nicht, dass diese nicht gewährt oder genutzt werden sollte, aber zur Auseinandersetzung gehört ggf. auch, was das für die eigene Haltung dann letztlich bedeuten kann.

    "Wie so oft fühlen sich Nachbarschaften von Politik und Behörden allein gelassen. Meist soll es die schlichteste aller Lösungen sein: Verdrängung. Breit umgesetzte sozialpolitische und damit nachhaltige Maßnahmen bleiben weitgehend aus. Es sind engagierte zivilgesellschaftliche Einrichtungen und die Nachbarschaften selbst, die Hilfe organisieren."

    Vielleicht liegt hier auch ein wesentlicher Punkt, denn die selbst organisierte Hilfe ist vielleicht als Strategie sogar gewünscht, weil gerade staatsfern(er). Es wäre zudem schon spannend zu wissen, wie diese disparaten Positionen kritisch + Hilfesuchend in Kreuzberg ideologisch zusammengehen.

    • @White_Chocobo:

      warum sollte es ein widerspruch sein, kritik zu üben und gleichzeitig untertützungsbedarf zu artikulieren, denjenigen gegenüber, die das gemeinwesen repräsentieren? man könnte das auch als demokratische praxis bezeichnen.

      ein schuh wird aus Ihrer these nur, wenn man unterstellt, dass erstens linke identität immer deckungsgleich ist mit einer 80er-jahre-mäßigen autonomen ablehnung staatlicher institutionen in toto und zweitens davon ausgeht, dass das die identität alle kreuzberger*innen ist. beides ist offensichtlich falsch.

  • Es erschließt sich mir nicht, dass ich mich mit irgendwem entsolidarisiere, wenn ich meine Haustür abends abschließe, weil es im Viertel vermehrt zu Überfällen im Hausflur oder Einbrüchen kommt.

  • Mich beschleicht das Gefühl, dass Entsolidarisierung politisch auch so ein klitzekleines Bisschen gewollt ist.



    Geld zu einem sachgemäßen Umgang mit der Drogenproblematik wird jedenfalls nicht bereitgestellt, wenn nicht mehr Druck aufgebaut wird.



    Ein andauerndes Dulden der Zustände kann allerdings von AnwohnerInnen auch nicht erwartet werden.

    • @aujau:

      Etwas dünn in der Argumentation, auf die böse Politik zu verweisen.

      Berlin hatte sechseinhalb Jahre eine rot-grün-rote Regierung. Bis heute steht Kreuzberg unter einer grünen Bezirksbürgermeisterin.

      Es gab verschiedene Versuche und diverse NGOs vom Fixmobil über Kiezläufer bis zu den Müttern ohne Grenzen.

      Stadt und Bezirk gaben Geld.

      Alles durchweg erfolglos.

      Nichts wurde besser.

      Es ist realitätsfern, jetzt so zu tun, als hätte sich nie jemand Mühe gegeben.

      Mich beschleicht das Gefühl, mehr vom Gleichen wird nicht mehr helfen.

      Niemand erwartete ein andauerndes Dulden.

      Wer das tat, machte das meist freiwillig und verstand es als Solidarität - wie Herr Rafiq es auch beschreibt.

      Das Problem ist halt, dass falsch verstandene Solidarität mit Süchtigen bedeuten kann, dass man ihnen beim Sterben zuschaut.

      Wer einen Alkoholiker in der Familie hat, weiß, was ich meine.

      • @rero:

        Ich weiß was es heißt, in einem von Alkoholsucht geprägten Umfeld aufzuwachsen.



        Trotzdem muss die Frage gestellt werden, wie dem Anwachsen der Zahlen von Süchtigen, die aus anderen Regionen nach Kreuzberg kommen, politisch begegnet werden kann. Da fehlt was.



        Ich habe übrigens nicht behauptet, dass die BzBm bzw der Senat gar nichts unternommen hat.

  • Ich komme aus der Nähe von Frankfurt und komme ab und zu beruflich durchs Bahnhofsviertel. Ich kenne die Situation in Berlin nicht mit eigenen Augen, habe aber eine klare Meinung.



    Ich bin kein sozialer Unmensch, aber die normale arbeitende Bevölkerung sollte einfach Vorrang haben. Das heißt Sucht in jeglicher Form wird nicht akzeptiert. Die Betroffenen werden festgenommen und kommen in einem Entzug, werden sozial und psychologisch betreut und man muß dann schauen ob sie sich wieder, dauerhaft, in die Gesellschaft eingliedern können.



    Die alternative wäre, einfach zusehen wie alles einfach eskaliert, also wie jetzt.

    • @Karsten Kretschmann:

      "Ich bin kein sozialer Unmensch, aber..."



      Da beschleichen mich doch Elefantengroße Zweifel, angesichts der autoritären Phantasien, die auf diese Behauptung folgen, und bei denen es mir kalt den Rücken runterläuft.

      Und dann stelle ich mir noch vor, es wäre wirklich so, dass "Sucht in jeglicher Form (..) nicht akzeptiert" werden würde und die von ihnen geforderten Konsequenzen hätte und muss am Ende doch ein bisschen lachen: Wer bliebe dann noch übrig, um all diese Menschen zu bewachen, betreuen und resozialisieren?

    • @Karsten Kretschmann:

      Soso: Sucht in jeglicher Form wird nicht akzeptiert, die Betroffenen festgenommen. Gilt natürlich nicht für aLkoholiker, gelle. Die Alternative heißt im Übrigen Soziale Arbeit. Wie erfolgreich die sein kann, hätten Sie gerade in Frankfurt der - ich glaube - End Neunziger, Anfang 2000 sehen können.

    • @Karsten Kretschmann:

      Das Problem an ihrer Idee ist der eklatante Mangel an Therapieplätzen. Aus meinem eigenen Umfeld weiß ich, dass selbst Menschen die sich aus eigenem Antrieb um diese bemühen und damit die größten Aussichten auf eine erfolgreiche Therapie haben, monatelang auf diese warten mussten.

      Der zweite Punkt ist, Zwangstherapien sind aller Regel nach zum Scheitern verurteilt, da der Wille clean zu werden die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung darstellt.

      Und drittens bedürfte es einer umfassenden Nachsorge: Wohnung, Eingliederung in Arbeit bzw. überhaupt erstmal Qualifikation für eine und Hilfe ein stabiles soziales Netz aufzubauen.

      Das sind alles Punkte, welche viel Geld kosten und wo ich leider nicht die Bereitschaft, in unserer neoliberal verfassten Gesellschaft, sehe, dieses für diese vulnerable Gruppe in die Hand zu nehmen.