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„Covidioten“ und SprachkritikAm Rande der Gesellschaft

Wer gegen Corona-Schutz demonstriert, beklagt sich schnell über Beleidigungen. Und tatsächlich gibt es bessere Bezeichnungen für sie als „Idiot“.

Mittelfinger gegen Corona-Demonstration: eine Gegendemonstrantin am Samstag in Berlin Foto: Fabian Sommer/dpa

Heute ist er ein Blödmann, wahlweise ein Tollpatsch. Vor langer Zeit war er jedoch mal etwas ganz anderes: der Idiot. In der Gegenwart zielt das Wort als Beleidigung vor allem auf die Intelligenz einer Person ab. Deshalb bekommt etwa SPD-Chefin Saskia Esken derzeit Kritik, weil sie die Teilnehmer*innen der Großdemo am vergangenen Samstag als Idioten bezeichnet hat. Bei Twitter schrieb Esken: „Tausende #Covidioten feiern sich in #Berlin als ‚die zweite Welle‘, ohne Abstand, ohne Maske.“ Dafür wird ihr wahlweise vorgehalten, dass das unter die Gürtellinie gehe oder gefährliche Verschwörungsmythen und neonazistische Bewegungen verharmlose.

Das Hashtag #Covidioten hat Esken nicht erfunden, es ist so alt wie die Pandemiemaßnahmen selbst. Noch viel älter ist dagegen der Begriff Idiot, er hieß damals aber etwas ganz anderes. Im Griechischen der antiken Demokratie waren idiotes keine, nun ja … Idioten – sondern Männer, die keine Lust hatten, am gemeinsamen politischen Prozess in der attischen Polis teilzunehmen.

Anstatt, wie vorgesehen, mit anderen wohlhabenden Männern über mondäne Realpolitik zu debattieren, blieben die idiotes zu Hause und sorgten sich nur um den eigenen Haushalt und die Vermehrung des persönlichen Reichtums.

Der Begriff meinte damals so etwas wie „Egoist“, oder, feiner, „Privatmann“. Hier nicht ge­gen­dert geschrieben, denn die politischen Meinungen von Frauen waren in der sogenannten Demokratie der alten Griechen ohnehin nicht vorgesehen, genauso wenig wie die von Männern ohne Besitz.

Wenn man also den Begriff in der ursprünglichen Bedeutung nähme für Menschen, die sich zum Wohl der Gemeinschaft noch nicht mal eine Stoffmaske überziehen möchten, dann passt es in der Tat ganz gut. Aber natürlich ist es albern, bei Begriffen danach zu forschen, wie sie früher mal gemeint waren. Sprache transportiert immer das, was sie in der Gegenwart transportiert. Idioten im griechischen Sinne, also Menschen, die sich möglichst wenig für die Politik der Vielen interessieren und dafür um so mehr für den eigenen Wohlstand, heißen heute anders. Zum Beispiel „neoliberal“.

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18 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Leute mit Beleidigungen zum guten Diskurs erziehen?



    Dazu fällt mir nur "Dialektik der Aufklärung" ein.

  • Natürlich sind die Demonstranten irre. Was denn sonst? Das sind keine besorgen Bürger. Einfach irre Menschen.

  • Vielleicht sind es keine Idioten, aber es sind Leute, die gemeinsam mit Nazis für welchen Scheißdreck auch immer demonstrieren.

    Und wenn sie nicht völlig verblödet sind, dann sehen sie auch die ganzen Reichskriegsflaggen um sich herum, sehen den großen Truck der rechtsradikalen "Patriotic Opposition", sehen wie Pressevertreter bedrängt und bedroht werden und schreien womöglich selbst "Lügenpresse".

    Mehr Eindrücke findet man hier:

    www.belltower.news...OxmkTB8huEVIkT_bQ0

    Und: Ich würde sagen, es sind keine Idioten, sondern Nazis. Oder Leute, die nichts gegen Nazis haben.

    Die wichtigsten Redner haben übrigens im Nachklapp auf Elsässers Nazi-Kanal über die Demo diskutiert.

    Und es gibt bereits eine europaweite Mobilisierung für den 29.08. in Berlin.

    Da werden es dann wohl drei Millionen sein.

    Und es ist an der Zeit, dass sich diesem Pack jeder Demokrat, jede Demokratin und die Antifa sowieso entgegenstellt.

    Nazis raus.

  • Vielleicht kann man diese Leute einfach als dumm bezeichnen. Nicht im Sinne Sarrazins, sondern eher im Sinne Kants: Auch diese Menschen haben einen Verstand, aber sie weigern sich, ihn zu benutzen.

