Corona und die Fußballer-Bubble: Nadeln lassen Blasen platzen
Werder Bremens Trainer Markus Anfang soll sein Impfzertifikat gefälscht haben. Der Fall sagt viel über die Rolle des Fußball in der Gesellschaft aus.
U ps, da war der Trainer weg. Markus Anfang musste am Samstag kurz vor dem Zweitligaspiel gegen Schalke 04 von seinem Posten bei Werder Bremen zurücktreten, ehe der Klub ihn hinausgeworfen hätte.
Anfang, der mitgeteilt hatte, er sei gegen Corona geimpft, soll ein gefälschtes Impfzertifikat benutzt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, nach dem das Bremer Gesundheitsamt Strafanzeige gestellt hatte. Von Werder ist zu hören, die Vorwürfe seien „massiv“ (Geschäftsführer Frank Baumann) und es gebe eine „sehr klare Indizienlage“ (Cogeschäftsführer Klaus Filbry). Von Anfang war bislang nur zu hören, an den Vorwürfen sei nichts dran.
Unterstellen wir, was nicht bewiesen, aber doch wahrscheinlich ist: dass Markus Anfang monatelang während einer Pandemie ungeimpft den Trainingsbetrieb einer Profimannschaft geleitet hat. Ist das eine Verlängerung oder Neuauflage des Fall Kimmich? Reiht sich Anfang also bloß ein in die immer länger werdende Liste Fußballprominenter (Kimmich, Gnabry, Musiala, Choupo-Moting …), die sich nicht impfen lassen mögen?
Nein, ist es nicht. Wenn die bisherige politische Ablehnung einer Impfpflicht ernst zu nehmen ist, dann sind selbstverständlich die Entscheidungen von Kimmich und Kollegen, sich den Piks nicht geben zu lassen, zu respektieren – auch wenn man sie falsch findet (und ich finde sie sehr falsch). Anfang hingegen soll getäuscht, also gelogen haben. Das ist etwas anderes.
Rodgers, Daum und Anfang
Ist die Causa Anfang also beispiellos in der Welt des Sports? Nein, der jüngste vergleichbare Fall dürfte der des Footballprofis Aaron Rodgers sein, Quarterback des NFL-Klubs Green Bay Packers. Der hatte ähnlich wie Anfang stets verkündet, er sei immunisiert, was alle als „geimpft“ verstanden, weswegen er etwa bei Pressekonferenzen keine Maske trug. Als er dann positiv getestet wurde, stellte sich heraus, dass er auf homöopathische Methoden gesetzt hatte. Von ihm war dann zu hören, er sei allergisch auf den Impfstoff.
So etwas hat Markus Anfang nicht, vielleicht noch nicht gesagt. Was jedoch Anfang mit Rodgers (und auch in gewisser Weise mit Kimmich) eint, ist, dass sie Covid19 nicht so recht ernst nehmen. Von der Pandemie bedroht, das sind nur die anderen, man selbst lebt dauerhaft in seiner Spitzensportlerblase, ein Bundesligafußballer wird doch stets getestet, privilegiert sind die Herren Profis seit Beginn der Coronakrise vor anderthalb Jahren (wie selbstverständlich wird nicht über die Frauenliga gesprochen).
Die dominante Ideologie, Sport habe mit Politik und Gesellschaft nichts zu tun, wird von großen Teilen des fußballerischen Personals so ausgelebt, dass solche Kräfte einem selbst doch nichts können: Ob der Fußballtrainer Christoph Daum im Jahr 2000 ernsthaft glaubte, bei einem wie ihm müsse ein Kokaintest anders ausfallen als bei anderen Koksern. Ob immer wieder Fußballprofis mit 120 Sachen durch geschlossene Ortschaften rasen. Ob (mir scheint: immer häufiger) Fälle von sexueller Nötigung durch Profis bekannt werden. Oder ob sich nun Profis selbst eine Immunität gegenüber Covid19 attestieren. Immer ist es eine ausgelebte Asozialität. Immer ist es die zutiefst neoliberale Attitüde, man selbst sei für nichts verantwortlich und Mitmenschen könnten einen gefälligst kreuzweise lecken.
Nun könnte man meinen, mit der Demission Markus Anfangs und den Ermittlungen der Bremer Staatsanwaltschaft sollte diese Blase bald platzen. Doch gegen diesen Optimismus sollte die Macht des Fußballs nicht unterschätzen. Nach dem Spiel Bremens gegen Schalke war keinesfalls Anfangs vermutlich gefälschter Impfpass das Topthema, sondern ein umstrittener Elfmeter in der letzten Spielminute. Der Fußball verteidigt weiterhin erfolgreich seine kulturelle Hegemonie. Und ein Hegemon glaubt immer, er dürfe sich alles erlauben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris