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Coronavirus im Zahlen-CheckAnsteckende Angst

Mit Zahlen wird Politik gemacht – und Panik. Deshalb lohnt auch beim Coronavirus ein zweiter Blick auf die kursierenden Statistiken.

Die Infektionszahlen im Iran gelten als unklar. Straßenszene in Teheran Foto: Vahid Salemi/ap

BERLIN taz | Mehr als 90.000 Corona-Infizierte weltweit zählt das Robert-Koch-Institut. Stündlich werden es mehr. Bei Erscheinen dieses Textes dürfte die 100.000er Marke überschritten sein. Und ganz sicher werden die meisten Medien genau dann diese Zahl hervorheben – und einmal mehr Panik schüren.

Was hingegen unerwähnt bleibt: In einigen Ländern, allen voran im Ursprungsland China selbst, sind viele Infizierte schon wieder genesen – und damit nicht mehr ansteckend. Die besonders heftig betroffene chinesische Krisenprovinz Hubei verzeichnet seit Beginn des Ausbruchs fast 68.000 Infizierte. Ansteckend sind aktuell aber nur noch 29.000, Tendenz weiter fallend. In den Metropolen Schanghai, Guangzhou oder Tianjin ist die jeweilige Zahl der aktuell Infizierten sogar auf unter 50 gefallen. Trotzdem traut sich auch weiter kaum jemand in diese Städte.

Singapur, wo es anfangs mit 100 Infizierten den außerhalb Chinas heftigsten Ausbruch gab, zählt aktuell 25 Erkrankte. Der südostasiatische Stadtstaat wird in der Rangliste immer noch weit vorne aufgeführt. Das anfangs ebenfalls als Sorgenland aufgeführte Vietnam gilt inzwischen als coronavirenfrei. Touristen bleiben aber auch diesem Land fern.

Dabei wäre die Angabe der Zahl der Infizierten, die tatsächlich noch ansteckend sind, sehr viel aufschlussreicher. Daran lässt sich ablesen, wie groß die Gefahrenlage aktuell wirklich ist. Und auch die Angabe, wer die Infektion überstanden hat, könnte von Erkenntnisgewinn sein. Daraus lässt sich beurteilen, wie erfolgreich ein Land bei der Virusbekämpfung ist. China und Singapur sind es.

Es ist also auszugehen, dass es in Deutschland eine hohe Dunkelziffer gebe, lautet der Einwand.

Keine Pauschalurteile

Das Tolle am menschlichen Immunsystem: Nach einer überstandenen Infektion mit einem Erreger ist es bei vielen Viren imstande, Antikörper zu entwickeln, die vor einer erneuten Ansteckung mit derselben Krankheit zumindest für eine Weile schützen. Beim aktuellen Coronavirus Sars-CoV-2 ist zwar noch nicht genau bekannt, wie sich das menschliche Immunsystem verhalten wird. Aber in Analogie zu verwandten Coronaviren gehen Virologen aktuell davon aus, dass der Schutz bei ehemals Erkrankten einige Jahre anhält. Meldungen der vergangenen Woche, eine Japanerin, die bereits als infektionsfrei galt, habe ein zweites Mal schwere Symptome entwickelt, sind widerlegt. Sie war einfach noch nicht vollständig genesen.

Nun kommt der Einwand, die Zahlen rund um die Corona-Infizierten seien generell mit Vorsicht zu genießen. Die Zählweise würde in den Ländern eh unterschiedlich gehandhabt. Das mag auf einige Länder zutreffen. Doch Vorsicht vor Pauschalurteilen. Abgesehen vielleicht vom Iran hat sich bei den meisten Regierungen die Erkenntnis durchgesetzt, dass mit möglichst korrekten Zahlen zu hantieren ist. Denn je akkurater die Zahlen sind, desto mehr ist dem eigenen Gesundheitssystem gedient. Nur so lassen sich Maßnahmen identifizieren, die wirklich nützen.

