Coronavirus in China: Kein Wiedersehen im Jahr des Ochsen
An diesem Neujahrsfest werden viele Chinesen auf ihren Familienbesuch verzichten müssen. Für Wanderarbeiter ist das besonders bitter.
„Normalerweise arbeite ich bis kurz vorm Neujahrsfest, denn dann kaufen die Leute nochmal ordentlich ein“, sagt sie. Danach besuche sie stets ihren Sohn, der 700 Kilometer südlich in der Provinz Shandong bei seiner Großmutter aufwächst. Im bald beginnenden Jahr des Ochsen muss die Familienvereinigung jedoch ausbleiben – zu streng sind die Reisebeschränkungen und Quarantäne-Auflagen.
Millionen Chinesen werden beim wichtigsten Fest des Jahres ihre Verwandten nicht wiedersehen können. Das laut Mondkalender am 12. Februar gefeierte Neujahrsfest bezeichnen viele Medien als „größte Völkerwanderung der Welt“, schließlich sind normalerweise fast die Hälfte der 1,4 Milliarden Einwohner dann auf Reisen. Im letzten Jahr sorgten die Neujahrstage dafür, dass das Coronavirus von Wuhan in sämtliche Provinzen verschleppt wurde – ein Szenario, dass 2021 unbedingt verhindert werden soll.
Ein offizielles Reiseverbot gibt es nicht, jedoch etliche Hindernisse. Seit sich in China nach Monaten ohne Infektionen wieder einzelne Infektionsstränge ausbreiten, muss laut der nationalen Gesundheitskommission jeder Chinese, der in ländliche Gegenden fährt, nicht nur einen aktuellen Covidtest vorzeigen, sondern auch eine 14-tägige „Gesundheitsbeobachtung“ absolvieren, bei der die eigene Körpertemperatur mehrmals täglich durchgegeben wird. Manche Dörfer haben zudem aus Angst vor importierten Virusfällen ihre Grenzen komplett dichtgemacht.
Wanderarbeiter in Parallelgesellschaft
Diese Maßnahmen, so haben viele Nutzer in den sozialen Medien kritisiert, betreffen weniger Chinas urbane Eliten, sondern vor allem die 300 Millionen Arbeitsmigranten, die aus den unterentwickelten Hinternlandregionen zum Geld verdienen in die Küstenmetropolen gezogen sind. Für viele von ihnen kommt ein ausgefallenes Neujahrsfest einer persönlichen Tragödie gleich. Schließlich können sie ihre zurückgelassenen Kinder und Eltern oft nur einmal im Jahr sehen.
Zehntausende Arbeitsmigranten leben in der Siedlung Picun an der östlichen Peripherie Pekings. Weit hinter dem fünften Stadtring, vorbei an Heizkraftwerken und Hochspannungsmasten liegt das ummauerte Wohnviertel, an dessen Eingang schwarzuniformierte Männer mit russischen Fellmützen darauf achten, dass jeder Besucher auf seinem Smartphone in der Corona-App einen „grünen Gesundheitscode“ vorweist.
In den engen Gassen offenbart sich schließlich eine Stadt in der Stadt: Auf engstem Raum reihen sich Friseurläden und Handygeschäfte, kleine Ecklokale und Gemüsemärkte.
Eine kleingewachsene Müllsammlerin mit gebücktem Rücken schlurft mit einem grauen Sack im Schlepptau durch die Marktstraße. Sie sei aus der bergigen Sichuan-Provinz nach Peking gezogen, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Sohn wohnt sie hier, doch ihre drei Enkel leben nach wie vor in der weit entfernten Heimat. „Dieses Jahr können wir sie nicht sehen“, sagt die 70-Jährige: „Mein Sohn hat eine Vollzeitstelle. Er kann es sich nicht leisten, bei der Rückkehr 14 Tage in Quarantäne zu müssen.“
Doch neben den Strafmaßnahmen haben Pekings Regierungsbeamte auch etliche positive Anreize gesetzt, um die Bevölkerung zu einem „friedlichen und gesunden“ Neujahrsfest zu motivieren. Unternehmen wurden aufgefordert, den daheim gebliebenen Arbeitsmigranten Verdienstmöglichkeiten zuzusichern. Streamingdienste bieten kostenlose Filme an, touristische Sehenswürdigkeiten Preisnachlasse und die großen Telekommunikationsanbieter 20 Gigabyte kostenloses Datenvolumen.
Mehr Sicherheitskräfte als Reisende
Am Vorplatz des Pekinger Zentralbahnhofs, wo um diese Jahreszeit üblicherweise Tausende Arbeitsmigranten mit ihrem Hab und Gut auf ihre Züge warten, herrscht an diesem sonnigen Februarvormittag gähnende Leere: Nur ein paar Dutzend Chinesen ruhen sich in der Wintersonne auf ihren Reisekoffern aus, schlagen die Zeit mit Handy-Videos schauen und rauchen tot.
Vor dem sozialistischen Prachtbau sind die Passagiere zahlenmäßig gar den Sicherheitskräften deutlich unterlegen: Eine junge Rekrutenkompanie in olivgrünen Wintermänteln patrouilliert über den mit Gittern abgezäunten Bahnhofsplatz, unzählige Polizisten wärmen sich in geparkten Reisebussen auf.
Viele Chinesen werden froh sein, wenn mit dem 12. Februar das Jahr der Ratte – seit 2020 unweigerlich mit dem Corona-Ausbruch verbunden – endlich vorüber sein wird. Dass das Jahr des Ochsen ein gutes wird, darüber macht sich der Taxifahrer Li Kai gar keine Sorgen.
Er stammt aus einer Satellitenstadt Pekings, wo seine Frau und die vier Kinder nach wie vor leben. Das Virus ist in Lis Leben längst kein Thema mehr, viel Zeit zum Grübeln bleibt in seinem Alltag ohnehin nicht. „Ich arbeite hart, um meine Familie durchzubringen“, sagt der Mittvierziger mit der Kurzhaarfrisur. Um sechs Uhr fängt seine Schicht an, erst um elf Uhr abends macht er Feierabend. Wer in sein weißes Taxi einsteigt, muss eine Maske tragen und sich per QR-Code mit seinem Smartphone registrieren.
Seine Familie plant er trotz der Reisebeschränkungen zu besuchen. „Zwar muss ich in meiner Heimatstadt offiziell eine 14-tägige Selbstisolierung machen, aber streng überprüfen tut das niemand“, sagt Li Kai. Und ohnehin sei er bereits geimpft worden, sagt er. Die zweite Dosis folge noch im Februar.
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