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Corona in FlüchtlingsheimenMan macht es, weil man es kann

Kommentar von Susanne Memarnia

Das würde man Einheimischen nie zumuten: eine komplette Flüchtlingsunterkunft unter Quarantäne wegen eines Corona-Falles. Ein Wochenkommentar.

Im Gang des Berliner Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Foto: dpa

M an kann wohl dieser Tage nicht alles verstehen, was behördlicherseits entschieden wird. Vieles wirkt erratisch, etwa die Entscheidung des Gesundheitsamtes, eine ganze Flüchtlingsunterkunft unter Quarantäne zu stellen, weil es dort einen Corona-Fall gibt. Seit dem 12. März sitzen 132 Menschen in einem ehemaligen Hotel fest. Die Meldung war zunächst fast untergegangen zwischen den vielen Corona-Schlagzeilen der letzten Tage.

Dann kam am Freitag die Nachricht, dass eine zweite Berliner Unterkunft seit Dienstag unter Quarantäne steht, diesmal sind 216 Personen betroffen. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass im thüringischen Suhl Menschen in einer Flüchtlingsunterkunft revoltierten, weil dort über 500 in Quarantäne sind. Und man fragt sich: Muss das sein, hunderte Menschen einzupferchen wegen eines Falls?

Die steile These: Man macht es, weil man es kann. Bei Flüchtlingen traut sich die „Obrigkeit“ – altmodisches Wort, aber hier passt es ganz gut – Maßnahmen zu ergreifen, die sie Einheimischen nie zumuten würde. Oder wäre es denkbar, dass ein ganzes normales Wohnhaus unter Quarantäne gestellt wird, weil eine* Bewohner*in Corona hat? Das hunderte Menschen nicht mal mehr einkaufen dürfen und stattdessen unter Polizeischutz mit Fertigessen versorgt werden?

Dass es anders geht zeigen Heidelberg und Karlsruhe

Bei Flüchtlingen ist man mit solch drastischen Maßnahmen ganz offenbar schneller zur Hand. Vielleicht weil man sie ja ohnehin kaum als Individuen, vielmehr als Gruppenangehörige ansieht und entsprechend als Gefahr begreift, für „unsere“ Kultur, „unseren“ Wohlstand, „unsere“ Gesundheit.

Dass es anders geht zeigen die Beispiele Heidelberg und Karlsruhe. In den dortigen Erstaufnahmen gab es laut Medienberichten ebenfalls erste positive Corona-Fälle. Aber es seien nur die Betreffenden isoliert worden, nicht alle Bewohner*innen.

Obrigkeit – altmodisches Wort, aber hier passt es ganz gut

Die Quarantäne in deutschen Heimen ist gerade sicher nicht das Schlimmste, was Flüchtlingen in Europa und an deren Grenzen derzeit zustößt. Aber sie ist erneut ein Zeichen dafür, dass uns ihr Wohlergehen deutlich weniger am Herzen liegt als unser eigenes – aller Menschenrechtsrhetorik unserer Spitzenpolitiker*innen zum Trotz. Apropos: Gab es da nicht das Versprechen, wenigstens 1.500 Kinder und Jugendliche von den Inseln zu holen? Ach, nein, wir haben ja gerade eigene, viel dringendere Sorgen.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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10 Kommentare

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  • Mal wieder ein Artikel, bei dem es offenbar in erster Linie darum geht, daß die AutorIn uns ihr Weltbild 'nahebringt'.

    Flüchtlingsheime,mit ihren Gemeinschaftsküchen, -bädern, -toiletten dürften kaum vergleichbar sein mit Wohnhäusern. Und anderswo, in Altenheimen, in denen eine ähnliche Situation herrscht, wie in Flüchtlingsheimen, wird durchaus ein Haus unter Quarantäne gestellt .

    Ja, es stimmt ja: Die internationale Lage nimmt ständig zu.

  • Je geringer der soziale Status bzw. die Beschwerdemacht des Individuums ist, desto eher missbrauchen Autoritäten ihre Kompetenz.

  • "Die steile These: Man macht es, weil man es kann. Bei Flüchtlingen traut sich die „Obrigkeit“ – altmodisches Wort, aber hier passt es ganz gut – Maßnahmen zu ergreifen, die sie Einheimischen nie zumuten würde."

    Daß diese steile These falsch ist, kann man zum Beispiel an den Kreuzfahrtschiffen sehen, wo gleich Tausende unter Quarantäne gestellt wurden.

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @yohak yohak:

      Soweit ich erinnere wurden vorher schon Schulklassen uner häusliche Quarantäne gestellt und in Italien ganze Ortschaften, ebenso in Bayern

  • Das ist doch Blödsinn. Genauso wird das mit Altersheimen gehandhabt, und anderen Einrichtungen, wo Menschen dicht zusammenleben.

    www.echo24.de/regi...-tod-13569143.html

    Immerhin auch 100 Leute.

  • "Die steile These: Man macht es, weil man es kann"

    Steil?

    Leider, leider nicht zu steil für die Realität, fürchte ic. Ich hätte eine noch steilere: "man macht das, weil es eben doch Menschen zweiter Klasse gibt". Flüchtlinge. Obdachlose.

    Danke der Autorin und immer wieder an die, die uns in dieser Zeit nicht vergessen lassen.

    • @tomás zerolo:

      Und man macht es, weil kulturelle Unterschiede und Sprachbarrieren eine effektive Isolation der Betroffenen verhindern. Und weil sie i.d.R. schon im Bus gemeinsam mit etlichen anderen Personen angereist sind. Wenn man die Strategie "Eindämmung" ernst nimmt, dann ist es die einzig richtige Maßnahme.

    • @tomás zerolo:

      Lassen Sie uns aber auch nicht vergessen, dass Baden-Würtemberg mehr als drei Mal so viele Fälle pro 100.000 Einwohner hat wie Thüringen.

      de.statista.com/st...ch-bundeslaendern/

      Steile These:



      Möglicherweise macht also Thüringen etwas besser als Karlsruhe, Heidelberg und der Rest von Baden-Württemberg.

      Ich bin kein Virologe, ich weiß es nicht.

      • @rero:

        Vielleicht ganz banal die Bevölkerungsdichte [1]?, die in Thüringen halb so gross ist wie in Baden-Württemberg?

        Sicherlich nicht der einzige Faktor -- am Anfang entscheidet auch viel der Zufall (die MERS-Krise in Südkorea 2015 wurde immerhin durch einen einzigen Einreisenden ausgelöst).

        [1] de.wikipedia.org/w...3%B6lkerungsdichte

      • @rero:

        Genau. Heidelberg und Karlsruhe hätten es auch so machen müssen.