Und Deutschland? Die deutschen Behörden haben bis vor zwei Wochen noch komplett darauf verzichtet, aktiv mit Tests und Fiebermessen potenzielle Corona-Infizierte aufzuspüren. Und auch jetzt gilt: Tests seien nur sinnvoll, wenn jemand Symptome einer Erkrankung der oberen Atemwege aufweist und in einem Risikogebiet war oder womöglich Kontakt zu einem Infizierten hatte. Es ist also davon auszugehen, dass es eine hohe Dunkelziffer gebe, lautet der Einwand.

Nur weil deutsche Behörden das so lax handhaben, heißt das noch lange nicht, dass das in allen Ländern der Fall ist. Singapur zum Beispiel hat sofort nach Bekanntwerden umfassend getestet. In Südkorea ist das derzeit der Fall. Wenn im Fall von Singapur auch die Zahl der Genesenen entsprechend gewürdigt werden würde, wäre vielleicht auch hierzulande die Panikrate ein Stück weit geringer.

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9 Kommentare

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  • RS
    Ria Sauter

    Deutschland ist nicht gerüstet .Jens Spahn redet gerne im Fernsehen, da bleibt wenig Zeit für Initiativen.

    Der erste Fall im Saarland wurde so möglich:



    "Der Arzt hatte grippeähnliche Symptome bei sich selbst festgestellt, teilte Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) bei der eigens einberufenen Pressekonferenz am Dienstag mit. Er habe sich vermutlich am vergangenen Freitag bei einem Ärztekongress in Frankfurt angesteckt. Dort hatte er Kontakt zu einem positiv-getesteten Arzt aus Berlin."

    Es gibt in Zeiten wir diesen die Möglichkeit von Videokonferenzen. Anscheinend hat sich das noch nicht herumgesprochen.

    Und auch die Ausstattung läßt zu wünschen übrig:



    Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 03.03.2020 berichtet.



    "Künftig sollen ebenfalls Schwerpunktpraxen benannt werden, in die Patienten weiterverwiesen werden können. Es sei sichergestellt, dass dort Test-Kits für Proben und Schutzkleidung für die Mitarbeiter vorhanden sind. Damit sei noch nicht jede Praxis im Saarland ausgestattet."

  • Ich finde es fahrlässig, wie wenig in Deutschland getan wird. Unsere Politiker sind zum großen Teil unfähig, Entscheidungen zu treffen. Großveranstaltungen hätten schon lange abgesagt werden müssen, Kita- und Schulschließungen hätte man auch in Erwägung ziehen müssen. Jetzt ist es fast schon zu spät. Ich war vorgestern noch auf der Uni. Das selbe Problem.



    Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht, aber Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

  • Die Zahlen in China gehen einzig und allein deshalb zurück, weil China diesem Virus buchstäblich den Krieg erklärt hat und dafür auch eine kollabierende Wirtschaft in Kauf nimmt.

    Die Provinz Wubei mit 60 Millionen Einwohnern ist hermetisch abgeriegelt und in dieser Provinz steht praktisch alles still. Schulen und Unis sind geschlossen, alle nicht lebensnotwendigen Betriebe sind geschlossen, Nah- und Fernverkehr eingestellt, private Autofahrten verboten, Millionen von Menschen stehen unter Hausarrest und es darf nur alle paar Tage einer pro Haushalt einkaufen gehen, mit Kontrollen.

    Die WHO warnt ausdrücklich davor, die positiven Nachrichten aus China einfach als natürliche Entwicklung hinzunehmen - sie sind Folge von drakonischen und konsequenten Maßnahmen und jedes Land, das das nicht tut, wird es um Größenordnungen schlimmer erwischen als China.

    Hier in Deutschland werden viele Veranstaltungen nicht abgesagt, weil (so OB Geisel aus dem Hotspot Düsseldorf) "das ja das öffentliche Leben zum Stillstand bringen würde". Ja, genau. Genau das muss man tun, wenn man nicht einfach eine exponentielle Ausbreitung des Virus hinnehmen will. Denn wenn man das tut, wird das hier noch viel schlimmer werden als in China.

    Und das passiert in allen Ländern. Alle nehmen das nicht ernst, bis es zu spät ist. Jeder Infizierte infiziert im Schnitt 2 bis 3 weitere Menschen. Das vermehrt sich wie Kaninchen auf einer riesigen grünen Wiese ohne natürliche Feinde, nur schneller, nämlich in Durchschnitt mit einer Verdoppelung der Zahl der Infizierten alle 6,4 Tage.

