Corona in der Gastronomie: Die Schlacht ums kalte Buffet
In der Gastroszene wird gemunkelt, das Coronavirus mache den Buffets den Garaus. Wäre das so schlimm?
ja!
Zuerst die süß-saure Peking-Suppe. Dann das glasierte Schweinefleisch, Curry mit Rindfleisch, Garnelen mit Gemüse. Dazu wenig Reis und nicht zu lange warten, sonst setzt das Sättigungsgefühl ein. Hatte ich das knusprige Hähnchen schon? Zwischendurch zwei, drei Sushi-Rollen und zum Schluss gebackene Bananen und Litschis. Herrlich!
Vor zwei Wochen prophezeite an dieser Stelle der Gastronomieberater Jörg Reuter, angesichts von Corona sei das Buffet tot. Für den Moment ist das nachvollziehbar: Zu viele Leute auf zu engem Raum, alle fassen alles an, ein epidemiologischer Albtraum. Aber auf Dauer? Ich hoffe, bete, wünsche, dass er unrecht hat.
Buffet ist Freiheit, ist ein Stück Maßlosigkeit in einer Zeit, in der so viele achtsam leben wollen. Buffet heißt schlemmen, genießen, probieren. Buffet heißt auch mal Kontrollverlust, wie in einer langen Partynacht, in der man irgendwann weiß, eigentlich hab ich genug, aber ein bisschen mehr geht noch. Ein letztes Glas. Und noch eins.
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Beim Buffet kannst du alles haben. Kein neidischer Blick mehr auf den Teller der Begleitung, die mit dem grünen Curry die bessere Wahl traf. Pah, hol ich es mir eben auch. Jeder kann alles haben, jeder darf alles sein.
Buffets sind auch für Kinder ein Traum – und deren Eltern. Die Tränen, wenn die Bolognese doch nicht so schmeckt, lassen sich mit einem frischen Teller und zwei Pizzastücken sofort trocknen. Warum gibt es eigentlich so wenig italienische Buffet-Restaurants?
Überaus verbreitet dagegen: das Frühstücksbuffet. Wer sollte dagegen was haben? An einem Sonntag drei, vier Stunden mit Freunden beim Brunch sitzen, vom Frühstück langsam zur warmen Küche übergehen, dazu Kaffee, später Sekt. Jeder isst in seiner Geschwindigkeit, jeder isst, so viel er mag. Buffet ist gelebte Rücksicht.
Vor einigen Jahren war ich auf einer edlen Hochzeit im Brandenburgischen, dort gab es kein Buffet. Perfekt choreografiert servierten Dutzende KellnerInnen die drei Gänge. Ja, alles fein, lecker auch, allein: Es gab keinen Nachschlag. Es war warm, der Aperol floss, auf der Tanzfläche wurde nach dem Essen getuschelt: „Auch noch so hungrig?“ Erst, als kurz vor Mitternacht Currywurst gereicht wurde, stieg die Stimmung wieder.
Ja, das Buffet kann unschöne Begleiterscheinungen haben. Sich wie wilde Tiere darauf stürzende Menschen, die ungeduldig mit Besteck klappern, minderwertige Reste-Buffets, Stichwort „Masse vor Klasse“. Aber: Dafür kann das Buffet an sich nichts. Man muss es halt gut machen und dabei von guten Menschen umgeben sein.
Halt, stopp, rufen selbsternannte Gourmets: Buffets sind Barbarei. Überlässt man es dem Pöbel, sich zu bedienen, stapelt er Dinge auf Teller, die nie zusammen gegessen werden dürfen!
Welch elitärer Nonsens das doch ist. Ich esse, was ich will.
Paul Wrusch
nein!
Auch ohne die Geschichte meiner Freundin Brigitte war ich längst Gegner jeglicher Buffets.
Brigitte ist stark kurzsichtig und lebte in einem fernen Land. Dort war sie zu einer Gartenparty eingeladen und wollte an dem unter schwach glimmenden Glühlampen aufgebauten Buffet ihren Hunger stillen. Brigitte isst nicht alles, und so freute sie sich, als sie auf einer Platte golden-knusprige Pommes erblickte. Erst an ihrem Platz, bei besserem Licht, sah sie, dass sich die Pommes bewegten. Es waren keine Pommes, sondern lebendige Würmer. Eine regionale Spezialität.
Niemand hatte Brigitte gesagt, was sie erwartete – weil da niemand war. So ist das nämlich bei Buffets: Verwaiste, von Gaskartuschen warmgehaltene Gerichte blubbern in Edelstahlbehältern vor sich hin. Irgendwann wurden die Speisen hübsch angerichtet, doch anschließend überließ das Küchenpersonal sie ihrem Schicksal; und die Speisenden ebenfalls.
Wird Essen, wie es sich gehört, am Tisch serviert, dann gibt es die Möglichkeit des direkten Austauschs mit jemandem, der weiß, was auf den Tisch kommt. Hilfreich, nicht nur für Kurzsichtige.
Aber, wie gesagt, ich war schon vor der Geschichte von Brigitte ein Buffet-Kritiker. Es ist ein Aberwitz, dass Buffets gerne bei festlichen Anlässen angeboten werden, zu denen Menschen zusammenkommen, die sich sonst selten sehen. Statt sich nun zu unterhalten, stehen sie dauernd auf, holen etwas nach, haben was vergessen – oder müssen warten.
Buffet-Warteschlangen sind ein steter Quell der Zwietracht. Etwa, wenn mir vor meinen Augen das letzte Schnitzel, die letzte Ladung lebender Würmer weggeklaubt wird. Oder wenn jemand trickreich aus Richtung der Desserts kommt und dabei dreist zu den Hauptgerichten vordringt.
Kommt hinzu: Alle Gedanken, die sich kundige Köche je über die Zusammenstellung von Speisen gemacht haben, gelten am Buffet nichts mehr. Roter Heringssalat an Schmorbraten mit brauner Sauce neben Hühnchencurry „Madras“ hinter Spargelquiche über Frikadellen „nach Omas Art“ unter Putentopf mit Frischkäse und obendrauf Reissalat „fruchtig“.
Buffets führen zu Fressorgien, man schaufelt, weil’s so viel gibt, es sieht fürchterlich aus auf dem Teller und hat mit genussvollem Verzehr liebevoll zubereiteter Speisen nichts zu tun. Ein Mehr, Mehr, Mehr, wo die Grenzen des Wachstums doch viel angebrachter wären.
Buffets hatten ihre große Zeit in den Wirtschaftswunderjahren, als der Deutsche an den letzten Steckrübenwinter dachte. Er gönnte sich was. Das war nie schön und das wird es auch nicht mehr.
Wenn Corona etwas Gutes bewirken könnte, dann das Ende der Buffets. Lernen wir die zivilisatorische Errungenschaft des gesitteten Essens einer fein austarierten Speisefolge, die am Tisch serviert wird, wieder schätzen.
Felix Zimmermann
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