Coronavirus in den USA: Nur Trump sorgt sich nicht
Unklare Fallzahlen, große Gefahr der Ausbreitung: Die Mängel des Gesundheitssystems in den USA zeigen sich bei Corona in aller Dramatik.
„Wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut“, hat Donald Trump ein ums andere Mal versichert, seit das Coronavirus erstmals in China aufgetaucht ist. Im Gegensatz dazu versuchten die Spitzen der US-Behörden für Epidemie- und Seuchenbekämpfung, einzelne Bundesstaaten und Städte, oppositionelle Demokraten und sogar vereinzelt Republikaner das Land trotz und gegen den US-Präsidenten auf die Pandemie vorzubereiten. Trump tat derweil das, was er am besten kann: desinformieren, prahlen, Verschwörungstheorien verbreiten.
In Sachen Coronavirus übertraf Trump dabei seine bisherigen Fälle von Realitätsverweigerung. Unter anderem widersprach er den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation, als er im Fernsehsender FoxNews sagte, nach seinem „Gefühl“ werde die Sterblichkeit niedriger sein, als die WHO sage. Bei einer Pressekonferenz prognostizierte er, dass das Virus „im April mit den höheren Temperaturen auf wundersame Art“ verschwinden werde.
Als eine erste Schule wegen positiver Tests geschlossen werden musste, konterkarierte der Präsident die Nachricht mit der Behauptung, die meisten Virusinfektionen verliefen so unauffällig, dass die Infizierten weiter arbeiten könnten. Und immer wieder lobte er sich selbst für die „große Entscheidung“, die US-Grenzen frühzeitig für Chinesen zu schließen.
Erst nachdem die New Yorker Börse am Montag ihren schwersten Einbruch seit mehr als zehn Jahren erlebte, war Trump bereit, zusätzliche Schritte zu tun. Am Montagabend kündigte er bei einer Pressekonferenz mit der „Corona Virus Task Force“ finanzielle Unterstützung für einzelne Gruppen von Betroffenen an.
Lückenhafte Erfassung von Corona-Infektionen
So will er dem Kongress vorschlagen, die Lohnsteuern zu senken, um Arbeitgeber vor den ökonomischen Folgen der Pandemie zu schützen. Und so will er besonders schwer betroffenen Unternehmen – Hotels, Kreuzfahrt- und Luftfahrtbranche –, aber auch Beschäftigten, die auf Stundenlohnbasis arbeiten, finanziell unter die Arme greifen.
Unterdessen hat sich das Virus in den USA ausgebreitet. Die Statistiken suggerieren, dass es dabei deutlich mehr Todesopfer fordert als anderswo. Nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität hatten sich bis Montag 607 Menschen in den USA mit dem Virus infiziert, 22 waren bereits an den Folgen gestorben. Das ist jeder 28. In Deutschland waren bis zum gleichen Tag 1.176 Menschen infiziert, doch es gab nur zwei Tote. Vermutlich sagen die US-Zahlen wenig über die tatsächliche Sterblichkeit aus, mehr über die lückenhafte Erfassung der Ausbreitung des Virus mithilfe von Tests.
Empfohlener externer Inhalt
Während andere Länder längst Tests in großem Umfang machten, fehlte in den USA das nötige Material. Erst für diese Woche versprechen Trump und der Vorsitzende seiner Task Force, Vizepräsident Mike Pence, in dem 320-Millionen-Einwohner-Land eine Million Tests und bis zum Wochenende weitere vier Millionen Tests zur Verfügung zu stellen.
Wie keine andere Gesundheitskrise weist das Corona-Virus auf die tiefen Mängel in der medizinischen und sozialen Versorgung in den USA. Rund 20 Millionen Menschen haben gar keine Krankenversicherung, 44 Millionen weitere sind unterversichert und müssen dermaßen hohe Eigenanteile zahlen, dass sie sich de facto keine Arztbesuche leisten können. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Bundesregelung über Krankentage gibt.
Kaum Hürden für eine Pandemie
Wer wegen Krankheit nicht zur Arbeit kommen kann, bekommt nur selten Lohnfortzahlungen. Die niedrigen Löhne sowie der Umstand, dass die Mehrheit US-amerikanischer Haushalte keine Sparrücklagen besitz, tun ein weiteres. Alles zusammen genommen sorgt dafür, dass viele Beschäftigen gezwungen sind, auch im Krankheitsfall weiter zu arbeiten. Seit dem Beginn von Trumps Präsidentschaft sind die staatlichen Forschungseinrichtungen, die Krankenhäuser und die Behörden zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Epidemien zusätzlich mit Haushaltskürzungen konfrontiert.
Die effiziente Eindämmung einer Pandemie ist unter diesen Umständen schwierig. Bislang haben nur einzelne Bundesstaaten wie New York entschieden, dass alle Bewohner – auch solche, die keine Krankenversicherung haben, und solche, die papierlos in den USA leben – bei Verdacht auf eine Corona-Infektion einen Test machen können, den sie nicht aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Der Vorsitzende von Trumps „Corona Task Force“, Vizepräsident Pence, hat schon an einer früheren Station seiner Karriere, als Gouverneur von Indiana, folgenschwere Fehlentscheidungen in einer Gesundheitskrise im Scott County getroffen: Der fundamentalistische Christ Pence entzog dem Familienplanungszentrum den Etat, in der Folge gab es in dem County keine HIV-Tests mehr. Er verhinderte auch den Austausch von Nadeln. Wenige Monate später gab es in dem County mehr als 100 neue HIV-Infektionen.
Zur gleichen Zeit, als Trump und Pence im Weißen Haus gestikulierten, hielt Bernie Sanders in Detroit einen „Corona-Gipfel“ mit Epidemiologen, Ärzten und Krankenschwestern ab. Der „demokratische Sozialist“ tritt in seinem Wahlkampf für die demokratische Präsidentschaftskandidatur für eine allgemeine, staatliche Krankenversicherung für alle ein. Jetzt gibt ihm die Corona-Krise recht. „Wir sind das einzige große Land, das keine garantierte Gesundheitsversorgung für alle hat“, sagt Sanders, „das müssen wir ändern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!