    Gut 6% der Infizierten erkranken so schwer, dass sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Solange Platz auf den Intensivstationen ist.

    In Italien ist vor 10 Tagen der erste gestorben und jetzt sind es über 50. Und das ist erst der allererste Anfang, denn ohne massive Eingrenzungen werden es immer nur mehr und mehr und mehr Infizierte werden.

    • @Mustardman:

      Ein guter Kommentar. Wenn wir Einschränkungen vermeiden, statt Vorbeugung "die Mitte" suchen (Merkel) oder mehr Angst vor Unruhe in der Bevölkerung als vor dem Virus haben, wird sich das Virus stärker ausbreiten. Die drastischen Maßnahmen kommen dann dennoch - nur etwas später, deutlich drastischer und vor allem länger. Gleichzeitig sterben Tausende, die nicht hätten sterben müssen.



      In den USA thematisieren die Demokraten die Unfähigkeit der Trump-schen Regierung. In Deutschland bleiben die taz und die linke Opposition ruhig.



      Es wird gewarnt - aber vor den Warnenden. Warnung wird als Panikmache dargestellt.

  • Führt eigentlich Sars-CoV-2 bei EDV-gestützten Textverarbeitungssystemen zur Bildung von ineinander verschachtelten Doppelsätzen?

  • Und genau warum stuft die ECDC das Risoko einer Verbreitung von Corona dann hoch? Achso weil es sich in Europa zur Zeit fantastisch verbreitet und wir nicht in China leben und es hier auch keine Maßnahmen wie in China geben wird. Es wird angenommen dass sich bis zu 70% infizieren könnten, was auch nicht schlimm wäre wenn es langsam passiert und nicht zu viele auf einmal. Dass aber schon jetzt das Gesundheitssystem an seinen Grenzen kommt ist auch nicht zu bestreiten. Und in den USA geht die Panik erst jetzt richtig los.



    Ich habe persönlich überhaupt keine Angst zu erkranken, aber die wirtschaftlichen Verwerfungen sind bei weitem nicht absehbar. Nicht umsonst senkt die FED den Leitzins um einer Rezession entgegen zu wirken. Was Sorge macht ist dass diese Senkung an den Börsen heute wie ein Tropfen auf den heißen Stein verpufft ist und der DOW gerade bei -1,8% liegt.



    Wir werden erst in einigen Wochen sehen was das alles bedeutet.



    Wenn ich aber lese dass wegen einem Corona Fall bei BMW ganze 150 Mitarbeiter für 2 Wochen zu Hause bleiben müssen, dann ist das keine Fantasie oder Panikmache sondern ein Fakt der wirtschaftliche Folgen hat. Genauso wie eine Vielzahl abgesagter Messen/ Urlaube/Flüge etc. Zum Glück sind wir kein Urlaubsland.

    • @Howan:

      Die Leitzinssenkung dürfte anlässlich Corona umsonst sein. Denn damit soll die Kreditaufnahme für Investitionen angereizt werden.

      Nur wer investiert, wenn die Arbeitnehmer massenweise wegen einer Erkrankung zuhause bleiben müssen.

      Würden Sie als Unternehmer aktuell in Wuhan investieren, wenn niemand da ist, den man mit dem zusätzlichen Geld bezahlen könnte, dass er etwas für einen tut?

    • @Howan:

      Ja ist doch Bestens! Es werden weniger Dinge produziert und verkauft die die Welt nicht braucht und die die Welt zugrunde richten. Aus Aida-Kreutfahrern werden Gefangenen-Schiffe. Messehochglanzveranstaltungen wird abgesagt. Es wird erheblich weniger geflogen, weniger gereist. Negativ-Wachstun - alles was wir brauchen! Danke Corona!

      • @Woba:

        Auf wessen wirtschaftliche Kosten glauben Sie wird das wohl gehen?



        Ach ja richtig, bei der "richtigen" Lebensweise reicht Hatz 4 ja wahrscheinlich locker aus.