    "Covidioten" sind aber nicht einfach Idioten, sondern es sind absurde Haltungen zu einem bestimmten Thema.

    exportabel.wordpre.../08/02/covidiotie/

  • Das wird man doch wohl noch sagen dürfen

  • Ups! Da kann man mal sehen, wie nötig Saskia Esken jede Aufmerksamkeit braucht, die sie kriegen kann. Wie nur konnte ein Mensch, der/die/das sich eigentlich für Politik interessiert, die aktuelle SPD-Chefin für eine Ministerin halten? Tsss...! Ich Trottel! (Hoffe, nun fühlt sich niemand von mir beleidigt. Wie gut, dass Vögel und Pferde keine taz-Kommentare lesen.) 🙈😨🙄

  • Zitat: „In der Gegenwart zielt das Wort als Beleidigung vor allem auf die Intelligenz einer Person ab.“

    Ich frage mich, was Eltern etwa von Trisomie21-Kindern über die Wortwahl der Ministerin denken in Zeiten, in denen andere Leute mit aller Macht gegen das N-Wort vorgehen. Ich meine: Diese Kinder würden vermutlich niemals jemanden bewusst gefährden. Denn ersten wären sie dazu intellektuell nicht in der Lage, und zweitens sind sie fast alle viel zu liebevoll.

    Wie auch immer. Vielleicht fragen sich die Eltern ja, ob in dem Fall auch nicht nach der Geschichte des Wortes gefragt werden darf. Vielleicht auch, dass es selbst unter den Beleidigten verschiedene Klassen gibt. Dass sie sich fragen könnten, was wäre, wenn wir kollektiv die Geschichte aller Worte vergessen, weil es ja doch nur um die Emotionen geht, die davon grade transportiert werden (sollen), kann ich mir leider nicht vorstellen. Zu viele negative Affekte...

    Übrigens: Diese Demonstranten sind nicht einmal „Idioten im griechischen Sinne, also Menschen, die sich möglichst wenig für die Politik der Vielen interessieren“. Denn sie interessieren sich ja durchaus. Sie sind nur ganz anderer Meinung - und glauben, dass sie dieser Meinung mit Macht zum Durchbruch verhelfen müssen. Unterscheidet sie das wirklich von ihren Gegnern?

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Sie lenken ab. Was hat jetzt Down Syndrom hier zu suchen?



      Den Eltern könnte man, den Kindern sollte man sagen:



      "Dumm ist nur, wer dummes tut!"

      Ich habe viele, nichtintelligente Menschen kennengelernt, die das richtige tun, weil sie ein großes Herz haben und viele intelligente Menschen, die nur destruktiv unterwegs waren. Die kann man auf jeden Fall verachten, denn sie wissen, was sie tun.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Dank und Hochachtung für ihren treffenden Kommentar.

  • 9G
    95692 (Profil gelöscht)

    Idiotie ist eine Krankheit und bezeichnet einen IQ unter 70 ( ?! ).

    aber auch " schwerste Intelligenzminderung, früher Idiotie, ICD-10 F73. Der Intelligenzquotient liegt unter 20. Dies entspricht beim Erwachsenen einem Intelligenzalter von unter 3 Jahren. Die eigene Versorgung, Kontinenz, Kommunikation und Beweglichkeit sind hochgradig beeinträchtigt."

    siehe auch: " de.wikipedia.org/w...istige_Behinderung "

    hat also mit dem ursprünglichem Begriff aus Griechenland nichts mehr zu tun.

  • Naja. Um genau zu sein hat Frau Esken "Covidioten" geschrieben. Wer "Idioten" darin lesen will... honi soit qui mal y pense.

    Anyway. Wie kann man aus Covid und neoliberal was basteln? Neocovidal? Coviliberal? Colibrilala?

    • @tomás zerolo:

      Coviral?

      • @mowgli:

        Der ist auch gut :)

    • @tomás zerolo:

      ich wähle: Colibrilala!!! ;~)

      • 9G
        90946 (Profil gelöscht)
        @Rufus:

        Colibrilala ist schön, das wähle ich auch! Allerdings klingt es eher süß und harmlos. Vielleicht passt Neocovidal doch besser.

  • Meine ältere Verwandtschaft, unter ihnen eine über 80jährige pensionierte Virologin, nennen diese ganzen Leute und den Trump "dumm". Die seien dumm, sowas könne man nicht verstehen.



    Es stimmt natürlich: bei all den Hassreden von Heiko Schrang und der Rassenideologie der Impfgegner wie GNM Hamer und Loibner, ist "Idiot" sicher sehr verharmlosend.



    Ist ja alles freiwillig heute.



    Endlich hat die SPD eine etwas weiter links lagernde Führung, die nicht jede Autokaufförderung mitmacht. Das nenne ich "sehr intelligent."

    • @nzuli sana:

      Daumen hoch!

  • Vielleicht ging's auch drum, den Begriff möglichst schnell von der "richtigen" Seite her zu besetzen. Er hätte problemlos auch von den Corona"leugnern" für die verwendet werden können, die "naiv" den Maßnahmen der Regierung Folge leisten.

    Die Begriff in Anführungszeichen können hinterfragt werden.