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Coronaproteste in HamburgKein bisschen Frieden

In Hamburg brachte die Sorge vor Impfungen am Wochenende mehrere tausend Menschen auf die Straße. Der Senat verhängte eine Maskenpflicht für Demos.

Mit Aluhut und Holzkreuz: Teilnehmer der Hamburger Coronademo am Samstag Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Ohne Maske und Abstand: Am Samstag waren in Hamburg wieder Quer­den­ke­r:in­nen und Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen auf den Straßen. Das organisierte Auftreten ohne die allgemein gültigen Maßnahmen gegen die Pandemie ist längst ein symbolischer Akt. Hoch politisch, hoch emotional war dann auch die Atmosphäre. Wer eine Maske trug, outete sich sogleich, kei­n:e ver­meint­li­che:r Freiheits- und Grund­rech­te­ver­tei­di­ge­r:in­ zu sein – also nicht zum gebotenen Widerstand zu gehören.

Redende der Bewegung verglichen die Bundesrepublik schön öfter mit dem Nationalsozialismus

Die Demonstration könnte die letzte offiziell angemeldeten Aktion dieser Form gewesen sein. Der Hamburger Senat hat am Dienstag die Maskenpflicht bei Demos beschlossen. Weitere Maßnahmen für Versammlungen werden überprüft.

Die Auflagen dürfte das schon bestehende Narrativ der angeblich bestehenden Diktatur befeuern. „Fällt der Maulkorb, fällt das verfassungsfeindliche Corona-Regime!“ stand am Samstag auf einem der vielen selbstgemalten Protestschilder. Ein älterer Herr, gediegen gekleidet mit Hut, hatte sich das Schild auf den Rücken geschnallt. Schlichter Gekleidete, aber auch alternativ Ausstaffierte waren zu der Demonstration gekommen. Die Veranstaltenden sprachen von 13.000 Protestierenden, die Polizei von 8.000 Teilnehmenden.

Zum Auftakt schimpfte ein Redner vor der Kunsthalle in der Innenstadt über einen der Lautsprecherwagen gegen Bürgermeister Peter Tschen­tscher (SPD) „und wie die alle heißen“. Er drohte: „Sie alle werden zur Rechenschaft gezogen!“

Nicht der erste Vergleich mit dem Nationalsozialismus

Auf einem anderen Schild steht „Nürnberg“. Vielleicht eine Andeutung, dass man sich ein Gerichtsverfahren gegen die für die Maßnahmen Verantwortlichen vorstellt. Die Botschaft ist zugleich eine Gleichsetzung von der Bundesrepublik mit dem Dritten Reich. Von 1945 bis 1949 standen in Nürnberg einige Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Redende der Bewegung verglichen die Bundesrepublik schon öfter mit dem Nationalsozialismus. An der Alster ragte aus der großen Masse auch ein kleines Schild heraus: „Nein zum Corona-Faschismus“.

In vielen Städten im Norden – Hannover und Lüneburg, Kiel und Flensburg, Bremen und Bremerhaven – fanden in den vergangenen Tagen Proteste statt. Der Höhepunkt der Demonstrationen schien eigentlich vorbei. Doch der Schein trog, denn die Bewegung war nie weg; sie hat sich zudem radikalisiert. Nicht, weil Rechtsextreme sich von Beginn mit einreihten, sondern aus ihren eigenen Positionen heraus: Das Masketragen wurde schon als Bevormundung stigmatisiert, die Impfmöglichkeit wird mittlerweile als Angriff auf den eigenen Körper angefeindet. Die Abwehr mit allen Mitteln scheint geboten – wenn die Einträge in den Telegram-Kanälen der Bewegung ernst genommen werden.

Im deutschsprachigen Raum herrscht seit Beginn der Möglichkeit zur Impfung Anfang des 19. Jahrhunderts eine Skepsis. Vor allem aus dem bürgerlichen Milieu wurde damals das Impfen als Eingriff auf den eigenen Körper gesehen, welcher der Natur, Schöpfung oder Spiritualität zuwiderlaufe. So unterschiedlich die Begründungen für die Skepsis waren, so gemein haben sie die Annahme, dass die Immunisierung die Selbstheilung des Körpers verhindere. Diese Naturheilung wird bis heute als alternative Medizin gegen die sogenannte Schulmedizin gestellt.

In der Debatte um die Impfkritik wird auf die deutsche Romantik verwiesen, die einen Kult um Natur und Gefühl betrieb. Die sich anbahnende Moderne, mit Vernunft und Logik die Welt zu beherrschen, wurde beklagt. „Entzauberung“ nennt der Soziologe Max Weber das 1919 in „Wissenschaft als Beruf“. Er warnte vor dem antirationalistischen Wunsch, durch ein Zurück „zur eigenen Natur und damit zur Natur überhaupt“den Intellektualismus zu überwinden.

Lieder von Hannes Warder und Nicole

In der berechtigen Kritik an der Moderne wegen der Entfremdung des Menschen von sich, seinen Mitmenschen und der Natur werden aber kaum gesellschaftlichen Bedingungen, die auch schon im 19. Jahrhundert zu Umwelt- und Naturzerstörung führten, angeprangert. Statt kritischer Aufklärung erfolgte eine unkritische Sehnsucht nach einer anfänglichen un-entfremdeten Urgemeinschaft. Diese Annahme einer geschlossenen Gemeinschaft ist alleine schon eine Ambivalenz zu rechtem Denken. Diese Verzauberung der Welt bedingt Irrationalismus und Esoterik und geht mit einer Wissenschaftskritik einher, die zu Wissenschaftsfeindlichkeit oder Verschwörungsnarrativen führen kann.

Am Samstag blieb die Kritik am Impfen nicht bloß das dominante Thema, die gegenwärtigen Narrative über „Gates“ & Co. waren ebenso virulent. Die Diversität der Teilnehmenden wurde auch sicht- und hörbar: Über ein Megaphon schallte „Die Internationale“ in der Interpretation von Hannes Wader, über einen anderen Lautsprecher „Ein bisschen Frieden“ von Nicole.

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